Lieber Luther

Lieber Luther

Samstag, 21. Dezember 2013

Noah - ewiger Bund

Lieber Luther,
mit manchen Themen kann man sich lange beschäftigen. Wenn es um herausragende Gestalten der Bibel geht sowieso.
Noah ist so eine Gestalt. Ist es die Sintflut, die Arche oder Noah oder das ganze Paket? Oder die Geschichte danach, nach dem großen Regen und dem Sturm? Der menschliche Sturm danach? Seine Entblößung (1.Mose 9, 18ff)? Die Auf und Abs des Lebens. Noah, der uns sagt, auch der Gerechteste strauchelt, Mensch kommt vom Sturm in den Regen, vielleicht in die Sintflut, wird hinweggeschwemmt, wartet auf besseres Wetter, findet sich wieder auf festem Boden, wird Weingärtner im Acker Gottes, um dann wieder über sich selbst zu stolpern.
Gott rettet Noah, ganz so wie später Lot. Beide stolpern dann über sich selbst und ihre Nachkommen. Beide Geschichten erzählen die gleiche (Menschheits-)Geschichte: Seht, auch die Gerechtesten, auch diejenigen, die Gott leitet und geleitet, rettet, versinken trotzdem noch im menschlichen Sumpf. Und, das ist die tröstliche Botschaft, einen nur Gerechten gibt es in Gottes Schöpfung nicht – Gott selbst, als Mensch in Jesus mal abgesehen. Das Leben ist für alle gleichermaßen wechselhaft wie das Wetter. Gott weiß das, kennt das Wesen des Menschen. Deshalb hat er mit Noah für die Menschheit einen Bund geschmiedet, hat Noah geschworen, dass er den Menschen nicht noch einmal vernichten will, wie bei der Sintflut. Gott will mit den Menschen sein, auch wenn sie fehlen (1. Mose 9). Seid fruchtbar und mehret euch. Die Noahgeschichte ist insofern eine 3. Schöpfungsgeschichte.
Gott schließt einen ewigen Bund mit seiner Schöpfung. Er anerkennt den Menschen damit auch als frei handelnde Wesen, die auch getrennt von ihm sein können, eigene Wege gehen – auch, wenn es nicht seine Wege sind, die sie gehen, seine Gebote nicht achten. Gott ist sozusagen entidealisiert, er ist auf dem Boden der Menschheit angekommen, hat seinen göttlichen Anspruch an seine Schöpfung zurückgeschraubt auf ein menschliches Maß. Insofern ist es auch eine Weihnachtsgeschichte: Gott hat uns bereits mit diesem Bund, den er mit Noah stellvertretend geschlossen hat, ewige Verzeihung, ewige Treue versprochen:
… und soll hinfort keine Sintflut mehr kommen, die die Erde verderbe. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich gemacht habe zwischen mir und euch und allen lebendigen Seelen bei euch hinfort ewiglich. (1.Mose 9, 11-12).
Gott schließt diesen ewigen Bund nicht individualisiert, sondern mit der Menschheit als Ganzes. Deshalb hat er den Regenbogen an den Himmel gesetzt: dass er selbst ihn sehe und er sich an diesen Bund erinnere, damit sein Zorn über die Verfehlungen und die Gottlosigkeit der Menschen ihn nicht dazu verführe, noch einmal ein vernichtendes Urteil über die Menschen zu sprechen. Gott bleibt beim wetterwendischen Menschen, vernichtet hinfort nicht die Menschheit als Ganzes, sondern schaut genau hin, schaut auf den Einzelnen, spricht aus dem Wetter mit ihm, wendet sich jedem Einzelnen zu.
Die Noah- und die Lotgeschichte sagen, wenn ihr auf meine Stimme hört, werdet ihr gerettet, bringe ich euch aus dem Verderben aufs trockene Land, ermögliche ich euch, dass ihr euch rettet. Der Mensch ist dem Leben wie Wind und Wetter ausgesetzt, der Familie, dem sozialen Umfeld, den politisch und wirtschaftlich Mächtigen, den Naturgewalten. Er ist deshalb immer in Gefahr, dass die Atmosphäre zwischen den Menschen sich so auflädt, dass sie sich in einem Blitz, der auch vernichten kann, entlädt. Es ist aber immer eine begrenzte Vernichtung, eine Angelegenheit zwischen den Menschen. Mensch kann etwas tun, um es nicht soweit kommen zu lassen. In dieser Gefahr und in der Möglichkeit der Gefahrenabwehr sind sich alle Menschen gleich. Das ist Teil dieses Bundes, den Gott hier mit den Menschen schließt, ist Teil von Gottes Gerechtigkeit. Gott nimmt sich zurück, will sich nicht mehr seinem Zorn hingeben, sagt: Ich vernichte euch nicht mehr, ihr könnt euch nur noch selbst vernichten, wie ihr euch auch nur selbst retten könnt. Gott lässt dem Menschen den Vortritt, nimmt dem Menschen gegenüber eine demütige Haltung an. In Jesus wird das sichtbar und in ihm fordert er uns zur Nachfolge auf.
Welcher Gestalt dieser Bund ist, erschließt sich im unmittelbar Folgenden. Anstatt in Dankbarkeit über ihre Rettung in Frieden zu leben, verflucht Noah seinen jüngsten Sohn Ham (1.Mose 9, 18ff). Noah ist Gott nachgefolgt, hat wider alle Vernunft die Arche gebaut, Familie und Tier dort versammelt, den Frieden in der Arche bewahrt, so dass die dort Versammelten in der Enge und Eingeschlossenheit miteinander auskommen und ausharren konnten. Er war danach fleißig, hat einen Weinberg gepflanzt, ist Gottes Weingärtner geworden. Dann hat er sich aber berauscht, der klare Verstand ist ihm abhanden gekommen, seine Rechtschaffenheit. Er hat sich in einer Weise entblößt, dass es auch für sein Umfeld gewahr wurde. Damit nicht genug, er hat sich dann auch noch ungerecht gegenüber seinem jüngsten Sohn Ham verhalten, als dieser den Brüdern von der Verfehlung des Vaters erzählte. Noah führt uns vor Augen, dass ein vor Gott Gerechter in menschlichen Dingen fehlen und ungerecht sein kann und trotzdem Gott bei ihm bleibt, sofern er bei Gott bleibt.
Man kann die Dinge auch von einem anderen Blickwinkel betrachten. Ham hätte auch über die Verfehlung des Vaters hinwegschweigen können. Du sollst Vater und Mutter ehren. Gottes Gebot. Insofern könnte man Hams Mitteilungsbedürfnis auch als mangelnden Respekt vor dem Vater, dem Familienoberhaupt, ansehen. Heißt das, man soll als Kind über alles hinweg sehen und verschweigen, alles decken, egal was? Und wenn nicht, der jüngste Sohn Noahs sei euch ein warnendes Beispiel?
Nein, das heißt es sicher nicht. Es heißt, es ist genug, wenn sich einer selbst bloß stellt. Es ist verwerflich, einen derart Entblößten und Gedemütigten noch weiter bloß zu stellen. Er hat sich mit seiner Maßlosigkeit schon selbst herabgewürdigt, würdige ihn nicht noch weiter herab. Jeder Würdelose hat noch eine Würde, die es zu schützen gilt. Decke seine Blöße zu und verhelfe ihm wieder zur Würde. Respektiere seine Würde, ansonsten verlierst auch du deine Würde.
Lieber Luther, Gott schenkt uns durch Noah einen Bund, einen ewigen Bund, einen Bund, der unabhängig von menschlicher Fehlbarkeit ist. Eine Zusage auf Ewigkeit, die uns entlastet, auch wenn wir fehlen. Aber er sagt auch, entwürdige nicht, würdige deinen Nächsten, achte ihn, wenn du ihn nicht achtest, achte ich dich auch nicht.
Immer wieder sagt uns das Gott und, lieber Luther, immer wieder fehlen wir darin. Das ist der Anfang von menschlichen Ungewittern, die auch zerstörerische Ausmaße annehmen können. Das ist der Kern von Gottes Wort. Um es in die Welt zu bringen, um diesen Bund, den er mit Noah geschlossen hat, mit uns zu erneuern, darum ist er in Jesus selbst auf die Welt gekommen. Um ihm und dieser Botschaft Gehör zu verschaffen, feiern wir Weihnachten. Jedes Jahr aufs Neue. Wenn nur einer dies versteht, haben sich die vollen leeren Weihnachtsgottesdienste gelohnt. Deshalb sei unverzagt.
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 1. Dezember 2013

