Lieber Luther,
wir sind in der Karwoche. Es gibt Zeiten, da spürt man den, der uns trägt, mehr als in anderen Zeiten. Ich nenne sie "heilige Zeiten". Alles in mir ist aufgeregt, ohne einen äußeren Grund zu haben. Es liegt etwas in der Luft, das ich verstandesmäßig nicht fassen kann und trotzdem ist es etwas Anfassbares.
Heute, und eigentlich schon länger, beschäftigt mich das Wort "fromm". Ganze Bücher sind darüber geschrieben, "wild und fromm". Ich kann nichts mit "fromm" anfangen, es klingt nichts in mir auf, absolut nichts. Das hat mich schon mal betroffen gemacht. Habe ich da etwas nicht begriffen, fehlt mir da etwas? Was ist "fromm"? Kann man an "fromm", obwohl es häufig in kirchlicher Sprache auftaucht, einfach vorbeigehen und "fromm" nicht beachten.
Jetzt ist es mir im Sinne von "frömmeln" begegnet. Das bewegt mich nun doch. "Frömmele" ich und weiß es gar nicht? Der negative Touch ist mir klar, deshalb will ich da schon mal hinschauen.
Gute Frage, gibt folgende Antwort:
Seit Luther: fromm: fügsam, artig, religiös. [Da hast du den Salat, da wirst du wieder in eine unkundige Schublade gesteckt]
Frömmeln: fromm tun, Frömmigkeit zur Schau stellen
Fromm soll gottesgläubig, praktizierend, religiös "observant", d.h. beobachtend, befolgend, achtsam, aufmerksam sein.
Wenn ich das für mich übersetze, heißt "fromm" dann nicht "gläubig" sein? Wieso braucht man das Wort dann? Es stiftet nur Verwirrung, keep it simple, mit "glauben" hat man schon genug zu tun. Oder ist es das "zur Schau stellen" was "fromm" ausmacht? Das würde mit dem negativen Duktus von "frömmeln" einhergehen. Dann ist aber "fromm" nicht besser als "frömmeln".
Fromm den Glauben zur Schau stellen? In das Schaufenster stellen, damit es jeder sieht? Warum? Was ist die Motivation dahinter? Im Schaufenster sieht oft etwas ganz toll aus, im Alltag bewährt es sich aber nicht. Schaufensterdekorationen sollen verführen, zum Kaufen anregen.
Kirche heute, genauer gesagt die kirchlichen Rollenträger, egal ob evangelisch oder katholisch, benehmen sich oft so, Kirchengemeinde legt ihr Augenmerk darauf, Kirche so zur Schau zu stellen, ins Schaufenster zu stellen, dass wieder mehr Leute in die Kirche gehen, wieder eintreten anstatt auszutreten. Ob die so motivierten Menschen damit den Pastoren, Priestern, Wortverkündern mehr abkaufen, was sie sagen? Sind derartige "buy in" Versuche nicht mehr ein Glaubensausverkauf?
Man versucht neue Wege, sich zu präsentieren. "Go specials" werden initiiert, vermeintlich moderne Gottesdienstformen. Ein Beispiel: In den Gottesdiensten werden
"Fragen des Glaubens kreativ und lebensnah aufgenommen. Unsere Kirche ist fast jeden Sonntag gut gefüllt mit Menschen. Sie haben den Eindruck, als ob Sie einmal quer durch den Stadtteil gehen würden. Nicht nur Kirchenmitglieder, sondern auch konfessionslose Menschen und Mitglieder anderer Konfessionen kommen zu uns. In den Gottesdiensten ist das Klima einladend, unkompliziert und einbeziehend. Wir wählen Themen und Worte, die für alle Menschen verständlich sind und sie in ihrem Lebensalltag interessieren. Die Gottesdienste geben Impulse und keine fertigen Antworten."
Klingt wie eine Werbebroschüre. Ist das Jesu Nachfolge oder ist das Kirchenfüllen, um noch eine Daseinsberechtigung als organisierte Kirche in der jetzigen Form zu haben? Oder bin ich eine ewig Gestrige, ein Nestbeschmutzer, wenn ich wage, dieses redliche Bemühen in Frage und in den Raum zu stellen
Ist das nicht "frömmeln" in moderner Form was da betrieben wird? Ist Jesus den Leuten etwa nachgelaufen, hat er es seinen Zuhörern leichtgemacht, hat er ihnen nach dem Mund geredet oder sind sie nicht vielmehr ihm nachgelaufen und haben sein Wort so genommen wie es war, auch wenn es nicht sehr freundlich im Menschenverstand dahergekommen ist? Das ist eine spannende Frage, auch in ihrer Konsequenz, dazu schreibe ich dir nochmals später, dazu fällt mir jede Menge ein.
Gott begegnet man in der Stille, nicht im Radau. Liturgie ist kein veraltetes Ritual. In der Liturgie wird der Kern des Glaubens in Erinnerung gebracht, in das Gedächtnis zurückgerufen, damit das innere Gedächtnis sich erinnert. Sie soll gerade von der Oberflächlichkeit und den vordergründigen Problemen und Problemchen des Alltags wegführen. Das Vaterunser ist der älteste Teil der Liturgie.
