Lieber Luther

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Sonntag, 10. Mai 2015

Vaterunser (10) - Gottes Demokratie

Lieber Luther,
ein benediktinischer Pater hat einmal vor ein paar Jahren ganz abfällig zu mir gesagt: Das ist nichts, das ist Gefasel, das ist Larifari, ganz als sei es der letzte Dreck. Die Rede war von einem Kernbestandteil des Vaterunsers:
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen.
Dieser abfällige Ton hat mich getroffen, so, dass ich es bis heute nicht vergessen habe. Ich habe aber nicht gegengehalten, es einfach so stehen lassen. So will ich heute nachholen, was ich damals versäumt habe.
Das Vaterunser beginnt mit der Bitte: Dein Reich komme, dein Himmelreich komme. Es endet mit: Denn dein ist das Reich, der Anerkenntnis, dass das Reich, um das wir eingangs bitten, auch Gottes Reich ist. Bitternötig. Unser Alltag wird vom Reich des Verführers regiert. Gottes Reich, wer mag dafür Werbung machen? Anscheinend noch nicht einmal jeder Benediktiner. Scheint ein bisschen altmodisch, vom "Reich" zu sprechen. Klingt ein bisschen anstößig, erinnert irgendwie an das Tausendjährige Reich, klingt nach Herrschaft, nach Unterordnung, nach Bedrückung. Der moderne Mensch ist mehr für Demokratie, für Mitsprache, für Mitentscheidung, dafür, dass wir abwählen können, was uns nicht passt. Jedenfalls in der Theorie. Gottes Reich wird gern als Despotie empfunden oder abgelehnt. Unter dieses Joch wollen wir uns nicht begeben. Soweit der neuzeitlich aufgeklärte Mensch. Doch sieht er bei aller Aufklärung auch klar? Gottes Reich ist ein Reich, das er wählen kann oder auch nicht. Gott, lässt uns die Wahl, er stellt sich zur Wahl.
Rückblende. Sein Volk hat Gott als ein brüderliches Volk geschaffen. Die Menschenhändel können Menschen mit weisen Richtern schlichten, das ist Menschensache, nicht Gottessache. Diesen göttlichen Gesellschaftsentwurf der Mitmenschlichkeit unter Brüdern hat der Mensch nicht angenommen. Er wollte einen König über sich gesetzt wissen, freiwillig schuf er ein Oben und Unten. Saul wurde zum ersten irdischen König in Gottes Volk, auch zum ersten König in Gottes Volk, der scheiterte. David rückte an seine Position, nach vielen Machtkämpfen. Mit der neu geschaffenen Position des Königs hielt der irdene Machtkampf Einzug in Gottes Volk, der Kampf um die Krone.
Das sind die Kategorien, in denen Mensch denkt. Macht, Herrschaft, deren Durchsetzung mit Waffengewalt, inklusive Definitionshoheit dessen, was zu Recht und Gesetz deklariert wird und von denen, die unter dieser Herrschaft stehen, unter Androhung von Strafe, anerkannt werden muss. So funktioniert menschliche Macht und Herrschaft in den verschiedenen menschlich geschaffenen Reichen. So hat Mensch dies von Gott herbeigebettelt und selbst ins Werk gesetzt. Gott, denkt Mensch, muss auch so funktionieren.
Kronen, die vom Kopf fallen können: Wer hätte gedacht, dass das prächtige Tyrus je fallen könnte (Jes 23, 8). Sage dem König und der Königin: Setzt euch herunter, den die Krone der Herrlichkeit ist euch von eurem Haupt gefallen (Jer 13, 18).
Die Krone der Herrlichkeit. Sie kann sichtbar sein oder auch nicht. Auch unsichtbare Kronen können vom Kopf fallen: Er hat meine Ehre mir ausgezogen und die Krone von meinem Haupt genommen (Hiob 19, 9). Hiob kennt das Davor und das Danach, welchen Unterschied es macht, sie auf dem Kopf zu haben oder nicht. Nur Demut führt zur Krone der Herrlichkeit.