Thema verfehlt

Lieber Luther,
eine scheinbar einfache Frage: "Bin ich ein Sünder?", von einem 10jährigen Kind gestellt. Wie sollen wir diese Frage beantworten? Wir könnten eine Standardantwort geben: Mach dir keine Sorgen, Gott liebt alle. Er ist dein guter Onkel oder weiser Opa. Oder, kumpelhaft: Ach, wir sind ja alle Sünder. Gott verzeiht uns unsere Fehler. Nur, werden wir dem Kind damit gerecht, legen wir da die richtige Saat oder säen wir mit solch einer Antwort nicht Spreu? 
Eine Kinderfrage ernsthaft zu beantworten, benötigt eine noch ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem Thema der Frage als eine Erwachsenenfrage. Eine Kinderseele ist noch offener und verletzbarer als eine Erwachsenenseele, ist – in der Regel – noch nicht so verletzt und vernarbt wie eine Erwachsenenseele. Gott scheint noch mehr aus ihr hervor. Das ist gemeint, wenn Jesus sagt: Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen (Matth 18.3). Jesus meint hier die unschuldige Kinderseele, in der Gott unverstellt wohnt.
 Kinder wie Kinderschüler oder Analphabeten in Glaubensdingen zu behandeln – beruhigend irreführend – alles ist gut – heißt sie nicht ernst nehmen. Kinder kann man jenseits von Albernheit – man könnte auch sagen Verdummung – erreichen, viel mehr als Erwachsene. Das fängt schon bei der Sprache an. Genau so wenig hilfreich, wie – wissenschaftlich anerkannt - eine allgemeine Ansprache eines Kindes in sogenannter "Kindersprache" ist, so wenig hilfreich ist es, in einer solchen Kindersprache mit den Kindern über Gott zu reden. Das nimmt sich in ihre Kontraproduktivität nichts. 
Im Kind sehen wir Gott viel deutlicher als beim Erwachsenen. Wir richten in einer solchen Gott verniedlichenden Ansprache bei Kindern viel Schaden an. Gott ist keine Seifenblase, die zerplatzen kann. Wie soll ein Kind als Erwachsener Gott ernst nehmen, wenn wir ihn zu einer Figur in einem Kasperltheater machen? Wir unterschätzen unsere Kinder und respektieren damit Gott nicht, der in ihnen aufscheint.
Das Fundament für die Gottesferne der Erwachsenen legen wir bei den Kindern. Die Kinder spüren das, wenn in unseren Erklärungen nichts in ihrer Seele aufklingt, unsere Erklärungen Kindergartenniveau haben, man Gott verwechseln könnte mit Albus Dumbledore. Das ist fauler Zauber, den die Kinder instinktiv entlarven, indem sie das, was wir erklären, wie einen Harry Potter Film an sich verbeiziehen lassen. Nach dem Abspann kommt das nächste Thema, das sich um die Aufmerksamkeit des Kindes bewirbt.
Gott zeigt sich in der Seele eines Menschen. Wenn er sich dort zeigt, völlig unabhängig von Kirche, dann ist ein Fundament gelegt für sein Wirken. Dass Gott, sein Aufscheinen in der Seele, unabhängig von Kirche ist, ist beruhigend. Kirche leistet da dem Glauben und unseren Kindern oft keinen guten Dienst. Wer denkt, wenn man einem Jugendlichen sagt, Jesu Haarlänge sei irrelevant, sei unfreundlich, geht jeglicher ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Jugendlichen aus dem Weg und trägt zu seiner Blindheit im Glauben bei.
Wenn Kinder zu Jugendlichen werden, muss man den Glauben, Gott in ihnen, anders sehen und ansprechen. Jugendliche sind dabei, der kindlichen Unschuld ihrer Seele zu entwachsen. Ihr Seengrund sackt in ihrer Erinnerung, versackt unter weltlich-menschlichen Dingen, die als wichtiger erachtet werden. Gott, das innere Wissen von Gott, wird dabei verschüttet, aber es ist noch da. Die Jugendlichen verlieren Gott aus dem Blickfeld, Kirche in den überwiegenden Fällen sowieso.
Kaum hat ein Konfirmand die Konfirmation hinter sich, wird er nicht mehr in der Kirche gesichtet. Anschauungsunterricht geben mir meine Söhne. Kirche ist ihnen fern, Glauben auch, könnte man auf den ersten Blick meinen, könnte man auch meinen, wenn man ihnen zuhört. Aber gerade der Blick auf sie zeigt mir, dass es nicht so ist, ganz und gar nicht. Gott scheint in ihnen auf, jeden Tag, er äußert sich in ihrer Seele. Im Umgang miteinander. Im Respekt, den sie anderen gegenüber entgegenbringen. Im Respekt vor der Unversehrtheit des anderen. In ihrer Betroffenheit, wenn sie Fehler gemacht haben. Im Wertesystem, das sie – unreflektiert, undefinierbar und unerklärbar – in sich tragen und das die Basis ihres Handelns bildet, in dem, was sie zu verantwortlichen Menschen macht, Menschen, die mit die Verantwortung für die Zukunft der Schöpfung tragen.
Lieber Luther, ich denke, das ist das Entscheidende: Menschen, die Verantwortung – in Gottes gutem Sinne – für seine Schöpfung, Mensch, Tier, seine ganze Natur, übernehmen, auf dem Platz, wo sie hingestellt sind. Unerheblich dabei ist, ob sie Gott und Glauben im Munde führen oder nicht. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass da, wo Menschen dies tun, Gott in ihrer Seele wohnt, ihre Seele von innen nährt und wärmt, völlig unabhängig von allen Alltagswidrigkeiten.
Braucht es dann Glaube, Kirche, Bibel, Jesu Nachfolge, einen Gott, über den man redet, oder wirkt er überall und bei jedem stillschweigend? Ja, das braucht es, es braucht Menschen, die von Gott reden, von ihm erzählen. Das passiert in der Bibel, das versucht Kirche, das tun Menschen, die glauben und etwas über Glauben und Gott zu sagen haben. Das Wissen, das Bewusstsein Gottes ginge verloren, wenn niemand mehr von ihm reden würde. Das lässt Gott nicht zu. Deshalb wird es immer Menschen geben, die von ihm erzählen und den Glauben und sein Wort weitertragen. Das zeigen die Jahrtausende des Glaubens an den EINEN Gott.
Das heißt aber nicht, lieber Luther, dass Gott bei den Menschen, die ihn vergessen haben, deren Erinnerung an das Göttliche in ihnen eingeschlafen ist, Gott nicht in ihrer Seele haben. Er ist dort. Ob das "Gut" Gottes in ihrer Seele eine Chance hat, nicht unter dem Alltagsmüll zu versinken, auch dafür hat er den Menschen, uns, die Verantwortung gegeben. Diese gottblinden Menschen werden in der Bibel "Heiden" genannt. Gott wird nicht ruhen, bis er alle gesammelt und zu Sehenden gemacht hat. Solange wird es Menschen geben, in deren Seele er aufscheint, die ihn in Wort und Tat in unserer jeweiligen Wirklichkeit vergegenwärtigen, uns an ihn erinnern.
Bei uns, lieber Luther, liegt die Verantwortung, ob wir bei unseren Kindern und Jugendlichen Weizen oder Spreu säen, mit Kirche oder ohne. Denn, was wir säen werden wir ernten.
Thema verfehlt, könnte man sagen. Aber vielleicht auch nicht. Das wird sich zeigen. Ich schreibe dir über mein eigentliches Thema – bin ich ein Sünder - später, die Frage ist ja noch nicht beantwortet.
Herzliche Grüße
Deborrah.

Samstag, 16. November 2013

Feigenbaum und Feigenblatt

Lieber Luther,
gute Nachrichten hören wir gern, schlechte weniger. Wenn man uns gibt, nehmen wir gern, doch Verpflichtungen eingehen, davor scheuen wir zurück. Verpflichtung heißt, man betrachtet fortan etwas als seine Pflicht, heißt, setzt sich für etwas ein, steht für etwas, steht jemandem bei, auch wenn man sich selbst zurückstellen muss. Verpflichtung ernst genommen, ist ein Versprechen, sich in die Pflicht nehmen zu lassen für etwas.
Von Gott nehmen wir gern, lassen uns aber weniger gern von ihm in die Verpflichtung nehmen. Wir sehen das gern als Einbahnstraße, als einseitigen Bund. Gott ist in der Pflicht uns zu lieben, uns zur Hilfe zu eilen, uns zu heilen. Dieser Gott wird überwiegend von den Kanzeln gepredigt. Gott als der (einseitig) Liebende, der den Menschen liebt, was immer er tut. Alles andere ist unpopulär. Wer will sich schon in die Pflicht für Gott nehmen lassen? Wollen wir die eh schon kleine Zahl der Kirchgänger auch noch verschrecken mit lästigen Verpflichtungen?
Warnungen, gegen den Mainstream gerichtet, werden seit jeher nicht gern gehört. Gott und auch Jesus haben uns viele Warnungen geschickt. Jeremia hat sich damit abgequält, Gottes Warnungen zu überbringen, war Gottesknecht und hat unter dieser Last schwer geächzt. Trotzdem hat er nicht geschwiegen. Die Zugvögel, die keinen festen Ort kennen, finden an ihren Ort zurück und wissen, wann es Zeit ist, heimzukehren. Wenn selbst Vögel das wissen, die kein Gehirn zum Nachdenken haben – oder gerade deswegen -, warum kann und tut der Mensch das nicht? Und keiner bereut. Sie wenden sie weiter ab, laufen weg vor mir, wie ein Wildpferd, das sich von mir bedroht fühlt. Man hört aus diesen Worten, wie Gott über seine Schöpfung stöhnt und Jeremia, als Überbringer der schlechten Botschaft, mit ihm (Jer 8, 4-7).
In Jeremias Tempelrede ist klar benannt, was Gott von uns fordert: Denn nur, wenn ihr eure Wege und eure Taten wirklich gut macht, wenn ihr wirklich Recht übt untereinander, gerecht seid zu euch selbst und zueinander, niemanden unterdrückt, kein Leben vernichtet, keine anderen Götter nachlauft, nur dann will ich bei euch wohnen (Jer 7, 5-7). Das sind Pflichten, die Gott von uns einfordert. Gott sagt zu Jeremia: Stell dich in das Tor des Hauses des Herrn und sage das ganz laut, auch zu den Wortverdrehern, die dort berufsmäßig das Wort auslegen. Priester und Propheten gehen mit Lügen um, predigen meinen Frieden und es ist doch nicht Friede (Jer 8, 10-11). Ich bin mit euch nicht im Frieden und ihr nicht mit mir. Lasst euch nicht einlullen von falschen Versprechungen. Keine Trauben sind am Weinstock und keine Feigen am Feigenbaum, das Blatt ist verwelkt: Frucht- und leblos werdet ihr vergehen, wenn ihr so weitermacht (Jer 8, 13).
Szenenwechsel. Etwa 600 Jahre später. Markus 13. Wieder geht es um Gottes Tempel. Wieder die gleiche Mahnung, wie eine Dublette: Passt auf, seid wachsam, lasst euch nicht von falschen Propheten verführen, die unter meinem Namen getarnt euch falsche Götter unterjubeln. Wenn ihr von Kriegen hört, so geschieht das, weil die Menschen nicht auf mich hören wollen, aber es ist nicht das Ende. Es wird sich Nation gegen Nation erheben, es wird Erdbeben geben, Hungersnöte, sie werden sich gegenseitig umbringen, sich gegenseitig bedrücken. Leben wie es ist, seit es Menschen gibt.
Deshalb ist es wichtig, dass ihnen das Evangelium gepredigt wird. Wieso? Wer das liest, höre: Damit die Menschen wissen, dass sie umkehren können, sie die Möglichkeit haben, sich auf meinen heiligen Berg zu retten, solange noch Zeit ist. Es ist ein Ort ohne irdische Güter, deshalb braucht man dort nichts Materielles. Betet, dass es nicht Winter ist in euch, eure Seele nicht kalt und ohne Nahrung ist, wenn ihr dies lest.
Jedoch, alle Menschen sind mit menschlichen Irrtümern belastete Menschen. Deshalb wird, wenn ihr die äußeren und inneren Gräuel und Verwüstungen, die ihr angerichtet habt, ungeschönt sehen werdet, eure Bedrängnis größer sein, als im Augenblick der Untat. Deshalb hat Gott die Zeit, wenn es gilt, dies einzusehen, verkürzt. Sonst würde er keinen Menschen mehr zu sich zurück bringen können, solange würde diese Selbstschau dauern. Alle werden dann Auserwählte sein, alle werden dann heimgeführt sein, und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit. Deshalb lernt vom Feigenbaum: Wenn sein Zweig schon weich geworden ist und Blätter hervortreibt, ist der Winter vorbei, erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist. Der Feigenbaum ist bereit, Frucht zu treiben.
Der Bogen zu Jeremia ist geschlagen. Jesus erklärt in Markus 3 etwas komprimierter was 600 Jahre zuvor Gott Jeremia aufgetragen hat zu sagen (Jes 7-8) und alles ist bei beiden zusammengefasst im Bild des Feigenbaumes. Der Feigenbaum steht für den Anfang des Menschen uns das Ende. Der Feigenbaum ist die erste Pflanze, die namentlich in der Bibel erwähnt wird. Adam und Eva machten sich einen Schurz aus Feigenblättern, um ihre Blöße zu decken (1. Mose 3, 7). So meint es auch Jesus in seiner Rede: Wenn ihr euch dereinst mit euren eigenen Schandtaten auseinandersetzen müsst, kann kein Feigenblatt mehr eure Blöße decken. Eure eigene Wahrheit zu sehen, vom Baum dieser Erkenntnis zu essen, wird euch schlimmer ankommen, als alle Untaten, die ihr im Laufe des Lebens verübt habt.
Die Botschaft ist in beiden Texten gleich: Gottes Volk hört nicht auf seine Stimme, hält nicht, was er ihnen aufgetragen hat, verpflichtet sich nicht ihm gegenüber auf sein Recht, sondern tut beständig Unrecht, hört auf die falschen Propheten und Götter und folgt keiner Mahnung zur Umkehr. Deshalb bleibt der Feigenbaum bei Jeremia und bei Jesus ohne Frucht, die Blätter sind verwelkt (Matth 21, 18-22). Kein Feigenblatt vermag dies vor Gott zu verbergen, jetzt nicht und nicht, wenn wir sterben. Aber, Jesus gibt Hoffnung. Der Feigenbaum bleibt nicht unfruchtbar. Wenn die Zweige weich geworden sind, Hartherzigkeit und Hartleibigkeit aufgeweicht sind, dann erwacht der Feigenbaum wieder zum Leben, treibt Blätter, danngrünt der Feigenbaum wieder und trägt Frucht.
Lieber Luther, die Bibel steckt voller Überraschungen. Mit dieser Wendung habe ich zu Anfang nicht gerechnet. Jeremia und Jesus erzählen die gleiche Geschichte, verwenden die gleichen Bilder, haben die gleiche Botschaft. Beide Texte sind Predigttext für diesen und nächsten Sonntag, einmal in der alttestamentlichen und einmal in der neutestamentlichen Version. Doppelt hält besser, bleibt wenigstens zu hoffen. Ihr bringt keine Frucht, sagt Jeremia und sagt Jesus, ihr lebt und handelt nach euren eigenen Maßstäben, nicht nach meinen. Bezeichnend auch, dass beide Predigttexte die Textstellen, in denen es um die Verpflichtung der Menschen auf Gottes Recht geht, umschiffen, die Konsequenzen verschweigen. Die ganze Sündentheologie ist zwar obsolet, aber das heißt nicht, dass wir Narrenfreiheit haben in dem, was wir tun. Wir sind dafür verantwortlich, jeder persönlich. Eines Tages wird uns der Spiegel vorgehalten und wir müssen für uns selbst einstehen. Gott nimmt uns in die Pflicht und an dieser Stelle werden wir nicht ausweichen können, wie noch im diesseitigen Leben. Ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Wie sagte doch Jesus? Wer dies liest, merke auf (Mark 13, 14), ihr habt es in eigenen Händen. Wieder eine (ungehörte) Warnung.
Nicht nur Jeremia kündigt an, dass vor Gott eines Tages eine Abrechnung kommt, ein Abwiegen und Abwägen. Auch Jesus sagt nicht, Mensch, ihr könnt tun und lassen was ihr wollt, könnt Unrecht tun, unterdrücken, morden, ohne dass das irgendwelche Auswirkungen hat, Gott liebt euch, was immer ihr tut, ob ihr seine Gebote beachtet oder nicht. Jesus sagt, wie Jeremia, sehr drastisch, folgenlos wird euer Tun nicht bleiben, ihr werdet kein Feigenblatt haben, um das zu verdecken. Aber auch das wird vorüber gehen, die Zeit, die ihr das aushalten müsst, ist verkürzt. Dann wird aus dem Holz des Feigenbaums Leben wachsen.
So hören wir zu, lieber Luther, stehen zu unserer Verpflichtung, sind achtsam und wachsam, auch wenn uns hin und wieder vor Müdigkeit die Augen zuzufallen drohen. Jeremia hat auch nicht aufgegeben.
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 10. November 2013

Der ungerechte Richter oder: Gebt nicht auf!

Lieber Luther,
der heutige Predigttext (Lukas 18, 1-8) ist mir vor drei Wochen schon einmal begegnet und zwar in einer Form, die ich sicher mein ganzes Leben nicht mehr vergessen werde. An einem Ort, an dem sein ganzer Sinn plötzlich im Raum stand. Gott hat sich quasi neben die Menschen, die es angegangen ist, auf die Kirchenbank gesetzt und hat gewirkt. Alle Beteiligten haben seine Anwesenheit verspürt.
Wir reden vom Gleichnis vom ungerechten Richter. Es geht um einen selbstgefälligen Richter, der weder Tod, noch Teufel noch Gott fürchtet, weder weltliche noch göttliche Macht. Eine Witwe trat vor ihn und forderte ihr Recht. Es ist nicht gesagt, um was es genau geht, welches Recht verletzt ist. Das ist unwichtig. Der Richter weist sie immer wieder ab, aber sie bleibt hartnäckig, kommt immer wieder. Eines Tages hat er keine Lust mehr, sich immer wieder mit dem Fall zu beschäftigen und so beschließt er, ihr zu geben, was sie schon so lange fordert, "damit sie nicht am Ende komme, um mir ist Gesicht fahre." Derart Recht zu bekommen, hinterlässt einen faden Geschmack.
Der Richter handelt aus purem Eigennutz. Es geht ihm nicht um das Gesetz, schon gar nicht um Recht, was etwas anderes ist, es geht ihm nicht um die Wahrheit, nicht um Gerechtigkeit, es geht um sein subjektives Wohlbefinden, um seine Selbstgerechtigkeit. Einen anderen Maßstab als seinen Egoismus legt er nicht an.
Mit dem Finger auf diesen Richter zu zeigen, ist einfach. Es ist offensichtlich, dass er nicht von Gesetz und Recht, Wahrheit und Wahrhaftigkeit getrieben wird. Jedoch, wer ohne Schuld ist, wer nie ungerechter Richter ist, werfe den ersten Stein. Wir sollten erst einmal bei uns selbst suchen, bevor wir den Balken im Auge des anderen suchen.
Wir sind alle Richter, wir sind alle ungerecht. Wir sind auch Richter gegenüber unseren Richtern. Wir brechen den Stab über denen, die ungerecht zu uns sind, die hartleibig sind, die uns immer wieder abweisen und auflaufen lassen, die taub sind gegenüber dem, was wir zu sagen haben, die nicht zuhören und nicht hören wollen, die uns immer wieder unverrichteter Dinge nach Hause schicken. Wir laufen Gefahr auch zu verurteilen, gar zu resignieren, den Mut zu verlieren, einen weiteren Anlauf zu nehmen, ein weiteres Mal gegen eine Mauer der Ablehnung zu rennen.
Von der Witwe können wir lernen, nicht aufzugeben. Was hat sie getrieben, was hat ihr immer wieder den Mut und die Kraft gegeben, sich aufzumachen, um den Richter mit sich und damit mit seinem eigenen Unrecht zu konfrontieren, ihm sein Unrecht vor Augen zu führen, trotz aller Demütigung, die sie immer wieder erfahren hat? Es war wohl eine Mischung, eine Mischung aus Not – möge es eine innere oder äußere gewesen sein –, Zorn und Gerechtigkeitssinn. Sie wusste, dass, was sie vorzubringen hatte, richtig war, Recht, gerecht, wahr. Das hat sie auf den Beinen gehalten und ihr Energie gegeben, immer wieder anzurennen, nicht aufzugeben.
Woher wusste die Witwe, dass sie im Recht war? Es könnte ja auch ihre eigene Selbstgerechtigkeit gewesen sein, ihr verletzter Stolz, der sie getrieben hat, ohne dass sie im Recht gewesen wäre.
Jesus erzählt diese Geschichte als Gleichnis, d.h. er will mit ihr etwas verdeutlichen und deshalb kommt der Kern seiner Botschaft auch erst hinter dieser Geschichte zutage.
Geht es eigentlich wirklich darum, dass uns Recht geschieht, was immer wir unter "Recht" verstehen? Über das, was wir Menschen unter "Recht" verstehen, kann man Bibliotheken füllen und philosophische Theorien aneinander reihen. Auf Erden wird kein gemeinsames Verständnis erzielbar sein, was Recht und gerecht ist. Unser subjektives und objektives Rechtsverständnis in seiner Vielgestaltigkeit kann hier nicht gemeint sein.
Um was es in dem Gleichnis geht, steht gleich eingangs. Das Gleichnis, das Jesus erzählt, ist ein Gleichnis vom Bitten. Die Botschaft ist: Betet allezeit, was auch mit euch passiert und wie ungerecht ihr euch auch gehandelt fühlt, betet und ermattet darin nicht, resigniert nicht, vor den Menschen nicht und nicht vor eurem Gott und er eilt euch zur Hilfe.
Jesus fragt suggestiv: Sollte Gott das Recht seiner "Auserwählten", das heißt derjenigen, die ihn gewählt haben, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht "ausführen"? Sollte er nicht bewirken, dass denjenigen, die treu an ihm festhalten, am Ende Recht, sein Recht geschieht, nach seiner Wahrheit, nicht unserer? Jesus kennt die Menschen, deshalb hängt er gleich an, "Ich sage euch, dass er ihr Recht ohne Verzug ausführen wird. Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?"
Gottes Recht und Gerechtigkeit, seine Wahrheit ist das Maß der Dinge, nicht unsere subjektiven Vorstellungen, er wirkt, ist gegenwärtig "ohne Verzug". Haben wir da Zweifel, wenn wir auf uns schauen? "Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?"
Lieber Luther, es geht in dem Gleichnis nicht um unsere eigene Gerechtigkeit, Mensch ist nie gerecht. Wir sind alle ungerechte Richter. Es geht darum anzunehmen, dass Gott wirkt, ob es uns gefällt oder nicht, demütig zu sein gegenüber dem, was IST. Es geht darum, zu bitten, auch in Tränen, nicht nachzulassen, die Hoffnung nicht aufzugeben, die Augen zu öffen für das, was Gott in und mit unseren Tränen bewirkt.
Wir wissen, lieber Luther, dass Gott wirkt, ohne Verzug, aber ohne unseren Vorstellungen zu folgen, nicht zeitlich und nicht inhaltlich. Ich bin sicher, er hat sich auch heute in die ein oder andere Kirchenbank gesetzt, auch wenn sie leer geblieben ist. Er hat uns mit unserem eigenen Unrecht konfrontiert, aber uns auch gesagt: Betet, bittet, öffnet die Augen und die Herzen, gebt nicht auf. So sei es.
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 3. November 2013

