Lieber Luther,
nachdem ich dir über den heutigen Predigttext (Joh 3, 1-11), Jesu Belehrung des Nikodemus, schon zu Himmelfahrt geschrieben haben, finde ich Zeit, das Thema, das mich seit Wochen beschäftigt, weiter zu verfolgen. GEIST, WORT und PREDIGT, das ist die Trinität, über die heute, an Trinitatis, nachgedacht werden sollte, anstatt über Kirchenlehren, die von 3 Personen in einer Person fabulieren.
Nachdem ich mein Bibelleseprojekt abgeschlossen habe, erschließe ich nach und nach andere Schatzkästlein, apogryphe Texte. Und wie es so will kommt mir ein Text unter die Augen, der nahtlos an das anschließt, was ich dir letzte Woche geschrieben habe, es ist der "Brief des Jakobus" aus den Texten aus Nag Hammadi (NHC, 1, 2). Was dort steht, die Botschaft, wird wohl nicht in einen Blog passen. Es lohnt sich in jedem Fall. Es ist ein ganz erstaunlicher Text mit noch erstaunlicher Botschaft.
Zunächst eine Vorbemerkung. Der Text ist nur in einer Abschrift in einem koptischen Dialekt überliefert, mit einigen Lücken. Da ich nicht überraschend diesen Dialekt nicht spreche, stellt sich wieder einmal das Problem der Übersetzungen. Ich habe diesen Text nun in deutscher Übersetzung und 3 verschiedenen englischen gelesen, die deutsche Übersetzung in der Fassung von Hartenstein/Plisch. Es ist, um es vorwegzunehmen, die Schlechteste. Wieso? Die Autoren sagen es selbst: "Für Außenstehende – auch für uns heute – ist die EpJac dagegen oft nicht ohne weiteres verständlich" (Kaiser/Bethge 2013, S.11). Genauso ist übersetzt, ohne Sinn und Verstand oft Buchstaben aneinandergereiht. Ironischerweise – oder auch nicht – ist gerade das das Thema des Jakobusbriefes. Ich empfehle eine der Fassungen der englischen Übersetzung, ich bevorzuge diejenige von Meyer/Barnstone. In der deutschen Übersetzung wurde zudem der Fehler gemacht, in einer heutigen (!) Übersetzung, die von Luthers Übersetzung geprägte Bibelsprache nachahmen zu wollen. Das kann nur misslingen. Die ganze verfehlte Theologie des Tendenzbetriebs evangelische Kirche fließt in die Übersetzung mit ein, anstatt in der heutigen lebendigen Sprache zu übersetzen, was dasteht. Es wäre die Chance einer Korrektur gewesen, was die Bereitschaft voraussetzt, von Irrlehren abzurücken. Das fällt Theologen bekanntlich schwer, auch wenn sie sich dadurch ins Abseits stellen. Aber das nur am Rande, die Wissenschaftlerin geht wieder mit mir durch, weil diese Übersetzung ein einziges Ärgernis ist. Sie will in alt bekannter Manier vertuschen, Kirchenlehren transportieren, anstatt Wortverständnis wachsen lassen. Dass das fehlt, haben die Übersetzer selbst eingeräumt.
Wie schon angedeutet, geht es genau darum in diesem Jakobusbrief, um Geist, Wort, Predigt und geistgeleitete Eigenverantwortung für das Wort. Es ist, als würde uns dort der Spiegel vorgehalten. Deshalb passt dieser Text genau. Zufälle gibt es nicht. Worum geht es? Es ist notwendig, den Text im Zusammenhang zu lesen, nur dann versteht man ihn auch.
Es geht um eine Belehrung, die Jesus seinen noch verständigeren unter den unverständigen Jüngern – Jakobus und Petrus - zugemutet hat. Sie wollen ihre Verantwortung und Aufgabe nicht annehmen, verstehen weder Wort noch das Werk, das von ihnen erwartet wird. So wäscht Jesus ihnen unverblümt den Kopf und tritt sie, die sich sklavisch an ihn klammern, in den Hintern, damit sie endlich in die Gänge kommen, wollen sie das Himmelreich für sich und für andere gewinnen. Ihr seid Prediger, erinnert sie Jesus, redet endlich!
Die beiden Jünger sind jedoch auf einer ganz anderen Ebene unterwegs. Sie fragen ihn, Jesus ist schon gestorben und erscheint ihnen (NHC 1, 2; p.2, 7ff): Hast du uns verlassen und uns selbst überlassen? Nein, ich kehre dorthin zurück, von wo ich gekommen bin. Ihr könnt mit mir kommen, wenn ihr wollt. Die Jünger verstehen das falsch: Befehle es uns, dann folgen wir dir nach.
So geht das nicht, antwortet Jesus. Niemand gewinnt das Himmelreich, indem ich es befehle, sondern in dem ihr vollständig mit dem Geist des Vaters erfüllt seid. Wollt ihr nicht die Fülle haben? Eure Herzen sind trunken, vernebelt. Wollt ihr nicht klar sein, geklärt? Ihr solltet euch schämen. ERINNERT euch, ERINNERT euch von nun an, im Schlafen und Wachen, dass ihr den Menschensohn gesehen und ihm zugehört habt. Schande über euch, dass ihr den Menschensohn gesehen habt, dass ihr es nötig gehabt habt, um zu glauben, mich zu sehen. Segen wird auf denen sein, die glauben ohne dass sie den Menschensohn gesehen, mit ihm gewohnt, mit ihm gesprochen, ihn mit ihren eigenen Ohren gehört haben. Ihnen gehört das Leben.
Versteht, dass er euch geheilt hat, als ihr krank wart, damit IHR regieren möget, die Herrschaft des Geistes, des Vaters, antretet und vertretet auf Erden. Schande auf die, die von ihrer Krankheit genesen sind und sich deshalb befreit fühlen, sie werden wieder in Krankheit verfallen. Segen auf die, die nicht erst krank geworden sind, sondern die Befreiung kannten, bevor sie krank wurden. Ihnen gehört das Himmelreich.
Deshalb sage ich euch, füllt euch mit dem Heiligen Geist an bis an den Rand, lasst nicht auch nur den kleinsten Raum leer, er wird ansonsten gefüllt werden vom Bösen und ihr dient zur Belustigung des Bösen, werdet zum Spielball des Versuchers. Das ist es, was meint: Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde (Mt 5, 30; Mk 9, 43).
Was heißt es aber, sich anzufüllen mit der Fülle? Jesus versucht die Jünger verstehend zu machen. Etwas später sagt er (p.7): Ich habe zu euch in Gleichnissen gesprochen und ihr habt nicht verstanden. Jetzt rede ich zu euch offen und ihr versteht immer noch nicht. Ihr seid selbst eine Parabel als Rahmen für die Gleichnisse, an euch ist offenbart, wie die Sache des Glaubens steht. Nicht nur an meinem Wort, an den Gleichnissen, kann man lernen, auch an euch und eurem Nichtverstehen kann man lernen.
Seid begierig, gerettet zu werden, ohne dass ihr dazu durch Not und Leid gezwungen werdet. Tut es freiwillig, tut es immerzu. Seid SELBST stets eifrig im Glauben, überflügelt mich, wenn möglich. Dafür wird euch der Vater lieben.
Hasst Scheinheiligkeit, Heuchelei, vermeidet, dass das Böse, die Versuchung, euer Ego, in euch Raum bekommt. Es bringt die Scheinheiligkeit und die Heuchelei hervor. Heuchelei, Scheinheiligkeit und Wahrhaftigkeit schließen einander aus.
Lasst das Himmelreich in euch nicht verkümmern. Ihr lasst es wie einen Palmsprössling, nachdem er gekeimt, ausgetrieben, angefangen hat zu grünen, vertrocknen, so dass es nicht weiter wachsen kann. Macht es nicht zu einer Frucht, die sich nur aus einer Wurzel speist. Sie wird geerntet, wird von Hand zu Hand gereicht, schmeckt vielen, aber wie wächst das Himmelreich weiter?
