Lieber Luther,
wenn wir von Brand-, Speis-, Dank-, Sünd- und Schuldopfer hören und dazu eine detaillerte Beschreibung geliefert bekommen, wie die Ochsen, Schafe, Ziegen, Vögel zu schlachten und zerlegen sind, und was mit den Einzelteilen passieren soll, denken wir eher an ein Naturvolk als an die Bibel. Das liest sich mit heutiger Brille erst einmal befremdlich und bedarf der Einordnung.
Wie ich dir bereits geschrieben habe, hatte Mose die Herkulesaufgabe, aus einem wilden, widerspenstigen, gesetzlosen, rohen Menschenhaufen ein verfasstes Volk zu machen. Ihm nicht nur Gesetze des Zusammenlebens zu geben, eine gerichtsbare Ordnung, sondern auch eine Ordnung, wie die Gemeinschaft mit dem EINEN Gott zu pflegen ist.
Es war ganz und gar nicht selbstverständlich, dass die Stämme, die unter seiner Führung standen, dem EINEN Gott nachfolgen, der der Gott Jakobs war. Das Volk in seiner breiten Masse pflegte die Vielgötterei mit ihren eigenen Sitten und Bräuchen. Sobald Mose schwächelt, das Volk vor einer großen Herausforderung steht oder ihr Anführer Mose abwesend ist, kehrt es zu den alten Sitten zurück, zu den ursprünglichen Göttern. Der Bau des goldenen Kalbs ist nur ein Beispiel, es folgen noch viele, bis auf den heutigen Tag.
Durch den Bau des Heiligtums, das Zelt der Begegnung, das Priesertum, die neuen Riten, die Gesetzgebung und die damit verbundene Strafandrohnung sollen die Abgötterei zurückgedrängt, der Glaube an den EINEN Gott etabliert werden. In der Bibel steht drastisch: Und sie sollen nicht mehr ihre Schlachtopfer den Bocksdämonen schlachten, denen sie nachhuren (3.Mo 17, 7). Geopfert werden sollte im neuen Zelt der Begegnung: Einen Altar von Erde mache mir, darauf du dein Brandopfer und Dankopfer, deine Schafe und Rinder opferst. Denn an welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen. (2. Mose 27.1).
Solch ein Kulturwandel war nur zu bewerkstelligen, indem Gott Mose in allem unterrichtete und wie mit einem Freund redete. Man kann nun nicht nach heutigen Maßstäben messen. Die Mosegeschichte ist etwa 1480 v.Ch. anzusiedeln. Tieropfer, wenn nicht gar Menschenopfer, gehörten in der Zeit zum Normalfall des Götterkultus. Es mussten noch einige hundert Jahre vergehen bis es im Psalter heißt: Opfer und Speisopfer gefallen dir nicht; aber die Ohren hast du mir aufgetan. Du willst weder Brandopfer noch Sündopfer (Psalm 40, 7). Aber selbst die Psalmschreiber waren sich in dem Punkt noch nicht einig.
Jedoch, die Schlachtopfer waren nur die zeitgemäße äußere Form. Man sollte sich von ihnen nicht zu den Götzen führen lassen. Im Detail findet sich Gott. Zum Beispiel im Bild es "Erstlings" (2.Mose 34, 19ff). Alles, was zuerst den Mutterschoß durchbricht, ist mein, sagt Gott, sei es Ochse oder Schaf. Aber den Erstling des Esels sollst du mit einem Schaf lösen. Wieso Ochse, Schaf und Esel? Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe des Herrn (Jes 1, 3). Die Stärke des Ochsen, die Wehrlosigkeit des Schafes, der Esel, das Lasttier. Jesus schickt seine Jünger, um den lastbaren Esel zu lösen, mit dem er, der Starke, als wehrloses Lamm in Jerusalem einzieht (Mt 21, 2).
Alle Erstgeburt unter deinen Söhnen sollst du lösen, sagt Gott. Niemand soll leer vor mir erscheinen (2.Mose 34, 19-20). Gott erhebt Anspruch auf den "Erstling". Den Menschen gibt er die Möglichkeit, ihre Söhne abzulösen, seinen eigenen Sohn aber fast 1500 Jahre später nicht. Jesus, der in allem der Erstling ist, löst die Sitte der Schlachtopfer. In ihm wird alle heidnische Tradition überwunden. Ab Jesus, mit seiner Auferstehung, wird in Jesus des Namens Gottes gedacht. Auf den Altären löst das Kreuz die Brand- und Dankopfer ab.
Ostern ist schon lange vorgedacht: Du sollst das Blut meines Opfers nicht opfern neben gesäuertem Brot, und das Opfer des Osterfestes soll nicht über Nacht bleiben bis an den Morgen (2.Mose 34, 25). Das "du sollst" hält der Mensch später wie meistens nicht ein: Jesu Blut wurde neben Verbrechern vergossen, neben gesäuertem Brot. Und das Opfer des Osterfestes soll nicht über Nacht bleiben. Das ist eingetroffen, da war Mensch nicht gefragt, so konnte es sein.
Blut spielt in den mosaischen Opferriten eine große Rolle. Mit dem Blut der Opfertiere wurde der Altar besprengt. Denn: Des Leibes Leben ist im Blut, und ich habe es euch auf den Altar gegeben, dass eure Seelen damit versöhnt werden. Denn das Blut ist die Versöhnung, weil das Leben in ihm ist (3.Mose 17, 11-12). Bei den Tieropfern werden Körper und Blut geopfert, zum Gedächtnis Gottes, zum Dank, zur Ablösung und Vergebung von Schuld und Sünde.
Jesus hat zu genau gleichem Zweck das Abendmahl eingesetzt: Und er nahm das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen auch den Kelch, nach dem Abendmahl, und sprach: Das ist der Kelch, das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird (Lukas 22, 19). Alter Ritus wird durch neuen Ritus abgelöst, alter Bund durch den neuen Bund, alter Wein in neuen Schläuchen, Blut wird durch Wein abgelöst. Das zweite Testament ist eine Erneuerung, im doppelseitigen Sinn, des ersten Testaments, eine Modernisierung, eine Aktualisierung, die durch Jesus in die Welt gebracht wird.
Lieber Luther, eigentlich bin ich noch beim Vorwort, so mächtig und gehaltvoll sind die Beschreibungen der Brand, Dank-, Speis-, Schuld- und Sündopfer und der dazugehörigen Riten, so viele Parallelen und Schlüsse könnte man zu Jesus und zum Neuen Testament ziehen. Man könnte ein Buch damit füllen. Es ist schade, dass im oberflächlichen Betrachten der Schlachthandlungen der tiefe Sinn von oberflächlicher Empörung verdeckt wird. Das Alte, richtiger das Erste Testament ist nicht veraltet. Es sagt uns viel, wir müssen es nur wieder verstehen lernen. Gott denkt in anderen Kategorien. Das leiblich-fleischliche spielt für ihn keine Rolle, ihm geht es nur um das Geistige.
Lieber Luther, es ist unmöglich, alles, was mir so durch die Sinne schwebt, in so einem kurzen Brief zu erzählen. Eines mag ich aber, da wir auf Ostern zusteuern, nochmals aufnehmen: Gott sagt: Des Leibes Leben ist im Blut, das Blut ist die Versöhnung, weil das Leben in ihm ist. Ich will darüber nachdenken, was daraus für das Ostergeschehen zu lernen ist. Mal sehen….
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
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