Lieber Luther,
fast würde ich sagen: bald ist es soweit. Die Bedrohung, die Jesus verspürt hat, als er wusste, dass seine Zeit nun da ist, ist bis heute zu spüren. Sie bedroht uns noch heute, ist – wie alles was einmal war – heute noch in Raum und Zeit.
Ich weiß schon lange, was mich heute bedrängt und deshalb schreibe ich dir, um mir meine Bedrängung von der Seele zu schreiben. Es geht um die unendliche Einsamkeit Jesu in den Tagen als ihn seine engsten Begleiter verließen und seine Häscher näher kamen.
Wie unendlich allein muss er sich gefühlt haben?
Wie sehr muss ihn das, was auf ihn zukommt, bedrängt haben?
Wie sehr muss er sich einen Menschen gewünscht haben, der seine Angst mitträgt?
Wo waren seine Jünger und Jüngerinnen?
Wo war seine Mutter?
Wo waren sie alle?
Wie sehr muss ihn das, was auf ihn zukommt, bedrängt haben?
Wie sehr muss er sich einen Menschen gewünscht haben, der seine Angst mitträgt?
Wo waren seine Jünger und Jüngerinnen?
Wo war seine Mutter?
Wo waren sie alle?
Sie waren alle da und doch nicht da, haben geschlafen, haben weder gesehen noch gehört. Alle waren mit sich selbst mehr beschäftigt, als mit ihrem Nächsten. Er aß mit ihnen das Osterlamm und sie begriffen nicht, was sie aßen. Wachet und betet, betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt, aber sie hörten ihn nicht und verstanden ihn noch weniger.
In seiner Not suchte er die Einsamkeit, um mit dem zu reden, der ihn allein in seiner großen Not hörte. Seine Angst war aber so groß, dass er fast irre daran wurde, "Und es kam, dass er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde" (Luk 22,44).
Er hat angesichts der menschlichen Bösheit Blut und Wasser geschwitzt. Das sollten wir in der Klarheit, wie es da steht, auch aushalten. Auch dass Mensch Mensch völlig allein gelassen hat. Sie hingen an seinen Lippen, aber seine Bedürfnisse als Mensch erkannten sie nicht. Das geht auch uns heute noch an.
Jesus rang "mit dem Tod" und betete gegen ihn an. Sein Blut drängt hier schon die Erde. Bevor er physisch sein Blut vergießt, vergießt er es seelisch. Und Gott schickte einen Engel, der ihn stärkte. Er löste das eiserne Band der Angst, das seine Brust so einschnürte, dass er dachte zu ersticken. Der seelische Schmerz, den er verspürte, war mindestens so stark wie der physische später. Seelenschmerz kam vor körperlichem Schmerz. Jetzt war er bereit, den letzten Weg zu gehen. Gott gab ihm Stärke und Kraft. Seine Seele war vorbereitet.
Ab jetzt lief alles zwangsläufig und wie in einem Tunnel für ihn ab. Das Drehbuch hatte er schon im Kopf, nichts war überraschend.
Was kann uns trösten, uns helfen den Schmerz über das menschliche Alleinlassen Jesu, über das menschliche Versagen in der Anfechtung, angesichts der weltlichen Macht, angesichts der Not und des Elends des einzelnen, zu ertragen? Dieser Schmerz ist heute noch in der Welt, denn der Mensch hat sich in der Beziehung nicht gebessert.
Gott hat Jesus bereits seine Corona aufgesetzt, bevor er zur Schlachtbank ging, hat ihm zum König der Welt gemacht, bevor es auf sein Kreuz geschrieben wurde. Dies gab ihm die Kraft und die Würde, das was kam, wie ein König zu tragen. Die ihm so verliehene göttlichen Aura schützte ihn, so dass er die Welt, seine Jünger, seinen Verräter, seine Schergen, seine Richter, seine Verspötter, seine Mörder schon in der Halbdistanz zu seinem Vater wahrnahm.
Deshalb konnte er alles tragen wie ein Lamm, war stumm wie ein Lamm. Sein Vater war sein Hirte und hatte ihn auf die Schulter genommen. So konnte er sich verlassen, dass er nicht verlassen war, so konnte er das Leben loslassen und uns auf seine Schultern nehmen.
Oder mit dem Johannesevangelium (Joh 17,4): Gott hat ihn verklärt. Das heißt nichts anderes. Jesus war sich seines Vaters sicher. Das hat er in der äußersten Bedrängnis in Klarheit erkannt. Das hat in ihm die innere Bedrängnis geklärt. Das hat ihm – trotz dessen, was auf ihn zukam – den Blick von sich weg, wieder auf seine Jünger, auf uns, gewendet. Deshalb konnte er jetzt für uns anstatt für sich beten.
Die Einsamkeit war von ihm genommen und er war bereit seine Verantwortung als Gottessohn zu tragen, uns als Lamm auf seine Schultern zu nehmen. Jesus wird zu unserem hellwachen Hirten, während wir schlafen. Indem er seine Angst vor und sein Vertrauen in seinen Vater legt, wird er uns zum Vater.
Was schlaft ihr, wacht auf, betet, dass ihr nicht in Anfechtung verfallt. Eigentlich müsste dieses "betet" bei uns in den Ohren klingeln, jedoch, wir sind bis heute taub, schlafen bis heute unseren Schlaf und lassen ihn bis heute allein.
Wir müssen eigentlich nur tun, was er uns gesagt hat, in sein Gebet einschwingen, damit wir zu seiner Klarheit aufschwingen. Das meint er, wenn er sagt er verklärt seine Jünger und damit in ihrer Nachfolge uns. Wir müssen aber geistig wach genug sein, damit wir bereit sind.
Mit körperlicher Wachheit hat das nichts zu tun. Einmaliges eine Nacht durchzuwachen hilft da rein gar nichts, ist frömmeln, wenn man geistig schläft und nicht den Rest des Jahres wach ist. Die Anfechtungen sind eine tägliche Bedrohung und Herausforderung. Wollen wir Jesus nicht wieder allein lassen, müssen wir immer wach sein.
Das hat übrigens Jesus schon im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen zu vermitteln versucht (Matth 25,1-13): Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird.
Indem mir dieses Geschehens klar wird, schwingt mein Inneres um, von einem tiefen Schmerz und Mitleid mit Jesus und den überforderten Menschen, in tiefe Dankbarkeit.
Lieber Luther, es hat mir gut getan, das mit dir zu durchdenken. Lass uns doch anstimmen:
Wenn wir an andern schuldig werden und
Keiner unser Freund mehr ist,
wenn alles uns verklagt auf Erden,
dann sprich für uns,
Herr Jesu Christ
Keiner unser Freund mehr ist,
wenn alles uns verklagt auf Erden,
dann sprich für uns,
Herr Jesu Christ
(aus: Seht hin er ist allein im Garten, ev. Gesangbuch, Nr.95, von Friedrich Walz)
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
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