Lieber Luther

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Montag, 21. Januar 2013

Spiegel putzen


Lieber Luther,
"Die Furcht des Herrn ist rein …", in Zusammenhang von Psalm 19,12.
Man könnte es sich nun einfach machen und sagen, das ist so gemeint, dass der Mensch Gott fürchten soll. Aber das stimmt so nicht, liest man es im Zusammenhang:
Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquicket die Seele (19, 8a)
Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht den Unverständigen weise (19, 8b)
Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz (19, 9a)
Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen (19, 9b)
Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich (19, 10a)
Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht (19, 10b).
Es ist also eindeutig, dass das Subjekt, um das es hier geht, Gott ist und nicht der Mensch. In seltener Einigkeit ist das in allen Bibelversionen, die ich habe, gleich. Man kann sich also nicht darum herumdrücken, sich eine Vorstellung davon zu machen, was damit gemeint ist.
Es gibt viele Bibelstellen, in denen dem Menschen als dem Empfänger der göttlichen Befehle, Gesetze, Gebote, Urteile dringend ans Herz gelegt wird, diese doch tunlichst zu befolgen, da ansonsten der göttliche Zorn zu fürchten ist. Die Bibel strotzt nur so von Beispielen, dass dies auch so ist. Das ist offensichtlich, darauf brauche ich nicht eingehen.
Was also ist die Furcht des Herrn? Was steht bei Maleachi 1,6?
Ein Sohn soll den Vater ehren, und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht? spricht Jehova der Heerscharen zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet und doch sprechet: Womit haben wir deinen Namen verachtet?
Wo ist meine Ehre, wenn ihr mich nicht ehrt, wo ist meine Furcht, wenn ihr mich nicht fürchtet. Das ist ein Vertrag auf Gegenseitigkeit. Jeder wird durch den anderen. Gott sieht mit Liebe und Zuneigung in den menschlichen Spiegel und erwartet, dass seine Liebe und Zuneigung zurückgespiegelt wird. Er muss aber sehen, dass der Spiegel beschlagen und verunreinigt ist, dass sich nicht sein reines Angesicht widerspiegelt. Ganz im Gegenteil.
Wie muss er erschrecken, wenn er in diesen Spiegel schaut. Wie sehr muss er um seine Schöpfung fürchten?
Fürchten, dass sein Volk sich noch weiter zerstreut.
Fürchten, dass seine Kinder den Vater in der reizüberfluteten Welt nicht mehr erkennen.
Fürchten, dass die Ohren des Menschen im Lärm der Zeit seine Stimme nicht mehr hören.
Reine Furcht um seine Schöpfung.
Lieber Luther, wie sehr kann ich das nachvollziehen, wie sehr kann ich Gottes Furcht verstehen. Auch in mir steigt angesichts der Welt Furcht auf.
Wir haben verkehrte Verhältnisse. Anstatt dass der Mensch Gott fürchtet, fürchtet Gott um den Menschen. Ich fürchte, lieber Luther, solange das nicht wieder eine gegenseitige Furcht wird, wird Gott sich fürchten müssen. Und ich fürchte, dass das noch sehr lange dauert.
Was uns tröstet: dass wenigstens zwei oder drei vorhanden sind, die ihn fürchten. Denn: Wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist er mitten unter uns (Matth 18, 20)
Wie dumm und undankbar wir uns auch anstellen, er ist eine treue und unermüdliche Putzfrau, und er wird nicht müde werden, die Spiegel so lange zu putzen, bis jeder rein geputzt ist. Vielleicht sollten wir auch zum Putztuch greifen, um ein bisschen mitzuhelfen. Mal schauen, wo ich eines finde.
In diesem Sinne wünsche ich uns, dass uns bald ein Frühjahrsputzfimmel befällt. Die Schürze habe ich schon mal umgebunden.
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Was mir gerade noch einfällt: Oder ist es vielleicht so, dass gar nicht jeder dieses göttliche Spiegelputzen aushält? Steht auch bei Maleachi.

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