Indem IHR euch füllt. Petrus entgegnet wie so oft auf falscher Spur: Drei mal hast du uns gesagt "seid gefüllt", aber wir SIND gefüllt. Er hat nicht verstanden, um was es Jesus geht. Er hat nicht verstanden, dass er eigentlich schon verstehen müsste, was ihm unverständlich ist, wenn er mit dem Geist angefüllt wäre. Deshalb versucht Jesus ein weiteres Mal, ihn verständig zu machen: Nimm es als Ratschlag, dass du immer darauf achtest, dass du immer bis an den Rand mit dem Geist gefüllt bist. Diejenigen, die das nicht sind, denen es an Geist mangelt, werden nicht gerettet. Wenn der Geist fehlt oder abnimmt, fehlt das Gute in euch. Umgekehrt ist es gut für euch, wenn es des Bösen, der Versuchung mangelt, und gut für euch, wenn ihr nicht erst mit dem Gut des Geistes gefüllt werden müsst. Sobald es eines An- und Auffüllens, eines Ausgießen des Geistes, bedarf, herrscht ein Mangel.
Bei jedem äußert sich der Geistmangel in anderer Weise. Aber der angefüllt wird mit Geist, auf den er ausgegossen wird, der wird es zu einem guten Ende bringen. Darum solltest du anstreben, dass es dir nur dann an Geist mangelt, wenn du DICH SELBST wieder anfüllen kannst, du selbst die sich auftuende Lücke schließen kannst, und angefüllt wirst, wenn es dir an dieser Fähigkeit mangelt, damit du lernst, dich mehr und mehr selbst anzufüllen, lernst, den Geist in dir lebendig zu halten, so dass sich kein Mangel mehr auftut, dass du nicht mehr auf mich angewiesen bist, dass ich dir das Wort erkläre und du mir nur zuhörst. Werde endlich selbständig im Glauben, im Aus- und Einfließenlassen des Geistes, im Hören des Wortes und im Predigen. Sei angefüllt mit dem Geist, aber meide die Vernunft, das Suchen nach Erklärungen. Denke nicht in Ursache und Wirkungen, denn das ist ein Ausdruck der Seele, die fleischgetrieben ist. Das IST Seele. Lass dich nicht von der fleischgetriebenen Seele auffüllen, sondern vom Geist, damit du selbst mit Geist füllen kannst, wo er fehlt. Emanzipiere dich endlich von mir.
Lieber Luther, man sieht Jesus förmlich, wie er seine lethargischen Nachfolger packen und aufrütteln will. Wacht endlich auf! Lebt GEIST, WORT, verständige PREDIGT. Jesus beklagt in diesem "Brief des Jakobus" (NHC 1,2) die Unverständigkeit derer, die als die Stütze seiner Lehre gedacht sind, ihr klammern an ihn als Person, ihre mangelnde Ausgerichtetheit und Geleitetheit von Wort und Geist, ihr Unverständnis des Wortes und Geistes an sich. Er fordert zur Selbständigkeit im Glauben auf, zur Unabhängigkeit von ihm selbst im Denken und im Verständnis. Der Jesus, der in diesem Brief zum Vorschein kommt, ist keiner, der sagt, alles hängt an mir, alles muss auf mich ausgerichtet sein, ihr müsst euch alle an mich hängen, damit ihr das Himmelreich gewinnen könnt. Ganz im Gegenteil. Er versucht seine beiden leitenden Jünger von sich abzunabeln, weil sie es selbst nicht tun, indem er ihnen ein paar unbequeme Wahrheiten ins Stammbuch schreibt. Wie spannend. Davon weiter im nächsten Brief.
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
Die deutsche Fassung des Textes stammt aus:Judith Hartenstein/Uwe-Karsten Plisch: Der Brief des Jakobus (NHC 1,2), in: Ursula Ulrike Kaiser/ Hans-Gebhard Bethge (Hrsg): Nag Hammadi Deutsch, Studienausgabe, 3. Auflage, Berlin 2013, S.10-17.
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