Wie hat inneres Gedächtnis eine Chance, wenn Gottesdienste "abwechselnd" sind und damit auch in gewissem Maße beliebig. Sie lenken vom inneren Gedächtnis ab, anstatt sie hinzuführen. Gottesdienst braucht Stille und Einkehr, damit Gott in uns zu Wort kommen kann und wir ihn nicht in ablenkender "Abwechslung" überhören, wir nichts anderes im Gottesdienst tun als sonst auch: Uns auf unsere Alltagsprobleme zentrieren.
Liturgie hat für mich ihre eigene Macht, sie bewirkt Sammlung auf Gottes Gegenwart hin. Aber – ich ertappe mich manchmal selbst dabei – auch Liturgie birgt die Gefahr, dass man sie vor sich und in sich dahinplätschern lässt, ohne das notwendige Maß an Gesammeltheit, der Konzentration auf das, was in der Liturgie als Botschaft, als Wort, als Kern des Glaubens transportiert wird. Das ist nichts anderes als Meditation des gesprochenen Worts. Wer schafft es gesammelt und auf Gott zentriert ohne innere und äußere Ablenkung durch eine Liturgie zu kommen? Wir - ich denke die allermeisten Gottesdienstbesucher - haben da noch viel zu üben und es ist jedes Mal von neuem spannend, inwieweit mir das gelingt oder eben nicht.
Lieber Luther, Fragen über Fragen. Schade dass du so stumm bist. Man kann in all diesen Fragen schier ertrinken. Oder ist es gerade das, was uns in der Fastenzeit bewegen soll, fragend um Antwort bitten und sie auch bekommen?
Noch ein Blick in die Bibel, das ist eigentlich das Nächstliegende. Und siehe da, wo lande ich, bei Jesu Weherufen gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten, mit denen ich mich schon auseinandergesetzt habe. Zufall? Jesus nimmt kein Blatt vor den Mund, ob es gefällt oder nicht.
In der Version in Matth 8,27f heißt es:
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totengebeine und alles Unflats! Also auch ihr: von außen scheint ihr den Menschen fromm, aber inwendig seid ihr voller Heuchelei und Untugend.
Äußerer Schein, innere Heuchelei und Untugend. Ergo: das Gegenteil ist fromm. Aber wer ist dann fromm?
Karwöchlich bewegt grüßt dich herzlich
Deborrah
wir sind in der Karwoche. Es gibt Zeiten, da spürt man den, der uns trägt, mehr als in anderen Zeiten. Ich nenne sie "heilige Zeiten". Alles in mir ist aufgeregt, ohne einen äußeren Grund zu haben. Es liegt etwas in der Luft, das ich verstandesmäßig nicht fassen kann und trotzdem ist es etwas Anfassbares.
Heute, und eigentlich schon länger, beschäftigt mich das Wort "fromm". Ganze Bücher sind darüber geschrieben, "wild und fromm". Ich kann nichts mit "fromm" anfangen, es klingt nichts in mir auf, absolut nichts. Das hat mich schon mal betroffen gemacht. Habe ich da etwas nicht begriffen, fehlt mir da etwas? Was ist "fromm"? Kann man an "fromm", obwohl es häufig in kirchlicher Sprache auftaucht, einfach vorbeigehen und "fromm" nicht beachten.
Jetzt ist es mir im Sinne von "frömmeln" begegnet. Das bewegt mich nun doch. "Frömmele" ich und weiß es gar nicht? Der negative Touch ist mir klar, deshalb will ich da schon mal hinschauen.
Gute Frage, gibt folgende Antwort:
Seit Luther: fromm: fügsam, artig, religiös. [Da hast du den Salat, da wirst du wieder in eine unkundige Schublade gesteckt]
Frömmeln: fromm tun, Frömmigkeit zur Schau stellen
Fromm soll gottesgläubig, praktizierend, religiös "observant", d.h. beobachtend, befolgend, achtsam, aufmerksam sein.
Wenn ich das für mich übersetze, heißt "fromm" dann nicht "gläubig" sein? Wieso braucht man das Wort dann? Es stiftet nur Verwirrung, keep it simple, mit "glauben" hat man schon genug zu tun. Oder ist es das "zur Schau stellen" was "fromm" ausmacht? Das würde mit dem negativen Duktus von "frömmeln" einhergehen. Dann ist aber "fromm" nicht besser als "frömmeln".
Fromm den Glauben zur Schau stellen? In das Schaufenster stellen, damit es jeder sieht? Warum? Was ist die Motivation dahinter? Im Schaufenster sieht oft etwas ganz toll aus, im Alltag bewährt es sich aber nicht. Schaufensterdekorationen sollen verführen, zum Kaufen anregen.