Falsche Schwüre

Lieber Luther,
wenn wir denken, etwas besonders ehrlich zu meinen, schwören wir. Bei der Vereidigung von Politikern, Richtern, Soldaten, wird geschworen, auf die Verfassung, auf die Bibel. Auch ewige Liebe wird geschworen, Treue. Wenn geschworen wird, beteuert derjenige der schwört, ich halte mich an das Gesetz, an die Verfassung, an den Bund.
Damit ist schon offensichtlich, Mensch sollte nicht schwören, den es ist schon vorprogrammiert, dass er nicht halten wird, was er gerade noch im Munde führt. Es geht, lieber Luther, um den Predigttext an diesem Sonntag: Matthäus 5, 33-37:
Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel, noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
Jesus weist uns hier in unsere Schranken und will uns gleichzeitig vor uns selbst bewahren: Ihr sollt nicht falsch schwören bei meinem Namen und entheiligen den Namen deines Gottes; denn ich bin der Herr (3.Mose 19, 12), denn du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht (2.Mose 20, 7; 5 Mose 5, 11). Das steht im 2. Gebot.
Das heißt, du sollst nicht ein Versprechen abgeben, das du nicht hältst, das heißt, Gott nicht im Munde führen und gleichzeitig Lug, Trug, Betrug, Falschheit, Nichtigkeiten leben, in die Welt tragen. Denn was in der Welt ist, das IST und lässt sich nicht mehr rückgängig machen, es ist und bleibt mit dir und deinem Namen verbunden. Du sollst nicht Hinterhältigkeit, Bosheit, Lüge im Munde führen, denn so trägst du keine Frucht, so bist du Spreu, die der Wind hinwegfegt, so kommst du nicht in Gottes Tenne.
Erhebe, Mensch, nicht die Hand zum Schwur. Du kannst nicht halten, was du schwörst. Schwören heißt, einen Eid leisten, sich verpflichten vor Gott, sich bekennen zu Gott und der Wahrheit. Wer schwört und nicht einhält, den trifft Gottes Strafe. Gott mag es nicht dulden, dass man seinen Namen benutzt, um Lügen zu begründen, Meineide zu rechtfertigen, Falschheiten zu beschönigen.
Der Einzige, der Schwüre hält, ist Gott. Gott schwört und hält Treue zu den Menschen. Als Mose ihn an seinen Schwur erinnert, den er vor sich selbst abgelegt hat, Abraham und seinen Nachkommen das Land, das er ihnen verheißen hat, zu geben, tut Gott etwas, was er höchst selten tut: Er revidiert sein Urteil, das er schon gegen sein Volk gesprochen hatte (2.Mose 13-14). Gott ist treu und hält sein Wort. Es zeigt aber auch, wie ernst es Gott selbst mit der Worttreue nimmt, er sagt uns: Mein Wort ist mein Eid, mein Schwur, zu euch. Was ich sage, das werde ich halten. In dieser unumstößlichen Gewissheit und Wahrheit kann dies nur Gott versprechen.
Gott schwört bei sich selbst: Ich schwöre bei mir selbst, und ein Wort der Gerechtigkeit geht aus meinem Munde, dabei soll es bleiben: Mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen schwören (Jes 45, 23). Der einzige, der diesen Eid einfordern kann, ist Gott. Das einzige, was zu sagen bleibt auf diesen eingeforderten Eid, ist ein doppeltes Ja: ein Ja zum Vater und ein Ja zum Sohn, zur ihrer Wahrheit und Treue, zu unserer Umkehr und Reue, und ein doppeltes Nein: ein Nein zur Lüge und zu allem Bösen.
Führe den Himmel nicht im Munde, berufe dich nicht auf Gottes Schöpfung, noch auf Gottes Stadt Mensch, denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Du überschätzt dich, wenn du auf etwas schwörst, das deinen Möglichkeiten entzogen ist. Das kommt allein Gott zu. Es wiegt doppelt schwer, wenn du dich auf Gottes Gesetz berufst und es dann nicht hältst (Sir 23, 11).
Lieber Luther, es heißt, Gottes Namen vergeblich führen, wenn man Gott den Herrn nennt, dabei falsch ist, obwohl das Herz es anders weiß, wie du selbst im Großen Katechismus schreibst. "Denn lügen und trügen ist an sich selbst große Sünde, wird aber viel schwerer, wenn man sie noch rechtfertigen will und sie zu bestätigen Gottes Namen anzieht und zum Schanddeckel macht, also, dass aus einer eine zweifältige, ja vielfältige Lüge wird".
Ja, Jesus wollte uns mit seiner Warnung vor uns selbst bewahren. Begnügt euch mit einem Ja oder Nein, ohne euch noch auf Gott zu berufen. Steht zu eurem Ja oder Nein. Doch selbst ein offenes Ja oder Nein, ein offenes Stehen, zu dem, was unser Herz sagt, fällt Mensch oft schwer. Und so betrügt er, sich und andere.
Tröstlich ist, lieber Luther, dass Gott in alle Herzen sieht, alle Wahrheit kennt und vor ihm jeder Betrug aufgedeckt wird, auch der Selbstbetrug. Auch wir sind davon nicht frei.
Herzliche Grüße
Deborrah

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Lutherdekade - Gedanken zum Reformationstag 2013

Lieber Luther,
erinnerst du dich? Wir zwei feiern heute Geburtstag. Genau seit einem Jahr korrespondieren wir. Vor einem Jahr habe ich dir geschrieben, aus meinem Zorn heraus, dass der Reformationstag deinen evangelisch – lutherischen Kirchen keinen Gottesdienst mehr wert ist. Ein inneres Bedürfnis, das ich verspürt hatte, aber ins Leere lief und sich deshalb in anderer Weise Bahn gebrochen hat.
Ich habe gerade auch nochmals die 95 Thesen, die ich vor einem Jahr aufgeschrieben habe, gelesen. Jede einzelne ist noch genauso gültig und stimmig für mich wie letztes Jahr, vielleicht noch mehr.
Heißt das, keine Veränderung? Das kann man nicht sagen. Was den Zustand deiner Kirche anbelangt, sicher nicht, da geht es eher weiter bergab. Deine katholischen Brüder erleben mit der eigenen Zunft ein Waterloo nach dem anderen. Wie ich letztes Jahr schon schrieb, krankt der Patient Kirche schwer an sich selber,
an den eigenen Abgründen,
am Geblendet-sein vom Tand. von fremden Göttern, von Blendern,
am verheerenden Zustand der Institution Kirche,
an der sittlich, geistlich und spirituellen Erosion der kirchlichen Rolleninhaber.
Äußere Schätze stehen vor inneren,
der Umgang der Amtskirche mit Kritikern und Abweichlern ist nach wie vor unsäglich.
Es dominiert entgeistigter Zeitgeist,
billig produzierte geistige Wellness von der Stange oder Internet.
Die Litanei ist unverändert seit letztem Jahr, angereichert mit aktuellem Anschauungsunterricht, in dessen Folge sich viele Kirchenmitglieder mit Grausen abwenden und die Beine in die Hand nehmen.
Auch du bist in vieler Munde, schließlich sind wir in der sogenannten Lutherdekade. Deiner Reformation zu gedenken, reicht schließlich kein Tag oder Jahr, man braucht schon ein Jahrzehnt. Vielleicht wirst du einfach auch nur in Beschlag genommen, um im Gespräch zu bleiben. Schon bei der Benennung dieser Dekade haben die Absetzbewegungen von dir eingesetzt, wie bezeichnend.
"Luther"-Botschafter will man nicht sein (Frau Käßmann) und von "Luther"-Dekade nur in Gänsefüßchen reden, man spricht von unangemessener Engführung auf eine Person – du bist gemeint. Und – wie kurios – das EKD-Projekt "Reformdekade" ja nicht mit der Luther-Reformationsdekade verwechseln. Nichts als Eitelkeiten, lieber Luther, aber immerhin restaurierte Kirchen und Plätze. Dir würde grausen, ob all der Indienststellung deines Namens für ganz unheilige Zwecke.
Die Großen kümmern sich unverändert nach wie vor um Prunk und schönen Schein, das Fußvolk ringt, ziemlich allein gelassen, um den Glauben, versucht in der Wüste und Einöde die suchenden Seelen nicht verhungern zu lassen, immer in Gefahr selbst zu verhungern. Das nährende Brot, die Unterstützer sind rar, es herrscht, insbesondere unter den Berufskirchlichen, viel geistige Dürre. Ein Ausdruck, der eher in deine Zeit passt, der aber den Kern genau trifft.
Als guten Aufhänger nimmt man dich gern. Heute beginnt ein neues Jahr in der ausgerufenen Luther(????)dekade mit dem Schwerpunkt "Reformation und Politik", innere und äußere Freiheit, Paradies und Politik. Was hat das Ganze eigentlich mit Glauben zu tun? Interessiert das Ganze eigentlich jemanden außerhalb derjenigen, die Teil der Fest-Inszenierung sind und derjenigen, die politikhalber mitspielen, die innerkirchlichen und außerkirchlichen Profiteure? Interessiert eigentlich die Masse der Gläubigen oder nur die Kasse?
Lieber Luther, letztes Jahr war ich voller Zorn über den Zustand deiner Kirche. Er hat sich nicht gebessert. Im Gegenteil. Wenn ich auf mein eigenes "Kirchenleben" blicke, so mag im Augenblick weder Kampfgeist, noch Andacht, noch Geist aufkommen, nur noch ein schwarzes Loch. Ich laufe nicht einmal mehr ins Leere oder auf, ich laufe gar nicht mehr hin. Eigentlich nur noch Trauer.
Wenden wir den Blick lieber ab. Schauen wir doch lieber in die Bibel. Da finde ich den Tröster, der hilft mir weiter, als der Blick auf Kirche. Deshalb Schluss nun, damit noch Zeit für das Wesentliche bleibt.
Reformatorisch gestimmt,
herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 27. Oktober 2013

