Lieber Luther

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Samstag, 21. September 2013

Determination - Selbstbegrenzung

Lieber Luther,
heute fasse ich ein heißes Eisen an. Angeregt wurde ich dazu durch eine Frage bei glauben 2017, an deren Beantwortung sich bis jetzt noch keiner gewagt hat. Es ist die Frage nach der Determination, unserer Determination durch Gott und – anscheinend entgegenstehend – unsere Willens-, Handlungs-, Entscheidungsfreiheit.
Das ist eine hochphilosophische Frage mit vielen Antworten. Eine letztendliche "wahre" Antwort gibt es nicht. Die Art der Beantwortung der Frage hängt daran, wie man sich zur "Determination" stellt, welchen Schulen und Denkmustern man folgt. Das heißt, unsere Antwort ist schon von unseren – bewussten oder unbewussten - Prägungen und Festlegungen geprägt. Im Folgenden ein paar Denkanstöße.
Existiert "Welt" tatsächlich in Ursache mit zwangsläufigen Folgen und Wirkungen oder ist das nur ein Denkschema menschlichen Ursprungs? Eine Hilfskonstruktion, um die Welt für uns erklärbar zu machen? Damit wir die Macht (oder Herrschaft?) über die Welt nicht verlieren? Weil uns das Angst macht, die Macht über die Welt zu verlieren? Ist das nicht ein Denkkonstrukt, das unsere Denkfreiheit einschränkt und in einer Weise kanalisiert, die uns den Blick auf das Universale, auf Gott, verstellt? Brauchen wir auf alles Antworten? Wieso? Gott ist metaphysisch. Jede Antwort, die ihn betrifft, lässt sich empirisch nicht überprüfen. Muss mich diese Diskussion, um Determination überhaupt interessieren oder determiniere ich mich da nicht selbst?
Geht das überhaupt: vollkommene Willens- und Entscheidungsfreiheit? Die neuere Hirnforschung sagt, vollkommene Willensfreiheit gibt es nicht. Sind wir nicht geprägt schon vom Mutterleib an, vom ersten Augenblick meines Entstehens? Werde ich eine Frau oder ein Mann? Habe ich das entschieden? Nein? Wer dann? Zufall oder höherer Wille? Muss ich das entscheiden? Wer zwingt mich dazu?
Die Frage ist also, wenn Gott ist, wenn Gottes Wille ist, wenn ich aus Gott komme und am Ende wieder ganz mit ihm vereint bin, wenn Gott in mir ist und er meine Wege leitet, bin ich dann von ihm bestimmt? Ist das, was ich tue in meinem Willen oder in seinem Willen? Bin ich seine Marionette, sein Werkzeug? Wo bleibt da meine Willens- und Handlungsfreiheit? Bestimmt Gott oder bestimme ich, was ich tue und lasse? Gibt es da eine feste Ursache – Wirkungsabfolge? Beten wir nicht "dein Wille geschehe"? Um die Frage auf den Punkt zu bringen: Ist Gott Ursache, bin ich vorherbestimmt Folge und im meinem Willen, meinen Entscheidungen und in meinem Handeln so bestimmt, das mein Leben genau so abläuft, wie es abläuft oder habe ich da auch noch eine Möglichkeit mitzubestimmen? Wobei man fragen kann, wieso ist das so wichtig für uns, dass wir selbst bestimmen? Dieser Frage will ich aber jetzt nicht nachgehen.
Diese Fragen nach der Determination hängen wie ein Damoklesschwert über dem Gläubigen. Soll ich Glauben Gott ist Realität oder ist er ein menschliches Konstrukt, um unser Wohlbefinden zu verbessern, etwas, an das wir uns klammern können, um uns von unserer Verantwortung für das Hier und Jetzt davonzuschleichen und uns die Angst vor dem Nichts nach dem Tod zu nehmen?