Kirche heute, genauer gesagt die kirchlichen Rollenträger, egal ob evangelisch oder katholisch, benehmen sich oft so, Kirchengemeinde legt ihr Augenmerk darauf, Kirche so zur Schau zu stellen, ins Schaufenster zu stellen, dass wieder mehr Leute in die Kirche gehen, wieder eintreten anstatt auszutreten. Ob die so motivierten Menschen damit den Pastoren, Priestern, Wortverkündern mehr abkaufen, was sie sagen? Sind derartige "buy in" Versuche nicht mehr ein Glaubensausverkauf?
Man versucht neue Wege, sich zu präsentieren. "Go specials" werden initiiert, vermeintlich moderne Gottesdienstformen. Ein Beispiel: In den Gottesdiensten werden
"Fragen des Glaubens kreativ und lebensnah aufgenommen. Unsere Kirche ist fast jeden Sonntag gut gefüllt mit Menschen. Sie haben den Eindruck, als ob Sie einmal quer durch den Stadtteil gehen würden. Nicht nur Kirchenmitglieder, sondern auch konfessionslose Menschen und Mitglieder anderer Konfessionen kommen zu uns. In den Gottesdiensten ist das Klima einladend, unkompliziert und einbeziehend. Wir wählen Themen und Worte, die für alle Menschen verständlich sind und sie in ihrem Lebensalltag interessieren. Die Gottesdienste geben Impulse und keine fertigen Antworten."
Klingt wie eine Werbebroschüre. Ist das Jesu Nachfolge oder ist das Kirchenfüllen, um noch eine Daseinsberechtigung als organisierte Kirche in der jetzigen Form zu haben? Oder bin ich eine ewig Gestrige, ein Nestbeschmutzer, wenn ich wage, dieses redliche Bemühen in Frage und in den Raum zu stellen
Ist das nicht "frömmeln" in moderner Form was da betrieben wird? Ist Jesus den Leuten etwa nachgelaufen, hat er es seinen Zuhörern leichtgemacht, hat er ihnen nach dem Mund geredet oder sind sie nicht vielmehr ihm nachgelaufen und haben sein Wort so genommen wie es war, auch wenn es nicht sehr freundlich im Menschenverstand dahergekommen ist? Das ist eine spannende Frage, auch in ihrer Konsequenz, dazu schreibe ich dir nochmals später, dazu fällt mir jede Menge ein.
Gott begegnet man in der Stille, nicht im Radau. Liturgie ist kein veraltetes Ritual. In der Liturgie wird der Kern des Glaubens in Erinnerung gebracht, in das Gedächtnis zurückgerufen, damit das innere Gedächtnis sich erinnert. Sie soll gerade von der Oberflächlichkeit und den vordergründigen Problemen und Problemchen des Alltags wegführen. Das Vaterunser ist der älteste Teil der Liturgie.
Wie hat inneres Gedächtnis eine Chance, wenn Gottesdienste "abwechselnd" sind und damit auch in gewissem Maße beliebig. Sie lenken vom inneren Gedächtnis ab, anstatt sie hinzuführen. Gottesdienst braucht Stille und Einkehr, damit Gott in uns zu Wort kommen kann und wir ihn nicht in ablenkender "Abwechslung" überhören, wir nichts anderes im Gottesdienst tun als sonst auch: Uns auf unsere Alltagsprobleme zentrieren.
Liturgie hat für mich ihre eigene Macht, sie bewirkt Sammlung auf Gottes Gegenwart hin. Aber – ich ertappe mich manchmal selbst dabei – auch Liturgie birgt die Gefahr, dass man sie vor sich und in sich dahinplätschern lässt, ohne das notwendige Maß an Gesammeltheit, der Konzentration auf das, was in der Liturgie als Botschaft, als Wort, als Kern des Glaubens transportiert wird. Das ist nichts anderes als Meditation des gesprochenen Worts. Wer schafft es gesammelt und auf Gott zentriert ohne innere und äußere Ablenkung durch eine Liturgie zu kommen? Wir - ich denke die allermeisten Gottesdienstbesucher - haben da noch viel zu üben und es ist jedes Mal von neuem spannend, inwieweit mir das gelingt oder eben nicht.
Lieber Luther, Fragen über Fragen. Schade dass du so stumm bist. Man kann in all diesen Fragen schier ertrinken. Oder ist es gerade das, was uns in der Fastenzeit bewegen soll, fragend um Antwort bitten und sie auch bekommen?
Noch ein Blick in die Bibel, das ist eigentlich das Nächstliegende. Und siehe da, wo lande ich, bei Jesu Weherufen gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten, mit denen ich mich schon auseinandergesetzt habe. Zufall? Jesus nimmt kein Blatt vor den Mund, ob es gefällt oder nicht.
In der Version in Matth 8,27f heißt es:
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totengebeine und alles Unflats! Also auch ihr: von außen scheint ihr den Menschen fromm, aber inwendig seid ihr voller Heuchelei und Untugend.
Äußerer Schein, innere Heuchelei und Untugend. Ergo: das Gegenteil ist fromm. Aber wer ist dann fromm?
Karwöchlich bewegt grüßt dich herzlich
Deborrah
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen