Lieber Luther,
der heutige Predigttext (Lukas 18, 1-8) ist mir vor drei Wochen schon einmal begegnet und zwar in einer Form, die ich sicher mein ganzes Leben nicht mehr vergessen werde. An einem Ort, an dem sein ganzer Sinn plötzlich im Raum stand. Gott hat sich quasi neben die Menschen, die es angegangen ist, auf die Kirchenbank gesetzt und hat gewirkt. Alle Beteiligten haben seine Anwesenheit verspürt.
Wir reden vom Gleichnis vom ungerechten Richter. Es geht um einen selbstgefälligen Richter, der weder Tod, noch Teufel noch Gott fürchtet, weder weltliche noch göttliche Macht. Eine Witwe trat vor ihn und forderte ihr Recht. Es ist nicht gesagt, um was es genau geht, welches Recht verletzt ist. Das ist unwichtig. Der Richter weist sie immer wieder ab, aber sie bleibt hartnäckig, kommt immer wieder. Eines Tages hat er keine Lust mehr, sich immer wieder mit dem Fall zu beschäftigen und so beschließt er, ihr zu geben, was sie schon so lange fordert, "damit sie nicht am Ende komme, um mir ist Gesicht fahre." Derart Recht zu bekommen, hinterlässt einen faden Geschmack.
Der Richter handelt aus purem Eigennutz. Es geht ihm nicht um das Gesetz, schon gar nicht um Recht, was etwas anderes ist, es geht ihm nicht um die Wahrheit, nicht um Gerechtigkeit, es geht um sein subjektives Wohlbefinden, um seine Selbstgerechtigkeit. Einen anderen Maßstab als seinen Egoismus legt er nicht an.
Mit dem Finger auf diesen Richter zu zeigen, ist einfach. Es ist offensichtlich, dass er nicht von Gesetz und Recht, Wahrheit und Wahrhaftigkeit getrieben wird. Jedoch, wer ohne Schuld ist, wer nie ungerechter Richter ist, werfe den ersten Stein. Wir sollten erst einmal bei uns selbst suchen, bevor wir den Balken im Auge des anderen suchen.
Wir sind alle Richter, wir sind alle ungerecht. Wir sind auch Richter gegenüber unseren Richtern. Wir brechen den Stab über denen, die ungerecht zu uns sind, die hartleibig sind, die uns immer wieder abweisen und auflaufen lassen, die taub sind gegenüber dem, was wir zu sagen haben, die nicht zuhören und nicht hören wollen, die uns immer wieder unverrichteter Dinge nach Hause schicken. Wir laufen Gefahr auch zu verurteilen, gar zu resignieren, den Mut zu verlieren, einen weiteren Anlauf zu nehmen, ein weiteres Mal gegen eine Mauer der Ablehnung zu rennen.
Von der Witwe können wir lernen, nicht aufzugeben. Was hat sie getrieben, was hat ihr immer wieder den Mut und die Kraft gegeben, sich aufzumachen, um den Richter mit sich und damit mit seinem eigenen Unrecht zu konfrontieren, ihm sein Unrecht vor Augen zu führen, trotz aller Demütigung, die sie immer wieder erfahren hat? Es war wohl eine Mischung, eine Mischung aus Not – möge es eine innere oder äußere gewesen sein –, Zorn und Gerechtigkeitssinn. Sie wusste, dass, was sie vorzubringen hatte, richtig war, Recht, gerecht, wahr. Das hat sie auf den Beinen gehalten und ihr Energie gegeben, immer wieder anzurennen, nicht aufzugeben.
Woher wusste die Witwe, dass sie im Recht war? Es könnte ja auch ihre eigene Selbstgerechtigkeit gewesen sein, ihr verletzter Stolz, der sie getrieben hat, ohne dass sie im Recht gewesen wäre.
Jesus erzählt diese Geschichte als Gleichnis, d.h. er will mit ihr etwas verdeutlichen und deshalb kommt der Kern seiner Botschaft auch erst hinter dieser Geschichte zutage.
Geht es eigentlich wirklich darum, dass uns Recht geschieht, was immer wir unter "Recht" verstehen? Über das, was wir Menschen unter "Recht" verstehen, kann man Bibliotheken füllen und philosophische Theorien aneinander reihen. Auf Erden wird kein gemeinsames Verständnis erzielbar sein, was Recht und gerecht ist. Unser subjektives und objektives Rechtsverständnis in seiner Vielgestaltigkeit kann hier nicht gemeint sein.
Um was es in dem Gleichnis geht, steht gleich eingangs. Das Gleichnis, das Jesus erzählt, ist ein Gleichnis vom Bitten. Die Botschaft ist: Betet allezeit, was auch mit euch passiert und wie ungerecht ihr euch auch gehandelt fühlt, betet und ermattet darin nicht, resigniert nicht, vor den Menschen nicht und nicht vor eurem Gott und er eilt euch zur Hilfe.
Jesus fragt suggestiv: Sollte Gott das Recht seiner "Auserwählten", das heißt derjenigen, die ihn gewählt haben, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht "ausführen"? Sollte er nicht bewirken, dass denjenigen, die treu an ihm festhalten, am Ende Recht, sein Recht geschieht, nach seiner Wahrheit, nicht unserer? Jesus kennt die Menschen, deshalb hängt er gleich an, "Ich sage euch, dass er ihr Recht ohne Verzug ausführen wird. Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?"
Gottes Recht und Gerechtigkeit, seine Wahrheit ist das Maß der Dinge, nicht unsere subjektiven Vorstellungen, er wirkt, ist gegenwärtig "ohne Verzug". Haben wir da Zweifel, wenn wir auf uns schauen? "Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?"
Lieber Luther, es geht in dem Gleichnis nicht um unsere eigene Gerechtigkeit, Mensch ist nie gerecht. Wir sind alle ungerechte Richter. Es geht darum anzunehmen, dass Gott wirkt, ob es uns gefällt oder nicht, demütig zu sein gegenüber dem, was IST. Es geht darum, zu bitten, auch in Tränen, nicht nachzulassen, die Hoffnung nicht aufzugeben, die Augen zu öffen für das, was Gott in und mit unseren Tränen bewirkt.
Wir wissen, lieber Luther, dass Gott wirkt, ohne Verzug, aber ohne unseren Vorstellungen zu folgen, nicht zeitlich und nicht inhaltlich. Ich bin sicher, er hat sich auch heute in die ein oder andere Kirchenbank gesetzt, auch wenn sie leer geblieben ist. Er hat uns mit unserem eigenen Unrecht konfrontiert, aber uns auch gesagt: Betet, bittet, öffnet die Augen und die Herzen, gebt nicht auf. So sei es.
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
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