Lieber Luther

Lieber Luther

Montag, 28. Januar 2013

Stecken und Stab


Lieber Luther,
mein Arbeitsversuch ist heute gescheitert, ich muss der Krankheit Zoll entbieten. Die Zeit habe ich genutzt, wieder einmal über Psalm 23 nachzudenken.
Es gibt dort eine Stelle, über die stolpere ich immer: „dein Stecken und Stab trösten mich“.
Was ist Stecken, was ist Stab und wieso tröstet der Stab und stützt nicht?
Das hat sich mir bisher nicht erschlossen. Zunächst einmal, was ist „Stecken“ und was ist „Stab“? Man muss weit zurückgehen, zu Mose und Aaron, um dem Stecken und dem Stab auf die Spur zu kommen.
Mose und Aaron hatten die Herkulesaufgabe, ein renitentes Volk aus Ägypten zu führen. Immer wieder wurden ihre Entscheidungen angezweifelt, fast hin bis zur Meuterei. Gott musste starke Zeichen schicken, um sein Volk auf Kurs zu halten und seinen Anführern zu Hilfe zu eilen.
Zwölf Stecken ließ er Mose zusammentragen, von jedem Fürsten seines Vaterhauses einen. Auf jeden Stecken schrieb er einen Namen. Den Stecken dessen, den Gott als Anführer auserwählt hat, wird ergrünen. So das Versprechen.
Grün wurde der Stecken Aarons. Vom „Aaronstab“ zu sprechen, stimmt deshalb nicht, es ist der Stecken Aarons, der grün wird. Der Stecken steht für Gottes Volk und der Name darauf, für den Auserwählten, der dieses Volk führen soll. Der Stecken steht für das Volk, das sich in Gottes Namen hinter dem Auserwählten versammelt, dessen Name auf dem Stecken steht.
Wie unter dem Stecken des Kreuzes, auf dem der Name „Jesus, König der Juden“ steht. Unter diesem Stecken und diesem Anführer versammeln wir uns heute noch.
Für was steht aber der Stab? Der Stab steht für die Zeichen, die Gott immer wieder wirkt, um sein ungläubiges Volk bei der Stange zu halten. „Und diesen Stab nimm in deine Hand, mit dem du die Zeichen tun sollst.“ (2.Mose 4,17). Mit diesem Stab schlug Mose den Fels. Er steht für die besondere Kraft, die Gott seinen auserwählten Knechten verleiht, damit sie Zeichen setzen können, die das Volk braucht und versteht.
Das Kreuz ist aus Stecken und Stab gebildet. Als Zeichen für Gottes Volk, sich dahinter zu versammeln und als Zeichen für die besondere Kraft, die von ihm ausgeht. Es ist eine Verortung von Gottes Volk, wo immer das Kreuz steht. Es ist eine Verheißung, dass dieser Stecken grünt, da auf ihm der Name Jesus Christus steht. Dieser Stecken und Stab gibt seinem Volk Trost und Halt, egal, in welchem mehr oder minder verwerflichen Zustand es sich gerade befindet.
Deshalb „dein Stecken und Stab trösten mich“. Egal wie unzulänglich und renitent ich auch bin, unter dieser Führung kann mir nichts passieren. Der gute Hirte wird mit seinem Hirtenstab auf mich aufpassen.
Lieber Luther, wie können wir da froh sein. Mit einem Seufzer der Erleichterung muss ich jetzt schließen. Ich muss morgen früh raus. Ich muss schon wieder fliegen, hoffentlich zerreißt es meinen erkälteten Kopf nicht.
Herzliche Grüße
Deborrah

Montag, 21. Januar 2013

Hochzeit von Kanaan


Lieber Luther,
manche Dinge gehen mir zu langsam, manche zu schnell. Heute ist schon der letzte Sonntag nach Epiphanias. So weit bin ich noch lange nicht. Ich bin gerade mal bei der Hochzeit von Kana angelangt. Das ist ja eine wichtige Bibelstelle, das erste "Wunder".
Beim Kirchgang heute ist mir hierzu ein Licht aufgegangen, wahrscheinlich weil draußen ein heller Tag war.
Im Johannesevangelium steht der Text im 2. Kapitel, gleich nach dem Kapitel über Jesu Taufe durch Johannes. Und zum Abschluss: "Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn." (Joh 1, 51). Jetzt ist er bereit.
Das Geschehen hat verschiedene Dimensionen. Fangen wir mal bei seinem Verhältnis zu seiner Mutter an.
"Am dritten Tage" (Zufall?) war eine Hochzeit. Maria, seine Mutter, war zugegen. Das erste Mal, dass sie im Johannesevangelium auftaucht. Sie weist ihn darauf hin, dass der Wein aus ist und er antwortet barsch "Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen."
Nicht das einzige Mal, dass er seiner Mutter gegenüber so harsch ist. Schon als er beim Osterfest in Jerusalem verloren ging, als 12jähriger, hat er ihr eine Breitseite entgegengeschickt. Oder: Matth. 12, 47.: "Wer ist meine Mutter?". Ich habe dir darüber schon geschrieben, auch dass ich für seine Entgegnung Verständnis habe.
Deshalb muss man auch hier hinschauen, was wirklich gemeint ist.
Zunächst Jesus in seinem Mensch-Sein. Er ist erwachsen und will sich nicht von seiner Mutter sagen lassen, was zu tun ist. Verständlich. Sie sagt dann auch zu den Dienern: "Was er euch sagt, das tut". Damit schiebt sie ihm die Verantwortung rüber. Tu, was du denkst sei richtig. Ich halte mich von nun an raus. Du bist jetzt der Herr. Im Zweifelsfall gibt es eben keinen Wein. Sie entlässt ihn aus ihrer Obhut.
Dann das Überraschende: Obwohl er abwehrend sagt "meine Stunde ist noch nicht gekommen" tut er plötzlich doch etwas, übernimmt die Verantwortung: Er macht Wasser zu Wein. Dass das erste seiner Zeichen ausgerechnet die Umwandlung von Wasser zu Wein ist, ist nur auf den ersten Blick überraschend.
Es steht für das A & O, den Quell des Lebens am Anfang und sein vergossenes Blut am Ende. Es steht am Anfang seines Wirkens und deutet schon auf das Ende. Deshalb sagt er "Meine Stunde ist noch nicht gekommen". Seiner Mutter und ihrer Liebe bedarf er erst wieder als er am Kreuz hängt. Die Kriegsknechte ritzen dort die Schläuche, die er in Kanaan gefüllt hat, mit seiner Außenhaut wieder auf und das Blut und Wasser läuft wieder heraus.
Seine Mutter macht er aber, bevor er stirbt, als seine Stunde da ist, zur Mutter der Mütter, zur Mutter all seiner Jünger, die er lieb hat. Er erhöht sie, nachdem er sie so oft erniedrigt hat.
Dass Wein nicht gleich Wein ist, merkte auch der Schankmeister. Wieso hat Jesus die Hochzeitsgesellschaft erst den schlechten Wein trinken lassen? Weil man erst, wenn man schlechten Wein getrunken hat, den guten Wein schätzt.
Die Hinterhältigkeit des Schankmeisters, von gutem zu schlechtem Wein zu wechseln, nachdem die Gäste betrunken sind, wollte er nicht unterstützen. Das wäre gleich zu Beginn nicht das richtige Zeichen gewesen. Denn er war ohne Falsch.
Ganz schön komplex, diese Hochzeit von Kanaan. Mir ist auch nochmals der Dreiklang von Epiphanias klar geworden: Geburt – Taufe – Tod. Jesus als Menschensohn.
Lieber Luther, ich könnte wahrscheinlich noch ein paar Blog-Seiten zu dem Thema füllen, will dich aber nicht zu lange in Anspruch nehmen. Ich weiß, du hast viel um die Ohren. Ich muss gleich auch noch in die Küche und kochen.
Herzliche Grüße
Deborrah

Spiegel putzen


Lieber Luther,
"Die Furcht des Herrn ist rein …", in Zusammenhang von Psalm 19,12.
Man könnte es sich nun einfach machen und sagen, das ist so gemeint, dass der Mensch Gott fürchten soll. Aber das stimmt so nicht, liest man es im Zusammenhang:
Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquicket die Seele (19, 8a)
Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht den Unverständigen weise (19, 8b)
Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz (19, 9a)
Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen (19, 9b)
Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich (19, 10a)
Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht (19, 10b).
Es ist also eindeutig, dass das Subjekt, um das es hier geht, Gott ist und nicht der Mensch. In seltener Einigkeit ist das in allen Bibelversionen, die ich habe, gleich. Man kann sich also nicht darum herumdrücken, sich eine Vorstellung davon zu machen, was damit gemeint ist.
Es gibt viele Bibelstellen, in denen dem Menschen als dem Empfänger der göttlichen Befehle, Gesetze, Gebote, Urteile dringend ans Herz gelegt wird, diese doch tunlichst zu befolgen, da ansonsten der göttliche Zorn zu fürchten ist. Die Bibel strotzt nur so von Beispielen, dass dies auch so ist. Das ist offensichtlich, darauf brauche ich nicht eingehen.
Was also ist die Furcht des Herrn? Was steht bei Maleachi 1,6?
Ein Sohn soll den Vater ehren, und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht? spricht Jehova der Heerscharen zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet und doch sprechet: Womit haben wir deinen Namen verachtet?
Wo ist meine Ehre, wenn ihr mich nicht ehrt, wo ist meine Furcht, wenn ihr mich nicht fürchtet. Das ist ein Vertrag auf Gegenseitigkeit. Jeder wird durch den anderen. Gott sieht mit Liebe und Zuneigung in den menschlichen Spiegel und erwartet, dass seine Liebe und Zuneigung zurückgespiegelt wird. Er muss aber sehen, dass der Spiegel beschlagen und verunreinigt ist, dass sich nicht sein reines Angesicht widerspiegelt. Ganz im Gegenteil.
Wie muss er erschrecken, wenn er in diesen Spiegel schaut. Wie sehr muss er um seine Schöpfung fürchten?
Fürchten, dass sein Volk sich noch weiter zerstreut.
Fürchten, dass seine Kinder den Vater in der reizüberfluteten Welt nicht mehr erkennen.
Fürchten, dass die Ohren des Menschen im Lärm der Zeit seine Stimme nicht mehr hören.
Reine Furcht um seine Schöpfung.
Lieber Luther, wie sehr kann ich das nachvollziehen, wie sehr kann ich Gottes Furcht verstehen. Auch in mir steigt angesichts der Welt Furcht auf.
Wir haben verkehrte Verhältnisse. Anstatt dass der Mensch Gott fürchtet, fürchtet Gott um den Menschen. Ich fürchte, lieber Luther, solange das nicht wieder eine gegenseitige Furcht wird, wird Gott sich fürchten müssen. Und ich fürchte, dass das noch sehr lange dauert.
Was uns tröstet: dass wenigstens zwei oder drei vorhanden sind, die ihn fürchten. Denn: Wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist er mitten unter uns (Matth 18, 20)
Wie dumm und undankbar wir uns auch anstellen, er ist eine treue und unermüdliche Putzfrau, und er wird nicht müde werden, die Spiegel so lange zu putzen, bis jeder rein geputzt ist. Vielleicht sollten wir auch zum Putztuch greifen, um ein bisschen mitzuhelfen. Mal schauen, wo ich eines finde.
In diesem Sinne wünsche ich uns, dass uns bald ein Frühjahrsputzfimmel befällt. Die Schürze habe ich schon mal umgebunden.
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Was mir gerade noch einfällt: Oder ist es vielleicht so, dass gar nicht jeder dieses göttliche Spiegelputzen aushält? Steht auch bei Maleachi.

Stärkbier


Lieber Luther,
morgen ist Epiphanias. Was soll das eigentlich sein, Epiphanias? Ich bin theologisch weder gebildet noch verbildet, also kann ich mich das durchaus fragen. Soweit ich mich erinnere, hat mir das noch niemand erklärt.
Erste Anlaufstelle ist heutzutage Wiki. Man sieht auf den ersten Blick, dass es nicht so einfach ist mit Epiphanias. Ein ziemliches Kuddelmuddel. Ich will nun nicht alles wiederholen, was da steht, das kannst Du selbst nachlesen.
"Heilig Drei König", damit kann ich etwas anfangen, aber Epiphanias? Gähnende Leere, kein Echo in mir. Wenn ich auf die Straße gehen würde und Leute fragen, was denn bitte Epiphanias sei, es würde ihnen wahrscheinlich so gehen wie mir.
Johannes Tauler predigt zu Epiphanias, die Seele, erkenne wohl Gott, "sogar mit dem natürlichen Licht der Vernunft, aber wer er ist oder wo, das ist ihr gänzlich unbekannt und verborgen, und davon weiß sie gar nichts".
Gott ist für einen Menschen zu hoch, er ist nicht von ihm zu verstehen. Damit gibt sich die Seele natürlich nicht zufrieden, sie strebt danach, hinter das Nichtverstehbare zu kommen. Was sie erreichen kann, ist ein Blick auf den Abglanz:
"In diesem aufmerksamen Bemühen geht ihr ein Stern auf, ein Schein und Glanz göttlicher Gnade, ein göttliches Licht; sieh, dieser, spricht das Licht, ist jetzt geboren, und weist die Seele auf den Ort der Geburt (Gottes) hin. Denn dahin, wo er ist, kann kein natürliches Licht hinführen."
Oder, wie es bei Jesaja 60, 1 heißt: "Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir".
Tu was Mensch, erwache aus deiner Lethargie, ohne deinen Willen geht es nicht, mache es wie die drei Könige, zieh diesem Licht in deiner Seele nach bis du bei dem Kind angekommen bist, das ist wenn Gott seine Gnade über dich ausschüttet.
Epiphanias hat etwas mit Aufbruch zu tun. Ein dreifaches Aufbrechen. Breche auf und mach dich auf dem Weg zum LIcht. Der Himmel bricht auf, Gottes Wort und Heiliger Geist bringen uns den inneren und äußeren Aufbruch. Jesus macht sich wieder einmal auf, um uns, angefangen in Kanaan, das Wort  aufzubrechen. Aufbrechende Dreifaltigkeit.
Epiphanias soll uns aus unserer Weihnachtsseligkeit wecken und uns erinnern, dass wir nun am Zug sind, uns aufbrechen lassen: "Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen", alle Voraussetzungen sind geschaffen, es liegt an uns. Aus mit Feiern, ein langer Weg liegt vor uns, Arbeit ist angesagt, der Alltag hat uns wieder. Auf zum nächsten Weihnachten. 
Lieber Luther, du schaust dem Volk gern aufs Maul. Tief in der Seele des Menschen verborgen sind noch Wahrheiten, für die keiner mehr so richtig den Grund kennt, aber sie sind noch vorhanden.
"Die Stärk antrinken", ein Brauch im Oberfränkischen am Vorabend zum 06. Januar. Um sich gegen die Widrigkeiten des kommenden Jahres zu wappnen, für die Arbeit und den Alltag nach all dem Feiern. Ein schöner Brauch, ein schönes Bild.
Ich will gleich in den Keller gehen und schauen, ob ich ein Starkbier finde. Bei Dir ist das sicher kein Problem, Deine Katharina hat Dir sicher eines gebraut. Nehm einen guten Schluck!
Herzliche Grüße
Deborrah

Amnesie


Lieber Luther,
ich muss wieder zur Feder greifen, da ich in der Bibel etwas nicht verstehe und da bist Du eine gute Ansprechstation für mich.
Ich habe gerade das Evangelium für morgen gelesen und festgestellt, dass es der Text ist, über den ich immer stolpere. Wieso wundert sich Maria über das, was Simeon und die Prophetin Hanna sagen, die in Jesus den Erlöser erkannt haben (Lk 2, 25 ff?
Wieso ich mich wundere?
Maria ist der Engel Gabriel erschienen und hat ihr die Geburt Jesu aus dem heiligen Geist angekündigt. Auch den Namen des Kindes hat er gesetzt: Jesus.
Er wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden; Gott der Herr wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; er wird ein ewiger König sein über das Haus Jakob und sein Königreichs wird kein Ende haben. Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Maria antwortet: "Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe wie du gesagt hast".
Auch Johannes Geburt ist ihr angekündigt worden und so eilt sie zu Elisabeth, mit der auch Unerklärliches vor sich geht.
Was sagt Elisabeth zu Maria: "Woher kommt mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt"? Gesegnet bist du und gesegnet ist dein Kind. Selig bist du, die das Wort des Herrn geglaubt hat.
Und aus Marias Seele quillt der Lobpreis des Herrn, der mit den wunderbaren Worten anfängt: "Meine Seele erhebe den Herrn und mein Geist freue sich Gottes, meines Heilands".
Den Hirten erscheinen auch Engel: euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Sie eilen in die Stadt Davids, nach Bethlehem und finden dort tatsächlich das Jesuskind.
Auch sie glauben den Worten der Engel, sie breiten "das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war".
"Maria aber behielt all diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen".
So weit ist alles klar. Alle Beteiligten wissen, wer hier geboren wurde: Zacharias, Elisabeth, Maria, die Hirten, alle sind voller Freude. Joseph findet hier bei Lukas keine Erwähnung, aber ich bin sicher, dass auch er es weiß.
Nur acht Tage später, nach dem Wochenbett, scheint alles vergessen, die Amnesie einzutreten, und zwar ausgerechnet bei Maria und Joseph. Mit Kind und Blut scheint Maria auch das Gedächtnis entflossen.
Der gottesfürchtige Simeon und die Prophetin Hanna erkennen Jesus als den Christus, als den Erlöser. Simeon sagt: "Meine Augen haben dein Heil gesehen, das du bereitet hast im Angesicht aller Völker: ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel". Auch Jesu Tod und Marias Schmerz wird von Simeon bereits gesehen, inklusive Begründung: "dass vieler Herzen Gedanken offenbar werden", das heißt: dass viele Menschen in ihrem Herzen von ihm erfasst werden.
Und dann steht es: "Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich des, das von ihm geredet ward".
Wieso das denn? Acht Tage nach seiner Geburt. Die Hirten waren vermutlich noch in der Stadt. 9 Monate, nachdem der Engel erschienen war und ihr die Geburt angekündigt hatte, 3 Monate nachdem sie bei Elisabeth war und sie ihrer Seele dieses wunderbare Magnifikat abgerungen hat. Eine Mutter vergisst das nicht, das ist unmöglich, das ist eingebrannt.
Das Jesuskind wuchs "und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm".
Dann gehen sie zu Ostern nach Jerusalem in den Tempel. Jesus ist 12 Jahre alt. In den Menschenmassen verlieren sie ihn aus den Augen. Da sie wissen, dass Jesus ein kluges Kind ist, denken sie, dass er sich mit seinen Freunden, die ebenso nach Jerusalem gepilgert waren, bereits auf den Rückweg gemacht hat. Als sie auf die Gruppe treffen, finden sie ihn nicht.
Also tun sie, was Eltern in so einem Fall tun: sie kehren um und suchen das Kind.
Unfasslich, dass sie nicht zuerst im Tempel suchen. Jesus Antwort auf ihre Vorwürfe ist absolut nachvollziehbar: "Wisst ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist". Recht hat er, möchte ich ausrufen. Jesus reagiert mit dem gleichen Unverständnis wie ich.
"Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete".
Das Kind kommt nach und nach selbst zu Wort. Es wird stark im Geist, „voller Weisheit“, das fällt einer Mutter schon von kleinsten Kindesbeinen an auf. Maria, wo hast du deine Gedanken? Weißt du nicht mehr, was dein Herz bewegt hat?
Was ist bloß mit diesen heiligen Eltern passiert? Bis zur Geburt verstehen sie alles, danach – jedenfalls nach Lukas – nicht mehr viel.
Wie kann das sein, lieber Luther? Ich ringe damit seit Wochen, weil ich es nicht verstehen kann. Andererseits weiß ich, dass in der Bibel kein Papperlapapp steht und ich der nicht verstehende Teil bin. Also, wie muss ich das verstehen?
Maria scheint irgendwie dreigeteilt, fast würde ich sagen dreifaltig:
Da ist die junge Frau, die Gottes Wort annimmt, mit der ganzen Unschuld ihrer Seele: Herr, ich tue was ich verstanden habe, was du von mir willst, ich gehe dorthin, wohin du mich leitest. Voller Vertrauen, noch nicht gezeichnet von den Vertrauensbrüchen, die das Leben mit sich bringt.
Das ändert sich mit der Geburt ihres ersten Sohnes. Der Alltag holt sie ein. Die Mutterpflichten, Ehefrauenpflichten, Haushaltspflichten, sozialen Verpflichtungen, die sie aufreiben und ihre Seele bedecken, so dass sie bei der täglichen Pflichtenfülle und bei der Sorge um die ganze Familie ihre innere Wahrheit verliert. Sie hat keine Zeit mehr, sich um ihre Seele, um ihren inneren Kern, zu kümmern.
Vielleicht war das vom Engel gemeint: "der Geist des Herrn wird dich überschatten". Im Überlebenskampf des Alltags fehlt Zeit und Kraft, um sich dem inneren Licht zuzuwenden.
Dann ist da die vom Leben gezeichnete ältere Maria, die am Kreuz mit ihrem Kind stirbt. Das ist für eine Mutter (und einen Vater) die Hölle. Da sie physisch weiterleben muss, findet sie in ihrer Seele Gott wieder. In der tiefsten Nacht hebt sich der Schleier und sie sieht wieder das Licht in sich. Sie wird zur Jüngerin. Das ist eigentlich wunderschön.
So gibt es für mich einen tiefen Sinn. Einzuordnen und zu verstehen für alle Eltern in diesen Lebensphasen. Vermutlich ist das auch für Dich nachzuvollziehen, Deine Kinderzahl ist ja stattlich, wie sich ein Verlust anfühlt, kennst du auch, Dein Haushalt ist groß und ja, einen Beruf und eine Berufung hast Du auch noch. Pass auf, dass Du Dich nicht übernimmst!
Herzliche Grüße
Deborrah

Abendmahl


Lieber Luther,
du weißt, dass mich das Abendmahl schon des öfteren bewegt hat. Schon wieder hat es mich eingeholt.
Gleich in meinem ersten Brief an Dich musste ich meinen Zorn über die fehlenden Abendmahlsfeiern in meiner Kirchengemeinde loswerden. Ich erinnere an die beeindruckende Abenmahlschnitzerei in der Kirche von Steinfeld, vom Geburtstags-Abendmahl habe ich berichtet, auch darüber, dass es einen wie ein Sturmwind erfassen kann.
Zum Kern bin ich aber bisher nicht wirklich durchgedrungen, es ist mir gerade erst klar geworden: Es ist, wie bereits unten geschrieben, immer das Wort, in dem Fall die Einsetzungsworte Jesu Christi:
"Nehmet hin und esset; das ist mein Leib, der für euch gegeben wird"
"dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden".
Das ist sein Vermächtnis. Mit diesen durch Jesus für mich gesprochen Einsetzungsworten werde ich in ihn eingesetzt, wird Gott im Brot und Wein, so dass ich ihn buchstäblich essen und trinken kann, Buchstabe für Buchstabe sozusagen. Möglich ist das nur durch den tatsächlich hingegebenen Leib Jesu Christi und sein für mich vergossenes Blut.
Der Blutzoll für das Böse und die Abgründe in mir ist durch Jesu Leiden für mich bezahlt und Gottes Gegenwart deshalb für mich unmittelbar möglich. "Gott direkt" könnte man sagen, Christus bringt ihn zu mir, er trägt ihn mir quasi nach, ich muss ihn nur nehmen. Das ist von Gott so gewollt.
Das ist es was Du meinst mit "Aus Brot und Wein wird durch Gottes Wort der wahre Leib und das wahre Blut Jesu Christi" (Große Katechismus).
Wie einfach macht er es uns damit eigentlich. Wieso tun wir uns so schwer damit?
Meine Gedanken wandern zurück zum Adventsversprechen Maleachis:  "Wer wird bestehen, wenn er erscheinen wird?"
War es deshalb, weshalb ich so gewankt habe, wie eine Zeder des Libanon, beim letzten Abendmahl?
Mit weihnachtlichen Grüßen herzlichst
Deborrah
PS: Wieso beschäftigt mich 2 Tage vor Weihnachten das Abendmahl so sehr? Weil wir eine besondere Zeit haben? Weil Jesus für uns stirbt und Gott geboren wird in jedem Abendmahl? Ostern und Weihnachten außerhalb Ostern und Weihnachten? Ostern und Weihnachten - im Abendmahl?

Das dritte Weihnachten


Lieber Luther,
wir stehen wieder einmal vor Weihnachten und ich will dies zum Anlass nehmen, Dir wieder einmal zu schreiben. Wir warten auf die Ankunft des göttlichen Kindes. Alle Jahre wieder sollen wir uns erinnern, dass dieses göttliche Kind uns aus höchstem Schöpferwillen geboren ist. Es ist ein Geschenk an uns. Was will Gott uns damit sagen, an was will er uns erinnern?
Ich habe gerade die Schöpfungsgeschichten nochmals gelesen: Mose und Johannes. Gott hat das „Gut“ geschaffen („und er sah, dass es gut war“) und der Mensch war der letzte Teil davon. Er kam am Ende der Schöpfung.
Am Anfang stand Himmel und Erde. Die Erde war leer. Nur Geist und Wasser als Quelle des Lebens. Daraus gebar er das Licht: „Ich bin das Licht der Welt“, das die Finsternis erhellt. Damit war alles geschaffen, aus dem sich der Rest zunächst zeitlos entwickelte, da die Zeit noch nicht existierte. Sie ist erst mit dem Menschen und seinem Verstand geworden. Aus göttlichem Schöpfergeist und Lebensquell ist etwas geboren. Das war das erste Weihnachten.
Gott sagt, nachdem er den Menschen geboren hat: „herrscht und macht die Erde euch untertan“, weil er den Menschen sich zum Bilde schuf, er, der Herr. Und er gab dem Menschen auch das Wort - die Sprache - und einen Willen. Damit setzt er den Menschen über den Rest der Schöpfung, deshalb kommt er auch zuletzt, als der komplexeste Teil sozusagen, als sein Ebenbild.
Im Unterschied zum Rest der Schöpfung sprach er von Beginn an zu den Menschen. Er belehrte sie von Anbeginn, was sie zu tun hatten.
Im Grund ist es das gleiche wie bei Johannes, nur anders ausgedrückt: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott ward das Wort“. Das meint den göttlichen Schöpfungswillen, denn „in ihm war das (göttliche) Leben, und das (göttliche) Leben war das Licht der Menschen.“ Oder Gott „sprach es werde Licht“.
Aber nur das göttliche Leben ist das Licht der Menschen. Daneben gibt es von Beginn an auch die Finsternis und das Dunkel. Gott hat dem Menschen nach seinem Ebenbild einen Willen gegeben. Da es ein menschlicher Verstandeswille ist, ist er von Anbeginn begrenzt, eingeschränkt, fehlerhaft, subjektiv.
Von Anfang an hat Gott den Menschen auch Ohren gegeben zu hören, aber sie haben nicht gehört, damals nicht und heute nicht, von Anbeginn der Zeit nicht. Das macht den Menschen zum Menschen und unterscheidet ihn von Gott. Der Mensch ist ein begrenztes Ebenbild Gottes.
Oder, wie Johannes schreibt: Das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen. Das ist der begrenzte Mensch.
Adam und Eva haben nicht auf Gottes Wort gehört, sondern nach eigenem Gusto gehandelt. Sie haben vom Baum der Erkenntnis gegessen und konnten fortan zwischen Gut und Böse unterscheiden und damit gut und böse handeln, nach eigener Entscheidung und in eigener Verantwortung. Das macht den Unterschied: Während Gott das ewige Gut ist, das Licht, das Leben, ist der Mensch das ewige Gut und Böse, Licht und Dunkel, Leben und Tod, ohne Ausnahme.
Auch nach dem Sündenfall – das heißt auch wenn der Mensch große und kleine Sünden begeht - ist Gott noch da: er macht Adam und Eva höchst selbst Röcke aus Fellen und kleidet sie, er hüllt sie ein, damit sie trotz ihrer bösen Charakterzüge nicht schutzlos sind. Das Paradies hat der Mensch von Anbeginn selbst verspielt. Das Gut und Böse ist in der Welt durch den Menschen selbst, die kindliche Unschuld verloren, der Mensch muss sich von da an vor Gott für das, was er tut, verantworten. Mit den Beschwernissen, die er der Menschheit auferlegt, legt er die Entscheidung, wie der Mensch auf sie reagiert, in Menschenhand. Sie liegt beim Menschen, nicht bei Gott. Nicht nur der Mensch, auch Gott blickt, wenn er den Menschen anblickt, in gut und böse, sein Ebenbild ist gut und böse geworden und er muss es aushalten.
Von Anbeginn ist es so, dass es Menschen gibt, die ihn hören und die versuchen danach zu handeln, was sie verstanden haben. „Wer Ohren hat zu hören, der höre ...“. Diese Menschen haben bereits in ihre eigenen Abgründe geschaut, so dass sie angefangen haben sich zu schämen, vor sich selbst, vor Gott, vor ihren Mitmenschen. Und Gott kleidet und schützt sie in ihren Beschwernissen und Abgründen.
Von Anbeginn ist es aber auch so, dass es Menschen gibt, die sich nur nach dem eigenen Willen richten, die die göttliche Stimme übertönen und überstimmen, sein Wort nicht hören wollen. Sie ziehen die eigenen Erkenntnisse dem göttlichen Wort vor und entscheiden sich damit gegen Licht und Leben. Sie werden unter Schmerzen ihre Kinder gebären, d.h. nur unter viel Schmerzen wirkliches (göttliches) Leben in ihre Welt bringen - unter Schmerzen, aber sie können es. Die Möglichkeit steht ihnen offen.
Der Mensch hat menschlichen Willen und Verstand. Es ist seine Entscheidung, welchen Teil er wählt. Wenn er sich für den guten Teil entscheidet, webt Gott sein schützendes Kleid, auch in den Anfechtungen und Versuchungen der Beschwernisse. Entscheidet er sich für den anderen Teil, wird nichtsdestotrotz der Tag kommen, an dem er vor seinen Abgründen steht. Je unvorbereiteter er dies tut, desto mehr Schmerzen wird ihm das bereiten. Spätestens im Sterben wird er nicht mehr ausweichen können. Da wird ihm sowohl sein Gutes als auch sein Schlechtes unerbittlich vor Augen kommen. Er wird durch die Hölle seiner Abgründe gehen müssen.
Um das Gut beim Menschen wieder über das Böse siegen zu lassen, ist Gott unermüdlich. Er belehrte die Menschen von Anbeginn. „und Gott sprach zu ihnen ...“. Dies tat er, tut er und wird es tun, bis das Gute über das Böse gesiegt haben wird. Das liegt nur in göttlichem (Durchhalte-) Vermögen, ein Mensch vermag das in seiner beschränkten Endlichkeit nicht.
Um den Menschen die Erkenntnis von Gut und Böse zu öffnen und vom Böse zum Gut zu führen, konfrontiert er sie seit Anbeginn mit ihrer Bösheit. Adam und Eva hat er konfrontiert, Kain und Abel, das Volk Israel, Mose, alle Propheten und Heiligen.
Er hat sogar in Jesus sein reines Ebenbild als Mensch geboren, um den Menschen Gut und Böse in der bösen Behandlung des Guten vor Augen zu führen, um sie mit seinem göttlichen Wort aus Menschenmund zur Umkehr zu bewegen. Er hat sich in seinem Sohn geopfert, um ein sichtbares Zeichen zu setzen, das die Menschen verstehen können. In Jesu Auferstehung wollte er uns vor Augen führen, das das göttliche Gut über das Böse und unsere Abgründe am Ende siegt. Alles in Menschenform, so dass es für Menschen besser und anschaulicher fassbar ist als wenn es außerhalb jeglicher Form geschieht. Formlos erschließt sich das nur wenigen.
Hier schließt sich der Schöpferkreis zu Weihnachten: Indem er uns aus seinem Geist ein Kind geboren hat, eines aus Fleisch und Blut wie jeder Mensch, hat er uns ein begreifbares, anfassbares Zeichen geschickt für das Gute, nämlich sich selbst in Menschengestalt. Schau her Mensch, auch so kann ein Mensch sein – ganz ohne Böses. Das war das zweite Weihnachten.
Jedes Jahr sollen wir an Weihnachten daran erinnert werden und wie weit weg sind wir doch davon. Gut, dass wir aus Gott in Gott geboren seine Kinder sind. Nur Elternliebe kann soviel Schmerz über die Torheit der Kinder aushalten.
Was heißt das nun, bezüglich der Frage, was Gott mit uns an Weihnachten will? Er will uns zum göttlichen Gut führen, zu seinem Ursprung, hin zum „sehr gut“ seiner Schöpfung, die sie in ihrem Ursprung ist. Er will uns zur Krippe führen und wir sollen still und klein werden und ganz nah an sie heranrücken, so dass uns der Atemhauch des göttlichen Kindes erfassen kann und es uns seinen Atem des ewigen Gut einhauchen kann. Wenn das jeder tut, ist Friede auf Erden und ein Wohlgefallen unter den Menschen, dann ist das dritte Weihnachten.
Gottes Atem möge dieses Jahr an Weihnachten viele Menschen streifen, uns eingeschlossen.
Ich wünsche Dir ein gesegnetes Weihnachtsfest mit einem Platz ganz nahe an der Krippe!
Herzlich Deine
Deborrah

95 Thesen zum Reformationstag 2012

1. Gott ist gegenwärtig, jeden Augenblick. Wir sehen und hören ihn nicht, weil wir es verlernt haben.
2. Der Lärm unserer multimedialen Welt übertönt den Klang unserer inneren göttlichen Stimme.
3. Wir fallen auf unsere eigene Reklame herein.
4. Die warme Glanz wahrer innerer und äußerer Schönheit wird vom effektvollen digitalen Scheinwerferlicht überblendet.
5. Das ist entgegen unserer wahren Natur, entgegen unserem innersten göttlichen Kern.
6. Wir sind selbst der größte Verhinderer unseres eigenen Friedens.
7. Wenn jeder für sich Frieden findet und hält, leistet er den größten Beitrag zum Frieden in der Welt.
8. Jeder kann lernen, den Klang seiner inneren Stimme wieder zu hören, sofern er es will.
9. Jeder kann lernen, wieder mit seinem inneren Auge zu sehen, sofern er es will.
10. Jeder kann lernen, wieder auf seine Intuition zu vertrauen, sofern er es will.
11. Jeder kann lernen, wieder sein Herz zu spüren, sofern er es will.
12. Jeder kann lernen, Gottes Gegenwart wieder zu erfahren, sofern er es will.
13. Jeder muss diesen Weg des inneren und äußeren Lernens für sich alleine gehen.
14. Er erfordert Geduld, es ist ein langer, leidvoller und dorniger Weg.
15. Innere Erkenntnis erfordert äußerliches Handeln.
16. Man muss bereit sein, sich den inneren Abgründen und Ängsten zu stellen und
17. alles Geröll und allen Schutt, der einem entgegenkommt, eigenhändig wegräumen.
18. Denkt man, man sei fertig, kommen einem schon neue Schlammlawinen entgegen.
19. Der Weg kann durch tiefe Täler und Wüsten gehen.
20. Wie leidvoll es auch ist, jeder Schritt führt zu einer inneren Reinigung und Klärung.
21. Man darf sich von Rückschlägen nicht abhalten lassen, den Weg weiter zu gehen.
22. So lernt man sein Ego zu erkennen und sich ein Stück weit von seinen Begrenzungen zu befreien.
23. Tag für Tag eröffnet sich uns die göttliche Gegenwart einen Spalt mehr.
24. Man muss sich selbst vergeben, um Gottes Vergebung annehmen zu können.
25. Man begegnet auf dem Weg seiner eigenen Sterblichkeit.
26. Sterben verliert dabei seinen Schrecken.
27. Wir erkennen, dass es nur ein Ablegen der äußeren, körperlichen Hülle ist.
28. Unser nicht körperlicher Teil, unser innerer Kern, geht in die göttliche Herrlichkeit ein.
29. Er kehrt an den Ursprung zurück, von dem er kommt.
30. Vor dem Sterbetor legen wir unsere irdenen, materiellen, anhaftenden Rucksäcke ab.
31. Wir blicken auf unser irdisches Leben zurück und klären, was es noch zu klären gibt.
32. Wenn wir mit uns im Reinen und von Schuld erleichtert sind, sind wir bereit, und gehen durch das Tor.
33. Ein Engel kommt uns entgegen und führt uns sanft in unser neues, unbegrenztes Leben.
34. Wir werden wieder Teil der göttlichen Herrlichkeit.
35. Unser Leben vollendet sich damit in seinem göttlichen Urgrund.
36. A und O werden eins.
37. Sterben ist ein freudiges Ereignis, es entgrenzt uns von unser körperlichen, irdischen Begrenztheit.
38. Das ist die frohe Botschaft.
39. Wer auf das Nichts nach dem Sterben baut, baut auf Sand.
40. Wer den Schritt vom irdischen Leben in das göttliche Leben vorbereitet geht, geht ihn leichter.
41. Die Eigenschau bleibt keinem erspart.
42. Wer Frieden mit sich und seinem Nächsten schon im irdischen Leben sucht, dem bleibt der Schrecken erspart, wenn er im Sterben auf sich selber blickt.
43. Wer Christus schon im irdischen Leben sucht, dem kommt er schon im irdischen Leben entgegen, und begleitet ihn auf seinem Weg zu innerem und äußerem Frieden und Freiheit.
44. Uns Loskaufen von unseren Sünden können wir nicht.
45. Demut, Reue und Umkehr sind Teil dieser Rückbesinnung auf unseren göttlichen Kern.
46. Der Weg führt früher oder später in die innere Freiheit.
47. Ob wir das schon im irdischen Leben angehen, liegt in unserer Entscheidung.
48. Ein Wegbegleiter, der einem Zuspruch und Mut macht und hilft, wo wir Hilfe benötigen, erleichtert das Durchhalten.
49. Kirche ist ein geschützter, heiliger Raum, in dem eine solche Entwicklung möglich ist.
50. Wahre Kirche ist nicht institutionelle Kirche.
51. Wahre Kirche ist der Raum des Erfahrens der göttlichen Gegenwart.
52. Das kann auch institutionelle Kirche sein, muss es aber nicht.
53. In der Alltagswirklichkeit ist Amtskirche in der Regel nicht Kirche in diesem Sinn.
54. Institutionelle Kirche ist mehr Veranstaltungsort als ein Raum, in dem die göttliche Präsenz im Jetzt erfahren wird.
55. Gefangen in den Routinen und Verpflichtungen verliert sich der Geist im geistlichen Alltag.
56. Die Seelsorger sind mehr mit dem Management der kirchlichen Administration und Geldnot beschäftigt als mit Seelsorge, geschweige denn geistlicher Sorge.
57. Sie brennen aus, eingepfercht zwischen Aufgabenwachstum, Anspruchsdenken der Gemeindeglieder, Sparzwängen und Selbstanspruch.
58. Alkoholismus, Kindesmissbrauch, Burn Outs, Resignation: Ausprägungen des geistlichen Standes in heutiger Zeit.
59. Die Bevölkerung unter 50 flieht die Kirche, Männer sind fast nicht mehr existent.
60. Die Institution Kirche wird vor allem von den Frauen getragen und am Leben gehalten.
61. Kirchengemeinde ist im Alltag ein gewachsener Zirkel, der nach außen geschlossen wirkt, trotz aller vordergründiger Freundlichkeit, wie eine Eingangssperre.
62. Kirchengemeinde wirkt altmodisch und anachronistisch, wie aus einer lang vergangenen Welt.
63. Das wirkt auf vom Lebensalter oder geistig Junge abschreckend.
64. Man geht freundlich miteinander um, nur nicht anecken, Friede-Freude-Mentalität.
65. Das ist für viele zu langweilig, da gibt es Spannenderes. Wo ist da das Anziehende, Herausfordernde?
66. Verschiedene Wirklichkeiten stoßen sich gegenseitig ab.
67. Der kirchengemeindliche Alltagskörper kommt so alt daher wie seine aktiven Mitglieder,
68. merkwürdig uninspiriert und uninspirierend.
69. Kirchengemeinden meinen, sie müssen ein weiterer Freizeit-Organisations-Anbieter sein und denken, sie könnten damit verhindern, dass noch mehr Mitglieder davonlaufen.
70. Sie schaden sich damit mehr als dass sie sich nützen,
71. da dies nicht ihre Kernkompetenz ist und sie da nicht wirklich konkurrenzfähig sind.
72. Sie verlieren dabei ihren Kern, ihre Kernbotschaft, ihren Sinn als Kirche, das, was sie einzigartig macht, aus ihrem Fokus.
73. Sie haben nicht verstanden, dass ein großer Bedarf an Innerlichkeit, an Spiritualität, an Kirche im urkirchlichen Sinn auch bei jungen und jung Gebliebenen besteht,
74. dass sie darauf setzen müssen, da sie auf dem Gebiet, wenn sie sich recht besinnen, die Kompetenz und jahrtausendealte Erfahrung haben, die ihnen keiner streitig machen kann.
75. dass sie die Form ändern müssen, wollen sie im Lärm unserer schnellen und oberflächlichen Zeit noch gehört werden.
76. dass Stille und Nachdenklichkeit ihr Trumpf ist, nicht Veranstaltungsmanagement und Lärm.
77. Die vielen Menschen, die Sehnsucht nach mehr Innerlichkeit und innerer Lebendigkeit haben, erreichen die Kirchengemeinden nicht.
78. Sie laufen davon oder Schauen mit Grausen hin, um sich schnell wieder abzuwenden.
79. Das moderne Berufsleben lässt sich mit amtskirchlichen Dienstzeiten und altmodischen Kommunikationsmitteln nicht vereinbaren und schließt damit ganze Berufsgruppen von der Teilnahme am kirchengemeindlichen Leben aus.
80. Alles in allem schreckt das äußere Erscheinungsbild mehr ab als dass es einlädt.
81. Die Menschen, die Bedarf an geistlicher Auseinandersetzung haben, wenden sie Kommunikationsformen zu, denen ihre Bedürfnisse besser entsprechen.
82. Es entstehen neue Urkirchen, fern von Institutionen und Ämtern,
83. Workshops, Seminare, auch von kirchlichen Einrichtungen veranstaltet, Internetforen, Blogs: eine lebendige Gemeinde, die sich ernsthaft mit Göttlichem, in welcher Glaubensrichtung auch immer, auseinandersetzt.
84. Es bilden sich neue Gemeinden, abseits vom "Gesetz". Schon Jesus hat sich gegen den Tempel gestellt.
85. Diese neuen Kirchen (im nicht institutionellen Sinn) sind Keimzellen, die dem Glauben zu neuer Lebendigkeit verhelfen.
86. Kirchliche Rollenträger braucht es da nicht.
87. Der modern Gläubige ist von kirchlicher Institution emanzipiert.
88. Er hat sich, seiner inneren Stimme folgend, selbst Bahn gebrochen und Formen von Urkirche gefunden, die seinen Lebensumständen und seinem Lebensgefühl entsprechen.
89. Gott sorgt dafür, dass sich seine Kirche verjüngt,
90. Der Glaube geht nicht unter.
91. Gott braucht den Menschen, er braucht aber nicht die Institution Kirche.
92. Sie ist Menschenwerk und wie alles Menschenwerk irgendwann dem Untergang geweiht.
93. Suchen wir Gott, so eilt er uns entgegen, in welcher Form auch immer wir ihn suchen. Mit Institution Kirche oder ohne. Das ist eine Gewissheit, auf die wir uns verlassen können.
94. Der Weg im Leben und im Sterben führt immer ins göttliche Leben:
95. "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben"

Lieber Luther


Lieber Luther,
heute ist 31.Oktober 2012. Was würdest du erwarten?
Gottesdienst heute?
Fehlanzeige.
Ein Abendmahl?
Das letzte war Anfang August?
Auch reklamieren hat nichts genutzt.
Fehlanzeige.
Am liebsten würde ich meinen zornigen Protest an die verschlossene Kirchentür meiner evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde nageln. Wie du vor fast 500 Jahren. Wie gut kann ich deinen Zorn verstehen.
So will ich die Zeit nutzen und mich allein mit dir auseinandersetzen. Studierstube anstatt Kirchgang. Vielleicht verraucht ja dabei auch mein Zorn.
Wie war das nochmal mit deinen 95 Thesen?
Du sprichst darin vom Umgang mit den eigenen Abgründen, mit der eigenen Sterblichkeit, vom Geblendet-sein vom Tand. von fremden Göttern, von Blendern, vom verheerenden Zustand der Institution Kirche, von der sittlich, geistlich und spirituellen Erosion der kirchlichen Rolleninhaber. Du stellst innere Schätze gegen äußere Werte und wetterst gegen den unsäglichen Umgang der Amtskirche mit Kritikern und Abweichlern. Du stemmst dich gegen den Zeitgeist, gegen billig erkaufte geistige Wellness.
Stattdessen forderst du, Christus auf dem dornen- und leidvollen Weg durch Tod und Hölle nachzufolgen. Welch ein Kontrastprogramm.
Das eckt an, da fühlen sich viele auf das Kirchenkleid getreten. Das hieße ja, die Komfortzone aufzugeben. Du hältst den Spiegel so hartnäckig vor, dass man nicht mehr wegschauen kann. Da hilft nur noch abwerten und ausgrenzen.
Du sprichst Klartext. Das Volk versteht deine direkte Sprache. Du triffst den Nerv der Zeit. Sie schikanieren dich, aber du lässt dich nicht bremsen.
Wie dringend würden wir dich heute brauchen. Einen, der das Volk anspricht und den das Volk hört. Einen der aufrüttelt. Einen, der nicht mit dem Strom schwimmt.
Die institutionelle Kirche löst sich in Anpassung an den Zeitgeist selbst auf. Sie diskutieren tatsächlich, ob du die 95 Thesen wirklich angeschlagen hast. Als ob das eine Rolle spielen würde. Als ob das wichtig wäre. Als ob das einen Unterschied machen würde.
Was du geschrieben hast, stimmt heute noch. Kaum Veränderung in 500 Jahren. Veränderung in der Sprache, in der äußeren Ausprägung, aber nicht im Tenor.
Wie und wo würdest du heute deine Stimme erheben? Mit welchem Medium sprechen? Wie würdest du heute deine Thesen formulieren? Wohin würdest du die Aufmerksamkeit der Menschen lenken? Was würde deinen Zorn erwecken? Was würdest du brandmarken? Oder wärst du angepasst? Würdest du resignierend den Mund halten?
Das glaube ich bei deinem Temperament eher nicht. Ich habe deine 95 Thesen in den heutigen Zeitgeist transponiert. Über deine Stellungnahme würde ich mich freuen.
Herzlich Deine
Deborrah