David, der Geliebte, der Gottesknecht, begreift das (1.Chr 29, 11-16):
Gelobt seist du, HERR, Gott Israels, unseres Vaters, ewiglich. Dir, HERR, gebührt die Majestät und Gewalt, Herrlichkeit, Sieg und Dank. Denn alles, was im Himmel und auf Erden ist, das ist dein. Dein, HERR, ist das Reich, und du bist erhöht über alles zum Obersten. Reichtum und Ehre ist vor dir; Du herrscht über alles; in deiner Hand steht Kraft und Macht; in deiner Hand steht es, jedermann groß und stark zu machen. Nun, unser Gott, wir danken dir und rühmen den Namen deiner Herrlichkeit. Was bin ich? Was ist mein Volk? Was vermögen wir aus uns selbst heraus?
Jesus war in diesem Gottverständnis gegründet. Deshalb bildet es den Rahmen des Vaterunsers: Denn dein ist das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Ich, mein Vermögen, ist gering vor dir, Gott. Verglichen mit deiner Herrlichkeit bin ich nur ein Bettler. David, der Hirte, der zum König wurde, wurde nur zum auch von Gott gesalbten König, weil er Gott gegenüber demütig war, sich nicht von seinem weltlichen Reichtum und seiner weltlichen Macht korrumpieren ließ – bis auf einmal, als er seine Macht ausspielte, aus irdischem Begehren einen Mord beging, und dies dann auch bitter bezahlen musste. Jesus wurde zum alle überragenden von Gott gesalbten König, weil er sich nie von der Welt korrumpieren ließ, was immer sie ihm antun wollten, andichten wollen. So spricht der Herr HERR: Tue weg den Hut und hebe ab die Krone! Denn es wird weder Hut noch die Krone bleiben; sondern der sich erhöht hat, der soll erniedrigt werden, und der sich erniedrigt hat, soll erhöht werden (Hes 21, 31).
Gottes Reich ist ein Wortreich. Es besteht nicht aus Macht und Herrschaft wie menschliche Reiche. Und wenn wir Gottes Reich so denken, ist das die Projektion der Funktionsweise menschlicher Reiche auf Gott, auf das Himmelreich. Wenn wir Gott als einen Despoten denken, der seinen Willen mit aller physischen Gewalt und seiner Allmacht durchsetzen will, projizieren wir menschliche Herrschaftsformen in all ihrer Menschenverachtung auf Gott. Wir denken uns Gott bösartig, herrschsüchtig, selbstsüchtig. Wir haben nicht kapiert, dass – wie in vielen Vaterunser-Folgen dargelegt – das Göttliche nur im Menschen zum Durchbruch kommen kann. Gott lässt den menschlichen Willen gewähren, wie lange es auch dauern mag, den menschlichen Willen mit dem göttlichen in Einklang zu bringen, seine Schöpfung heim zu führen in sein gelobtes Land, in das Paradies, in sein Himmelreich.
Gottes Reich funktioniert nicht nach Gewalt und Herrschaft, es beruht auf Freiwilligkeit, freiwilliger Umkehr, freiwilliger Reue, auf Gewaltverzicht und Brüderlichkeit. Es ist das Gegenteil von Despotie, es beruht auf Langmütigkeit und ewiger Bereitschaft zur Verzeihung, auf Friede zwischen Mensch und Gott. Das ist der göttliche Entwurf seines Reiches, seines Friedensreiches. Seine Macht ist die Macht, warten zu können, bis der letzte, der umkehren will, zu ihm in innerem und äußerem Frieden umgekehrt ist. Er wartet, auf den der umkehren will. Wer nicht umkehren will, den lässt er, lässt ihm seinen Willen und lässt ihn dann, seiner Wahl folgend, auch im Tod sterben. Er lässt ihn in die Grube fallen, wie es sein expliziter Wille ist. Leben nach dem Tod ohne Gottes Atemhauch und ohne menschlichen Willen gibt es nicht.