Gott ist unser Ausgangs- und Endpunkt. Heißt das zwangsläufig, wir sind von ihm in all unserem Tun, Entscheiden und Handeln von ihm bestimmt? Das das was ist, zwangsläufig so ist und nicht anders sein kann. Oder ist es nicht so, dass ich aus freiem Willen ihm nachfolge, Jesus nachfolge. Das Bild von Gott als Vater hilft uns bei dieser Nachfolge, da wir – idealerweise – mit Vater Liebe und Sorge verbinden. Ob Vater oder Mutter spielt hier absolut keine Rolle. Das ist eine Prägung auf "Eltern", die schon im Mutterleib beginnt. Nicht nur wir, sondern auch Tiere haben sie. Gott ist mein freier Wille, meine freie Entscheidung, mein freies Handeln. Alles an Gott und meinem Verhältnis zu Gott ist eben nicht determiniert, sondern ist vollkommen frei. Ich muss nicht an ihn glauben, ich muss ihm nicht nachfolgen. Auch in der Art, Gott zu denken, bin ich vollkommen frei. Keiner kann mich zwingen, einem kirchlichen Dogma, einer Lehrmeinung zu folgen, keiner kann mich zwingen für wahr zu halten, was in der Bibel steht. Ich bin darin frei und eben nicht determiniert. Ein Blick in die Realität zeigt, dass das auch der Lebenswirklichkeit entspricht.
Gott wirkt, bewirkt. Auch das ist für den gläubigen Menschen eine Tatsache. Aber ist das eine Ursache-Wirkung-Bestimmtheit des Menschen? Oder ist es gerade umgekehrt: Mensch bestimmt und Gott folgt? Eine interessante Umdrehung der Verantwortlichkeiten.
Der Mensch als Wesen und im Wesen Teil von ihm Seiender, entscheidet, handelt, gut oder böse oder in Abstufungen dazwischen, voll verantwortlich für all sein Tun. Gott erkennt dieses Entscheiden und Tun des Menschen in all seinen Folgen und ist beim Menschen in all seinen Entscheidungen und Folgen. Gott ist mit uns, was immer wir tun. Er folgt uns, auch wenn wir ihm nicht folgen. Gott hat uns volle Handlungs-, Entscheidungs- und Ausführungsvollmacht gegeben: Macht euch die Erde untertan. Er folgt uns mit seiner Liebe und Barmherzigkeit. Gott bewirkt an uns seine Liebe als Echo auf unser selbstverantwortliches Tun. Er muss dies zwangsläufig tun, will er uns nicht verlieren. Auch das ist Lebensrealität.
Gott ist die Liebe, das ist ein für den Glaubenden wahres Wissen. Nicht nur Gott ist die Liebe, auch der Mensch will Liebe erhalten, von anderen Menschen, von Gott, von einem selbst. Mensch will Liebe geben und wenn er Liebe gibt, ist er ganz bei sich selbst. Liebe geben und Liebe nehmen, aktivieren im Gehirn die gleichen Regionen, und nicht nur im Gehirn, auch in unserem Herzen. Das ist der Punkt, in dem wir ganz bei uns sind und ganz bei Gott. Unbestimmt, frei, ohne Abgrenzung, ohne Getrenntsein.
In Liebe zu leben – äußerer und innerer, ist das universale Prinzip, ist die Vereintheit von Gott und Mensch. Das ist der Schnittpunkt zwischen Mensch und Gott. In ihm sind Gott und Mensch eins, absolut in Übereinstimmung und Frieden miteinander. Es gibt in diesem Punkt keine Ursache und Wirkung, kein oben und unten, keine Zeit, keine Willens-, Handlungs- und Entscheidungsfreiheit und auch keine Notwendigkeit, diese zu haben. Dort gibt es kein Gott und ich, keine Getrenntsein, kein Dualismus, kein Ursache-Wirkungsprinzip. Es ist ein SEIN, ein EINS-SEIN, ein GEMEINSAM-SEIN. Ist das nicht das Paradies?
Lieber Luther, "Determination" kommt aus dem Latein und heißt "abgrenzen, "bestimmen", "begrenzen". All das ist Gott, die Beziehung zu Gott, unsere Bestimmung in Gott eben nicht. Kann Mensch das nicht lassen, sich selbst zu begrenzen? Sich hin zu Gott zu begrenzen, sich von ihm abzugrenzen. Es fühlt sich gut an Gott und Glaube in Freiheit, in gedanklicher Unbegrenztheit zu leben.
Gott ist mein Anfangs- und Ausgangspunkt, Gott wirkt, Gott ist die Liebe, in der es kein Getrenntsein, keine Bestimmtheit, keine Determination, gibt. Aber ich glaube du weißt das.
Herzliche Grüße
Deborrah

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