Geisttaufe

Lieber Luther,
ich bin gestern mit meinen Gedanken zur Taufe nicht zu Ende gekommen. Ob man das je tut, ist die Frage. Wir erkennen immer nur Teile von Gottes Wahrheit, wir sind schon sehr begrenzt.
Das Geschehen bei Jesu Taufe sind ohne die Erklärungen, die Johannes gibt, dessen Auftrag die Taufe ist, die Taufe zu leben, zu erklären, zu verbreiten, kaum zu erfassen. Johannes lebt für die Taufe, Johannes lebt, um Jesus zu taufen, um Jesu Taufe in die Welt zu bringen. Gott bewirkt durch Johannes, dass die Taufe mit dem Heiligen Geist wird in der Welt. Jesus ist hier, wie in allem was zu Gott führt, derjenige, der uns vorangeht. Nach Jesu Taufe ist auch unsere Taufe mit dem Heiligen Geist möglich. Vorher war dies nicht der Fall. Jesu Taufe ermöglicht auch uns die Nachfolge. Jesu Taufe ist die Gottes Initiation der Geisttaufe. Deshalb sagt Jesus zu Johannes: Lass es geschehen.
Johannes bringt, um das Taufgeschehen zu erklären, zwei Bilder:
Der Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Die Spreu wird vom Weizen geschieden und ins Feuer geworfen.
Jesus schaut sich alle Bäume an, diejenigen, die keine Frucht bringen, werden an der Wurzel abgehackt. Der unfruchtbare Baum, das tote Holz, wird verbrannt, die Wurzeln bleiben. Der Baum kann neu treiben, hat eine weitere Chance, ein fruchtbarer Baum zu werden.
Jesus scheidet Fruchtbares von Unfruchtbarem, er schließt uns für Gott auf, drischt uns, so dass die Spreu von uns abfällt, lässt uns neu wachsen. Sein Feuer brennt ewig, so dass alle Spreu, alles tote Holz verbrennen kann.
Jesus tauft mit dem Heiligen Geist und mit Feuer. Beides ist nicht zu trennen. Das Taufwasser spült unsere Seelen frei von allem Müll, der sich auf sie gelegt hat und macht sie empfänglich für Gottes Geist, lässt Gottes Geist in sie einfließen, lässt uns in Gottes Geist eintauchen – das griechische baptizo – taufen – heißt eintauchen. Gottes Geist taucht in uns ein und wir in seinen Geist. Das heißt Geisttaufe. Das tatsächliche Eintauchen in Wasser bei der Taufe verbildlicht unser Eintauchen in Gottes Geist, das Wasser verbildlicht Gott als die Quelle des Lebens, reinigend und nährend.
Bei Jesu Taufe öffnet sich der Himmel, der Heilige Geist fließt in ihn ein, Gott sagt: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Das geschieht in Jesu Nachfolge auch bei unserer Taufe: Gottes Geist fließt in uns ein, Gott sagt zu mir, du bist mein liebes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe. Gott begründet unsere Kindschaft mit der Taufe. Die Taufe begründet den "direkten Draht" zu Gott, ob wir seine Stimme hören oder nicht. Sein Geist ist mit uns und wir sind Teil seines Geistes. Die Taufe ist das Herzstück des christlichen Glaubens, unserer Beziehung zu Gott in Jesu Nachfolge. Ohne Taufe ist das nicht möglich.
Deshalb ist auch das Letzte, was Jesus seinen Jüngern mitgibt:
"Geht nun hin und lehret alle Völker und
taufet sie im Namen des Vaters
und des Sohnes und
des heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" (Matth 28, 19-20).
Jesus hat bei der Taufe die Worfel in der Hand, scheidet das, was den Geist hindert, in uns einzufließen, mit der Taufe von uns ab, macht es möglich, dass Gott den Heiligen Geist in uns einfließen lässt. Diese Dreiheit begründet die Einheit in der Taufe, Trinitatis.
Lieber Luther, diese Erkenntnis hallt so stark in mir, ich möchte weinen. Weiteres ein anderes Mal.
Herzliche Grüße
Deborrah

Taufwasser

Lieber Luther,
es hat etwas gedauert, bis ich mich nach dem Ausbruch letztens wieder gefangen und zu meiner Sprache gefunden habe. Wenn mich auch ein Teil deiner Zunft manchmal zur Weißglut treibt, ändert das nichts an meinem Glauben. Wende ich den Blick weg von Kirchengemeinden und hin ins Leben, dann elektrisieren mich die Fragen, die Menschen zum Glauben stellen, insbesondere junge Menschen. Es ist schön, dass sie Fragen stellen, keine leichten Fragen, Fragen die ins Mark gehen. Wenn das keine Herausforderung ist? Wenn wir keine Antworten haben, ist es nicht verwunderlich, wenn sie sich abwenden. Um eine solche Frage geht es heute:
Wieso ist es erlaubt, seine Kinder taufen zu lassen, obwohl sie die Entscheidung nicht selber getroffen haben und eine Taufe nach dem Verständnis der Kirchen nie "rückgängig gemacht” werden kann, fragt eine Siebzehnjährige.
Bei der Diskussion, die sich um meine Antwort entwickelte, merkte ich, dass ich mich zwar schon verschiedentlich mit dem Abendmahl, aber, mit einer eher unerfreulichen Ausnahme, nicht mit der Taufe beschäftigt habe. Dieses Versäumnis will ich heute nachholen. Es ging um lutherisches und pietistisch-calvinistisches Taufverständnis, selbst auf Twitter gab es Bewegung. Diese Diskussion hat mich auf dem linken Bein erwischt.
Wenn ich ehrlich bin, will ich mich nicht lange mit theologischen Auseinandersetzungen aufhalten, das überlasse ich den Theologen. Mich interessiert mehr, was ich aus der Bibel lesen kann (Matth 3).
Johannes, der Gleichaltrige, erkannte Jesus schon, als sie beide noch im Bauch der Mutter schwammen. So sagte er auch, als er später taufend durch die Lande zog: Ich taufe mit Wasser zur Buße, es wird aber einer kommen, der euch mit dem Heiligen Geist und Feuer taufen wird, er wird mit der Worfel die Spreu vom Weizen trennen, seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit ewigem Feuer verbrennen (Matth 3,11). Genau das passiert mit der Taufe.
Zunächst: Wieso lässt sich Jesus überhaupt taufen? Johannes ziert sich, wie kann ein Mensch, der mit Wasser tauft, einen taufen, der mit dem Heiligen Geist tauft? Das ist irgendwie verdrehte Welt. Jesus sagt: Lass es jetzt (so sein)! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Was will er damit sagen? Lass es SEIN. Die griechische Wortwurzel (dike) liefert die Antwort: Das Geschehen soll weisen, es soll zeigen. Das kann es aber nur, wenn es geschieht. So gibt Johannes nach und Jesus steigt ins Wasser.
Wasser ist der Quell des Lebens. Mensch wird im Wasser, im Fruchtwasser. Wasser ist das Element, in dem er zu seiner physischen Gestalt heranwächst. Leben kommt aus Gott und wächst im Wasser, in kindlicher Unschuld und Reinheit. Ein ungeborenes Kind ist noch ganz beseelt vom Göttlichen. Wasser ist unsere erste Heimat, das Element, in dem wir uns geborgen fühlten, ohne zu wissen, was das eigentlich ist. Das Taufwasser erinnert an diese göttliche reine Heimat, bringt uns – nachdem wir angelandet sind – zurück in die göttliche Heimat.
Johannes ist wütend, als er die Pharisäer zur Taufe kommen sieht. Was fällt euch ein zur Taufe zu kommen? Und wenn ihr schon kommt, dann nehmt das ernst, bereut euer unheiliges Leben ehrlich, kehrt um, bringt in Zukunft Frucht. Glaubt nicht, dass Gott nicht ehrliche Reue und Umkehr von Pharisäertum unterscheiden kann. Er kann Weizen von der Spreu unterscheiden und er hat die Worfel in der Hand, die die Spreu vom Weizen scheidet. Jeder Weizen hat Spreu. Bevor der Weizen zu Brot werden kann, nähren kann, muss er von der Spreu befreit werden. Jesus drischt uns, damit die Hülsen, die Grannen, die Samenhüllen, die Spelzen von uns abfallen. Die Worfel ist die Taufe, das Taufwasser. Mit der Taufe sind wir bereit, gute Frucht zu bringen, können nähren. Jesus ist auch Mensch und darin keine Ausnahme. Sein Wirken, seine Wundertaten, beginnen bei der Hochzeit vonKanaan, sie beginnen nach der Taufe.
Johannes, der Wissende, sagt: Er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er im ewigen Feuer verbrennen. Mit der Taufe, mit dem Taufwasser fällt die äußere Hülle, die den fruchtbaren Kern verdeckt, und wir finden uns in Gottes Tenne wieder. Jesus sammelt mit der Taufe sein Volk auf seiner Tenne. Johannes taufte mit Wasser. In den Bibelübersetzungen steht, er taufte, indem die Menschen ihre Sünden bekannten. Das griechische Wort für Sünden ist Harmartia. Das heißt zunächst ganz neutral, das Ziel verfehlen (nach Elberfelder Studienbibel). Wann "Sünde" daraus geworden ist, vermag ich nicht zu sagen, aber Johannes hat sicher das gemeint: Kehrt um, ihr Pharisäer, ihr habt das Ziel verfehlt, ihr bringt, so wie ihr lebt, keine Frucht.
Und noch etwas sagt uns Johannes: Das Weizenkorn muss gedroschen werden, damit die Spreu von ihm abfällt. Die Spreu wird Jesus ins Feuer werfen und im unauslöschlichen Feuer verbrennen. Das ist eine gute Nachricht. Die Spreu ist der Teil des Weizenkorns, der keine Nahrung gibt, die Hülse, die nichtfruchtbare Hülle des Weizenkorns. Jedes Weizenkorn hat eine Hülle, jeder Mensch einen Teil, auf den er verzichten kann, der den Blick auf sein Innerstes, auf Gott verstellt, der verhindert, dass er nähren kann, zu guter Frucht wird. Mit der Taufe wird diese hinderliche Hülle weggespült und gibt unseren fruchtbaren Kern frei.
Taufe heißt eintauchen in Gott, in die Tiefe der Quelle des Lebens, in die Fruchtblase Gottes, in seinen Bauch, in seine Geborgenheit, in seinen Schutz. Er nährt mich mit seiner Nabelschnur. Mit der Taufe werde ich in Gott geboren, werde sein Kind.
Lieber Luther, wieso ist es erlaubt, Kinder taufen zu lassen, obwohl sie die Entscheidung nicht selbst getroffen haben. Ist das wirklich unsere Entscheidung? Jesus hat die Worfel in der Hand, nicht wir. Wie lang ein Korn gedroschen werden muss, bis die Spreu von ihm abfällt, ist unterschiedlich, aber der Tag wird kommen, an dem sie abfällt. Jeder Augenblick, der mich von Gott trennt, ist ein verlorener Augenblick, ist Spreu. Ich wurde getauft, als ich 4 Wochen und 1 Tag alt war und bei dir war es sicher nicht viel anders.
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Wie du wohl gemerkt hast, bin ich nicht bis zu den offenen Himmeln gekommen. Jesu Taufe passt nicht in einen einzigen Brief. Über die Taufe im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes schreibe ich dir – hoffentlich – morgen.

Montag, 7. Oktober 2013

Zensur

Lieber Luther,
heute ist Erntedank. Eigentlich ein Freudentag, ein freundlicher Tag, denn es ist ein Tag, an dem wir Gott danken sollten, für ein Jahr des Säens, Wachsens, Erntens. Eigentlich. Leider ist daraus ein Tag geworden, der mich wiedermal an der organisierten Form des Glaubens, an Kirche zweifeln und fast verzweifeln lässt. Wohlgemerkt, ich rede von Kirche, nicht Glauben. Vielleicht muss ich mich einfach auch mal wieder auskotzen und hinterher ist es wieder besser, auch wenn es bitterböse daherkommt, das ist mir bewusst.
Dass ich das hier wieder einmal niederschreibe, hinausschreie, öffentlich mache, ist Teil der Geschichte, meiner Auseinandersetzung mit Kirche, meinem Kirchenalltag. Ich muss mir darüber klar werden: Tue ich mir das noch an oder lasse ich es? Passt zur Tagesfrage bei glauben2017: Warum ist es oft so schwer "rüberzubringen”, dass Religion nichts Bedrückendes ist? Mich bedrückt der sonntägliche Gottesdienst oft sehr. Wieso gehe ich, wenn ich jeden Sonntag bedrückter aus der Kirche gehe als ich gekommen bin?
Die Kirche war heute schön geschmückt und recht voll. Das ist zunächst positiv. Jedoch, es war nur äußerer Putz, reine Fassade. Das liturgische Gebet zum Eingang war poetisch, aber aufgewärmt, bereits am Sonntag vorher im Einsatz, was unüblich ist. Ist zwar in Sachen Gottesdienstvorbereitung ökonomisch, das lange Wochenende lässt grüßen, für den regelmäßigen Gottesdienstbesucher, eine Spezies die zugegebenermaßen nicht sehr häufig anzutreffen ist, aber verwunderlich. Die Überlegung, dass sicher nicht viele Menschen an zwei Sonntagen hintereinander in die Kirche gehen, trifft sicher zu, aber zähle ich nicht? Bin ich nicht der Mühe wert? Was ist das für ein Signal? Oder aber war die Überlegung: Hört sowieso niemand zu, fällt sicher keinem auf, was sich auch nicht sehr wertschätzend anfühlt für die, die überraschenderweise nicht dem Kirchenschlaf fröhnen oder ihre Gedanken anderswo haben.
Der Predigttext heute leuchtete unsichtbar wie bei Nebukadnezar als Menetekel an der Wand:
Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden, sie werden von Motten und Rost gefressen, sammelt Schätze im Himmel (Matth 6, 19-21).
Auf der Predigt scheint die Energie nicht gelegen zu haben. Heraus kam eine grottenschlechte Predigt, bei der ich – was selten ist – Mühe hatte, dass meine Gedanken nicht abschweiften. An Erntedank, dem Dank an die Natur, war vom Internet die Rede, von Facebook. Eine Art Generalabrechnung mit der digitalen Welt. Statt Spiritualität wurde Internet gegeben.
Der Tenor war: Wieso muss man alles im Internet teilen, auf Facebook oder Google, insbesondere die Jüngeren. Ohne Facebook Profil, so denke die Internet-Schein-Gemeinschaft, sei es als ob man nicht lebe. Weil die armen Jugendlichen nicht im wirklichen Leben leben. Mal ein bisschen rausgehen, Freunde treffen. Platter und Unwissender geht es nicht mehr. Abgesehen davon, dass der Herr Pastor nicht auf der Höhe der Zeit ist – Facebook war einmal, es ist bei den Jüngeren so was von out, viel outer geht schon kaum mehr – haben sich die handvoll junger Menschen, die im Gottesdienst waren, sicher auf die Sweatshirtkapuze getreten gefühlt. Anstatt seine intimen Gedanken und Bilder zu posten, solle man sie doch lieber Gott mitteilen. Wie bitte? Was denkt sich angesichts einer solchen Anrede ein zwangsverpflichteter Konfirmand, andere Jugendliche sind ja –warum wohl? - nicht anwesend? Herr Pastor, Sie haben keine Ahnung davon, dass Jugendliche das Internet sehr sinnvoll zur Kommunikation nutzen und via Internet Lerngemeinschaften bilden, aktiv miteinander lernen, was in einem Flächenland wichtig ist und ein Segen. Schnell abhaken.
Oder waren die vielleicht gar nicht gemeint? So von gestern kann er doch unmöglich sein? Dann die Hauptkirchenbevölkerung der über 65jährigen? Die haben wahrscheinlich weiten Teils gar nicht verstanden, von was der Herr Pastor geredet hat. Oder wissen die, was eine "Cloud" ist? Auch nicht?
Da kommen wir der Sache schon näher. Ja, nicht nur die Jungen haben sich an den Pranger gestellt gesehen, auch ich. Ich veröffentliche viel und durchaus auch Gedanken, die mich beschäftigen. Wieso trage ich das nicht nur vor Gott, sondern auch in die Blogs? Das ist es offensichtlich, was stört.
Das kann man einerseits verstehen. Das ist unbequem, wenn man so einen Querulanten dazwischen hat, wenn jemand zuhört und auch noch wagt, das ein oder andere kritisch zu hinterfragen, auch noch so öffentlich. Oder halböffentlich, schließlich ist ja nicht bekannt, um welche Kirchengemeinde es geht. Das stört die Gemächlichkeit. Lieber im eigenen Kirchengemeinde-Saft braten, das ist berechenbarer und lenkbarer. Wo kommen wir hin, wenn das jeder tut? Eine Zumutung für jeden Pastor.
Wer denkt, Pastor regelt das im Gespräch, der irrt ganz gewaltig. Selten habe ich so viel Stummheit, Sprachlosigkeit, mangelnde Kommunikationsfähigkeit erlebt wie bei Pastoren. Die Mehrzahl steht hier bewusst. In Unternehmen kann man sich so viel Sprachlosigkeit nicht erlauben. Also adressiert der Pastor die Botschaft dort, wo er Hoheitsgewalt hat und der Zuhörer sich nicht wehren kann: im Gottesdienst, in der Predigt. Manchmal hätte man Lust einfach dazwischenzurufen: Was redest du für einen Unsinn. Vielleicht müsste man das einfach mal tun, das würde bestimmt Leben ins Gotteshaus bringen.
Andererseits ist es genau das, was an Kirche bedrückt. Es ist nicht die Schrift, nicht der Glaube, es ist die Organisation und das Personal der Organisation. Immer wieder bringt es mich an die Grenzen meiner Toleranz und Duldungsfähigkeit, immer wieder setzt der Fluchttrieb bei mir ein, immer wieder kommt der Zorn in mir hoch. Immer wieder muss ich mit mir kämpfen, um nicht auch mit den Füßen abzustimmen.
Die Qualität der Gottesdienste schwankt stark, je nach diensthabendem Geistlichen und selbst bei den besseren sind wirklich gute Predigten eher selten. Letzte Woche gab es eine sehr gute Predigt, heute eine miserable, letzte Woche sehr spirituell, heute unterirdisch. Was ich für gut halte oder nicht gut, darin bin ich höchst subjektiv, das nehme ich auch so für mich in Anspruch. Schließlich gehe ich in die Kirche, damit ich am Ende etwas daraus ziehe, sonst könnte ich es lassen. Die Mehrzahl lässt es schon lange und die Frage ist, ob ich dazugehören will oder notgedrungen muss. Wollen tu ich es sicher nicht, es ist die Frage, ob ich es noch aushalten kann.
Das Internet, mit seiner Freizügigkeit auch in Glaubenssachen, scheint manch einem kirchlichen Rollenträger ein Dorn im Auge. Wieso müssen die Leute so etwas Intimes wie ihre Gebete, ihre Gespräche mit Gott, ihre Glaubenserfahrung im Internet, in Blogs posten? Überflüssig, falscher Ansatz, ist die Botschaft, da verfehlt man Gott. Man möchte fragen: Was ist der Unterschied zum Buch? Es gibt doch auch Bücher, in denen Gebete, Schriftauslegungen, Glaubensfragen erörtert werden. Die werden doch auch verkauft. Der Unterschied ist, dass der Markt da unter wenigen aufgeteilt ist, die die Marktführerschaft haben, die beruflich Berufenen. Das Internet hat uns von diesem Auslegungs- und Deutungsmonopol befreit. Ein Trumpf, der sticht, wenn auch nicht unbedingt für das, was ich organisierte Kirche nenne.
Ok, wieso benutze ich das Internet, um mich mit Glaubensfragen auseinanderzusetzen, wieso erlaube ich mir, mich zu Glaubensdingen zu äußern, obwohl ich kein Kirchenprofessioneller bin, nicht Theologie studiert habe? Eine Anmaßung, so scheint es, für den ein oder anderen Theologen. Vorweg möchte ich schicken, dass natürlich nicht alles schwarz oder weiß ist. Es gibt sicher viele Geistliche, die eine hervorragende Arbeit machen, die vielen Menschen helfen. Dennoch drücke ich mich nicht, ich will die Frage – ganz subjektiv - beantworten, bewusst akzentuiert und bewusst politisch inkorrekt, um die Dinge auf den Punkt zu bringen:
Ich setze mich mit Glaubensfragen im Internet auseinander,
weil ich an euch Kirchenprofessionellen verhungere,
weil ich mich mit euch nicht auseinandersetzen kann,
weil eure distinguierten Bibelkreise kein Forum ist, in dem man sich wohlfühlen kann,
weil ihr Glaubensseminare macht, bei denen man vom Glauben abfällt,
weil eure Zirkel ausgrenzen,
weil ihr alles abblockt, was nicht ins gewohnte Schema passt,
weil ihr nicht authentisch seid,
weil man sich schon an der Kirchentür verwundert die Augen reibt, weil ihr schon vergesssen zu haben scheint, was ihr gerade verkündet und von den Zuhörern, sofern welche vorhanden waren, eingefordert habt,
weil ihr nicht vorlebt, was ihr verkündet,
weil ihr nicht so glaubhaft seid, dass man an eurem Beispiel lernen könnte,
weil ihr mehr Glaubenszweifel vermittelt als Glaubenserfahrungen,
weil ihr in Sachen Glauben lieber auf andere verweist als auf euch selbst,
weil ihr es nicht versteht, weite Teile der Gläubigen anzusprechen und einzubeziehen,
weil ihr längst die Definitionshoheit verloren habt, wie Kirche und Glauben zu leben ist, ihr es nur noch nicht richtig gemerkt habt,
weil man sich bei euch fragt, seid ihr wirklich berufen oder tut ihr euren Beruf,
weil ihr mehr Sozialarbeiter seid als Gottesarbeiter,
weil ihr den Menschen nicht vorangeht, keine Hirten seid,
weil ihr den Menschen nicht zeigt: hey, Glauben geht, ich zeig dir, dass es geht,
weil ihr zurückschreckt vor dieser Verantwortung, vor direkter Nachfolge,
weil ihr euch und eurem Glauben nichts zutraut,
weil man bei dem ein oder anderen das Gefühl hat, dass er Gott gar nicht kennt,
weil ihr stumm seid und euch den Fragen der Suchenden nicht stellt,
weil ihr euch lieber als Mitsucher gebt, denn als Wegweiser, falsch verstandene Verbrüderung,
weil Blog- und Internetgemeinden viel lebendiger sind als eure Kirchengemeinden,
weil sich die Gläubigen längst – dank Internet – zu ortsunabhängigen Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben,
weil sie sich gegenseitig helfen, das Loch zu schließen, die Fragen zu beantworten, die ihr nicht beantwortet,
weil wir dort welche finden, die ihre Glaubenserfahrung mit mir teilen.
weil ich allein mit euch im Glauben verloren wäre und mir viele Dinge selbst erarbeiten muss,
weil ich, was ich erarbeite, gern teile, vielleicht gibt es dem ein oder anderen einen Denkanstoß, vielleicht eckt es auch an, vielleicht bewegt es,
weil, wenn es auch nur einen einzigen außer mir bewegt, sich gelohnt hat und
weil sich die Auseinandersetzung lohnt selbst, wenn es nur mich bewegt, d.h.
weil ich Gewinn für mich aus dieser Auseinandersetzung ziehe,
weil ich es nie so strukturiert, genau und systematisch tun würde, wenn ich nur denken würde, ohne zu schreiben, ohne zu veröffentlichen,
weil mich jede Veröffentlichung vorher zur Rücksprache mit Gott zwingt,
weil ich tun will, was in meinen Möglichkeiten steht,
weil ich weiß, was Glauben, Gotteserfahrung ist und davon erzählen will,
weil das Internet jedem die freie Wahl lässt, zu lesen, was ich schreibe oder nicht,
weil im Internet eine Wahlfreiheit besteht, womit ich mich auseinandersetzen will oder nicht.
Ob es passt oder nicht, ich lasse mich nicht schreib-mundtot machen, ich lasse mich auch nicht von der Kanzel zensieren, auch wenn ich das abkanzeln nicht verhindern kann, es sei denn, ich bleibe dem Gottesdienst fern. Lieber Luther, dieser Beitrag erinnert mich irgendwie an die Wurzeln dieses Blogs vor knapp einem Jahr. Das macht mich eher traurig, denn eigentlich ist es zum Heulen. Ich denke, du bist da ganz bei mir. Mal sehen, ob ich wieder in die Kirche finde, vielleicht freut man sich auch, wenn man mich los ist....
Herzliche Grüße
Deborrah.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Warum glauben Menschen an Gott?

Lieber Luther,
zu deiner Zeit war – unabhängig, ob die Menschen in die Kirche gingen oder nicht – Glaube noch fest verankert in den Menschen. Dieser Anker ist in weiten Teilen der westlichen Kultur längst verloren gegangen, verschüttet worden. Die Menschen erkennen, sehen ihn nicht mehr, sie treiben ankerlos im Strom der Zeit. Viele Menschen können nicht mehr einfach glauben, sie fragen nach "Beweisen" für Gott. Warum glauben Menschen an Gott? Der gläubige Mensch wird hinterfragt, als ob er irgendetwas hätte oder nicht hätte, das der wissenschaftlichen Erklärung, des Beweises bedarf.
Mensch denkt, es besteht nur, was er mit seinen sieben Sinnen begreifen und mit seinen selbstgestrickten Denkmodellen nachvollziehen, "beweisen" kann. Heute erklären und beweisen wir die Welt so, und wenn das wissenschaftlich überholt ist, beweisen wir sie eben anders. Wir beweisen, wie und was wir gerade vermögen oder eben nicht. Heute ist die Erde eine Scheibe, morgen eine Kugel. Psychologisch-soziologisch-historisch-naturwissenschaftliche Erklärungsversuche sind nichts als begrenzte Versuche, die die Zeit nicht überstehen und Glaube als Ganzes nicht erklären können, so wenig wie sie den Menschen als Ganzes erklären können. Wenn noch nicht einmal Mensch, der irden fassbar ist, in seinem ganzen Sein konsistent "beweisbar" ist, wie wollen wir Gott "beweisen"? Hierin sind dem Menschen in seiner ihm innewohnenden Beschränktheit natürliche Grenzen gesetzt.
Gott braucht keinen Beweis in diesem menschlich wissenschaftlichen Sinn, auch nicht im historischen Sinn. Er zeigt sich in einem und wirkt im Alltag erlebbar. Die Bibel erzählt davon, in Gleichnissen, Bildern, wahren Begebenheiten. Wer in der Bibel Historie sucht und nicht Gott, verfehlt die Botschaft. Glauben hat keinen Beweis, Glauben braucht keinen wissenschaftlichen Beweis oder Begründung. Glauben braucht Weisheit und Verstand. Wer einen Beweis braucht, glaubt nicht.
Die Frage, warum Menschen glauben, ist eine Frage nach dem Grund. Sie meinen, alles was existiert, müsse einen nachvollziehbaren Grund haben, fassbar, beweisbar sein. Diese Frage stellen typischerweise Menschen, die nicht glauben. Sie fragen aber nicht, wieso glaube ich nicht, sondern, wieso gibt es Menschen, die glauben. Sie suchen die Antwort beim anderen anstatt bei sich selbst. Sie kehren die Beweislast um, als ob Glaube eine Rechtfertigung brauche, eine Begründung, Nichtglaube aber nicht. Sie denken, wenn diejenigen, die an Gott glauben, es nicht so beweisen können, dass ich das auch glaube, dann glaube ich nicht, dass Gott da ist, existiert. Wer glaubt wird dann gerne schnell in die Ecke und in eine Schublade gesteckt, ganz so als leide der Gläubige unter einer Krankheit. Aber vielleicht ist es ja gerade umgekehrt?
Menschen, die glauben, brauchen für sich keine Rechtfertigung für den Glauben. Für Menschen, die glauben, stellt sich die Frage, wieso sie glauben, nicht, weil Gott sich ihnen gezeigt hat. Gott ist da, Gott leitet und begleitet. Gott wohnt im GRUND ihrer Seele. Sie spüren diesen Grund. Sie erkennen ihn als den einzigen Grund. Aus diesem Grunde glauben sie.
Für Menschen, die glauben, ist Gott an sich ganz natürlich vorhanden. Es scheint eher so zu sein, das für diejenigen, die nicht glauben, diejenigen die glauben, ein Stein des Anstoßes sind. Sie stoßen auf Menschen, die sich hierin grundlegend von ihnen unterscheiden. Sie sehen anders, denken anders, haben andere Werte. Das stößt die Gedanken beim Nichtgläubigen an. Gott eckt an und fordert heraus, zeigt ihm seine menschlichen Denk-, Seh-, Erfahrungs-Grenzen auf. Gott fordert ihn auf, sich aufzuschließen und ihm die Tür zu öffnen. Er kommt gern, wenn man sie aufmacht.
Lieber Luther, eigentlich brauchen wir uns nicht über Glauben zu unterhalten. Du weißt was das ist, ich weiß es. Es gibt aber viele Menschen, die es nicht wissen. Die Frage ist, kann man "beweisen", dass Gott existent ist? Gotteserfahrung ist Erfahrungswissen, keine Wissenschaft. Deshalb können wir nur erzählen, was wir erfahren haben, was Glauben im Alltag heißt, ganz subjektive Gotteserfahrung, nicht pseudo-objektiver Gottesbeweis. Ich denke, mehr vermag der Prediger nicht, mehr ist uns nicht gegeben und nicht aufgetragen. Die Tür zu Gott suchen, muss jeder selbst, dann hilft er auch, sie aufzumachen. 
Ich weiß, dass deine Tür schon sperrangelweit aufsteht. Die Tage werden kühler. Pass auf, dass du dir keinen Zug holst.
Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 21. September 2013

Determination - Selbstbegrenzung

Lieber Luther,
heute fasse ich ein heißes Eisen an. Angeregt wurde ich dazu durch eine Frage bei glauben 2017, an deren Beantwortung sich bis jetzt noch keiner gewagt hat. Es ist die Frage nach der Determination, unserer Determination durch Gott und – anscheinend entgegenstehend – unsere Willens-, Handlungs-, Entscheidungsfreiheit.
Das ist eine hochphilosophische Frage mit vielen Antworten. Eine letztendliche "wahre" Antwort gibt es nicht. Die Art der Beantwortung der Frage hängt daran, wie man sich zur "Determination" stellt, welchen Schulen und Denkmustern man folgt. Das heißt, unsere Antwort ist schon von unseren – bewussten oder unbewussten - Prägungen und Festlegungen geprägt. Im Folgenden ein paar Denkanstöße.
Existiert "Welt" tatsächlich in Ursache mit zwangsläufigen Folgen und Wirkungen oder ist das nur ein Denkschema menschlichen Ursprungs? Eine Hilfskonstruktion, um die Welt für uns erklärbar zu machen? Damit wir die Macht (oder Herrschaft?) über die Welt nicht verlieren? Weil uns das Angst macht, die Macht über die Welt zu verlieren? Ist das nicht ein Denkkonstrukt, das unsere Denkfreiheit einschränkt und in einer Weise kanalisiert, die uns den Blick auf das Universale, auf Gott, verstellt? Brauchen wir auf alles Antworten? Wieso? Gott ist metaphysisch. Jede Antwort, die ihn betrifft, lässt sich empirisch nicht überprüfen. Muss mich diese Diskussion, um Determination überhaupt interessieren oder determiniere ich mich da nicht selbst?
Geht das überhaupt: vollkommene Willens- und Entscheidungsfreiheit? Die neuere Hirnforschung sagt, vollkommene Willensfreiheit gibt es nicht. Sind wir nicht geprägt schon vom Mutterleib an, vom ersten Augenblick meines Entstehens? Werde ich eine Frau oder ein Mann? Habe ich das entschieden? Nein? Wer dann? Zufall oder höherer Wille? Muss ich das entscheiden? Wer zwingt mich dazu?
Die Frage ist also, wenn Gott ist, wenn Gottes Wille ist, wenn ich aus Gott komme und am Ende wieder ganz mit ihm vereint bin, wenn Gott in mir ist und er meine Wege leitet, bin ich dann von ihm bestimmt? Ist das, was ich tue in meinem Willen oder in seinem Willen? Bin ich seine Marionette, sein Werkzeug? Wo bleibt da meine Willens- und Handlungsfreiheit? Bestimmt Gott oder bestimme ich, was ich tue und lasse? Gibt es da eine feste Ursache – Wirkungsabfolge? Beten wir nicht "dein Wille geschehe"? Um die Frage auf den Punkt zu bringen: Ist Gott Ursache, bin ich vorherbestimmt Folge und im meinem Willen, meinen Entscheidungen und in meinem Handeln so bestimmt, das mein Leben genau so abläuft, wie es abläuft oder habe ich da auch noch eine Möglichkeit mitzubestimmen? Wobei man fragen kann, wieso ist das so wichtig für uns, dass wir selbst bestimmen? Dieser Frage will ich aber jetzt nicht nachgehen.
Diese Fragen nach der Determination hängen wie ein Damoklesschwert über dem Gläubigen. Soll ich Glauben Gott ist Realität oder ist er ein menschliches Konstrukt, um unser Wohlbefinden zu verbessern, etwas, an das wir uns klammern können, um uns von unserer Verantwortung für das Hier und Jetzt davonzuschleichen und uns die Angst vor dem Nichts nach dem Tod zu nehmen?
Gott ist unser Ausgangs- und Endpunkt. Heißt das zwangsläufig, wir sind von ihm in all unserem Tun, Entscheiden und Handeln von ihm bestimmt? Das das was ist, zwangsläufig so ist und nicht anders sein kann. Oder ist es nicht so, dass ich aus freiem Willen ihm nachfolge, Jesus nachfolge. Das Bild von Gott als Vater hilft uns bei dieser Nachfolge, da wir – idealerweise – mit Vater Liebe und Sorge verbinden. Ob Vater oder Mutter spielt hier absolut keine Rolle. Das ist eine Prägung auf "Eltern", die schon im Mutterleib beginnt. Nicht nur wir, sondern auch Tiere haben sie. Gott ist mein freier Wille, meine freie Entscheidung, mein freies Handeln. Alles an Gott und meinem Verhältnis zu Gott ist eben nicht determiniert, sondern ist vollkommen frei. Ich muss nicht an ihn glauben, ich muss ihm nicht nachfolgen. Auch in der Art, Gott zu denken, bin ich vollkommen frei. Keiner kann mich zwingen, einem kirchlichen Dogma, einer Lehrmeinung zu folgen, keiner kann mich zwingen für wahr zu halten, was in der Bibel steht. Ich bin darin frei und eben nicht determiniert. Ein Blick in die Realität zeigt, dass das auch der Lebenswirklichkeit entspricht.
Gott wirkt, bewirkt. Auch das ist für den gläubigen Menschen eine Tatsache. Aber ist das eine Ursache-Wirkung-Bestimmtheit des Menschen? Oder ist es gerade umgekehrt: Mensch bestimmt und Gott folgt? Eine interessante Umdrehung der Verantwortlichkeiten.
Der Mensch als Wesen und im Wesen Teil von ihm Seiender, entscheidet, handelt, gut oder böse oder in Abstufungen dazwischen, voll verantwortlich für all sein Tun. Gott erkennt dieses Entscheiden und Tun des Menschen in all seinen Folgen und ist beim Menschen in all seinen Entscheidungen und Folgen. Gott ist mit uns, was immer wir tun. Er folgt uns, auch wenn wir ihm nicht folgen. Gott hat uns volle Handlungs-, Entscheidungs- und Ausführungsvollmacht gegeben: Macht euch die Erde untertan. Er folgt uns mit seiner Liebe und Barmherzigkeit. Gott bewirkt an uns seine Liebe als Echo auf unser selbstverantwortliches Tun. Er muss dies zwangsläufig tun, will er uns nicht verlieren. Auch das ist Lebensrealität.
Gott ist die Liebe, das ist ein für den Glaubenden wahres Wissen. Nicht nur Gott ist die Liebe, auch der Mensch will Liebe erhalten, von anderen Menschen, von Gott, von einem selbst. Mensch will Liebe geben und wenn er Liebe gibt, ist er ganz bei sich selbst. Liebe geben und Liebe nehmen, aktivieren im Gehirn die gleichen Regionen, und nicht nur im Gehirn, auch in unserem Herzen. Das ist der Punkt, in dem wir ganz bei uns sind und ganz bei Gott. Unbestimmt, frei, ohne Abgrenzung, ohne Getrenntsein.
In Liebe zu leben – äußerer und innerer, ist das universale Prinzip, ist die Vereintheit von Gott und Mensch. Das ist der Schnittpunkt zwischen Mensch und Gott. In ihm sind Gott und Mensch eins, absolut in Übereinstimmung und Frieden miteinander. Es gibt in diesem Punkt keine Ursache und Wirkung, kein oben und unten, keine Zeit, keine Willens-, Handlungs- und Entscheidungsfreiheit und auch keine Notwendigkeit, diese zu haben. Dort gibt es kein Gott und ich, keine Getrenntsein, kein Dualismus, kein Ursache-Wirkungsprinzip. Es ist ein SEIN, ein EINS-SEIN, ein GEMEINSAM-SEIN. Ist das nicht das Paradies?
Lieber Luther, "Determination" kommt aus dem Latein und heißt "abgrenzen, "bestimmen", "begrenzen". All das ist Gott, die Beziehung zu Gott, unsere Bestimmung in Gott eben nicht. Kann Mensch das nicht lassen, sich selbst zu begrenzen? Sich hin zu Gott zu begrenzen, sich von ihm abzugrenzen. Es fühlt sich gut an Gott und Glaube in Freiheit, in gedanklicher Unbegrenztheit zu leben.
Gott ist mein Anfangs- und Ausgangspunkt, Gott wirkt, Gott ist die Liebe, in der es kein Getrenntsein, keine Bestimmtheit, keine Determination, gibt. Aber ich glaube du weißt das.
Herzliche Grüße
Deborrah