Gott schuf die Menschen als göttliche Menschen, er gab ihnen seinen Atemhauch, so dass sie ihn als Gott in seiner Kraft und Herrlichkeit erkennen können. Er gab den Menschen einen eigenen Willen, den er sie leben lässt, auch wenn sie sich anstatt für das Leben, freiwillig für das Sterben entscheiden. Zwischen der Masse der Unverständigen findet er genug Verständige, durch die er sprechen kann und durch die er Menschen, die das wollen, zu ihm sammeln kann.
Jakob Israel steht für sein Volk an sich, dafür, dass es Erben gibt, Mose für deren Aufbruch und den langen Weg der Gott untreu seienden Erben zurück in das verheißene Land, ins Paradies, ins Himmelreich. David steht für dieses Reich. An ihm ist gezeigt, wie der Weg über die Weide zur Krone zu gewinnen ist. Jesus steht für Gottes Wort, unkorrumpierte Nachfolge und Demut, reine Sohnschaft, Jesus ist DER Gottessohn, DAS Gotteskind, derjenige, in dem sich Gott unverfälscht spiegelt, in dem er in Klarheit und Wahrheit spricht und handelt. Deshalb spricht Jesus von sich auch immer als "Menschensohn". Wie Jesus sieht ein Gotteskind als Mensch aus, Gott als reines wahres Ebenbild im Menschen. Uns zum Vorbild und zur Nachfolge, um auch uns zur reinen freiwilligen absoluten Kindschaft zu bringen, bis hin und durch die letzte Klärung hindurch, ob wir dem Willen Gottes folgen wollen oder nicht. Auch die letzte Klärung beruht auf dem freien Willen, auf der freien Entscheidung, ob man sich für Gott und das Leben, oder gegen Gott und den Tod entscheiden will. Es ist in den Willen des Menschen gelegt, Gott nachzufolgen. Gottes Wille zur Verzeihung und seine Freude über jeden Umkehrer ist bis zuletzt sicher. An was es mangelt, ist der menschliche Wille, am beidseitigem gleichgerichteten Willen.
Deshalb ist auch die Vorstellung, lieber Luther, Gott sitze auf einem Thron, völlig abwegig. In der Offenbarung und auch im Alten Testament ist immer nur vom "Stuhl" die Rede. Die Krone tragen andere: Und um den Stuhl waren vierundzwanzig Stühle, und auf den Stühlen saßen vierundzwanzig Älteste, mit weißen Kleidern angetan, und hatten auf ihren Häuptern goldene Kronen (Offenb 4, 4). Es sind Kronen der Herrlichkeit Gottes, derjenigen, die sie gewonnen haben. Der Gott folgende Mensch ist die Krone Gottes. Die Krone gewinnen heißt, eins mit dem göttlichen Willen zu werden, ganz in Gott aufzugehen: Und du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des HERRN und ein königlicher Hut in der Hand deines Gottes (Jes 62, 3). Du wirst zur Zier für Gott: Schaut her, mit diesem Menschen kann ich mich schmücken, er ist eine Zier in meinem Himmelreich. Die Krone gewinnen heißt, Anteil am Reich Gottes zu haben.
Wir beten, lieber Luther, dein Reich komme, dein Wille geschehe, denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, damit Gottes Wille zu unserem Willen werde, damit Gottes Reich auf Erden werden kann, damit wir Anteil an Gottes Reich und Herrlichkeit in Ewigkeit gewinnen. Allein darum geht es Gott, und damit Jesus, und damit sollte es auch uns alleine darum gehen. Das Vaterunser ist die Bitte, trägt die Hoffnung, auch wir mögen in diese göttliche Reinheit und Wahrheit eines Morgens finden, und sei es in der Ewigkeit. Amen.
Herzliche Grüße
Deborrah

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