Lieber Luther,
Der
Gedanke, den Jesus im heutigen Predigttext (Lk 18, 9-14) an den Mann / die Frau
bringen will, ist nicht neu.
Er sagte aber zu etlichen, die sich selbst vermaßen, daß sie fromm wären, und verachteten die andern, ein solch Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, zu beten, einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein Haus vor jenem. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Der
Gedanke, dass es bei Gott keine Zwei- oder Mehrklassengesellschaft gibt, dass
vor Gott alle gleich sind und die gleichen Rahmenbedingungen haben, ist ein
Gedanke, der mit dem EINEN Gott verknüpft ist, seit es den Gedanken an ihn
gibt.
Ein
gesellschaftliches Oben und Unten gibt es, seit Menschen sich in größeren
sozialen Verbänden organisieren. Die Evangelien sind im Kern eine
Kampfansage gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen die Unterdrückung der Kranken,
Schwachen und Armen durch die Mächtigen und Wohlhabenden:
- Gott stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen (Lk 1, 52)
- Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden (Lk 14, 11)
- Der Größte unter euch soll euer Diener sein (Mt 23, 11)
Die
Botschaft ist: Vor Gott gibt es kein Oben und Unten, keine
Zweiklassengesellschaft. Jesus ist im Alten Testament verankert. Auch dort
findet sich dieser Gedanke. Fast wörtlich wie bei Lukas steht es schon bei den
Propheten des Alten Testaments (z.B. Dan 4, 17; Hk 21, 26):
- Denn die sich demütigen, die erhöht er, und wer seine Augen niederschlägt, der wird genesen (Hiob 22, 29)
Dieses
Wort greift Jesus auf. Es ist das Hauptthema seiner Lehre. Er hat an eigenem
Leib erfahren, was es heißt, zu den Niedrigen, zu den Armen, zu den
gesellschaftlich Verachteten zu zählen. Er war es. Die Arrivierten, die Phärisäer
und Schriftgelehrten, machten bei den Herrschenden Stimmung gegen
ihn, hoben Steine auf, bereit, sie auf ihn zu werfen. Lasst euch nicht beirren,
ist Jesu Botschaft. Gott bemisst selbst,
er überlässt das nicht den weltlich Herrschenden. Sein Maß ist ein anderes als
das Ihrige.
Der
Pharisäer im Gleichnis ist selbstgerecht. Er denkt, er sei fromm: Er hält die
von Menschen gesetzten Gesetze, er achtet die Dogmen, wie das Fasten, er
entrichtet seine Steuern, weil es das Recht so will. Er setzt sich selbst zum
Maßstab für andere, setzt sich selbst über die anderen, zeigt mit dem Finger
auf all diejenigen, die nicht so vermeintlich rechtschaffen sind wie er selbst:
Danke Gott, dass ich nicht so bin wie diese Diebe, Bedrücker und Gottlosen.
Danke Gott, dass ich so rechtschaffen bin. Das ist Selbsterhöhung. Jesus sagt
es klar: Deine Selbstgerechtigkeit ist nicht die Gerechtigkeit, die
vor Gott zählt. Vor
Gott gelten Gottes Maßstäbe, nicht deine eigenen. Gott allein kennt diesen
Maßstab. Er ist zu groß für Menschen, um ihn zu fassen.
Was
betet dagegen der so vor Gott abgekanzelte Steuereintreiber? Er weiß, dass er
einen Beruf hat, der nicht angesehen ist, dass er andere bedrückt, vielleicht
sogar die Existenzgrundlage nimmt. Er erfüllt weltliche Gesetze und diese sind
nicht immer gerecht, sogar manchmal höchst ungerecht, sind Ursache für die
ungerechte Zweiklassengesellschaft. Aber es ist sein Beruf, er muss leben und
so verdient er seinen Lebensunterhalt mit diesem Beruf, den alle verachten. Er
übt einen Beruf aus, der ihn selbst auf die unterste soziale Leiter stellt. Wo
aber sind die Alternativen? Er und seine Familie brauchen ein Dach über dem
Kopf und jeden Tag etwas zu essen.
Der
Steuereintreiber ist – im Gegensatz zum Pharisäer – selbstkritisch. Es ist ihm
bewusst, dass er ein fehlbarer Mensch ist, der in dem, was er tut, nicht
gerecht ist. Die Bedrückung, die er selbst ausübt, bedrückt ihn selbst und so
bringt er es vor Gott. Er schlägt nicht gegen die Brust der anderen, wie der
Pharisäer, er schlägt an seine eigene Brust, senkt seinen Blick angesichts
seines Teiles der Schuld als Schuldeneintreiber: Gott, vergib mir, sei mir
Sünder gnädig. Er ist nicht selbstgewiss, sondern demütig.
Jesu
Botschaft ist: Das zählt. Dass du dich vor Gott aus ehrlichem Herzen bekennst.
Dass du dich nicht selbst auf einen selbstgebauten Sockel stellst, für Gott entscheidest,
was sein Recht ist, sondern es Gott überlässt. Nicht wir sind das Mass der
Dinge, sondern Gott.
Lieber
Luther, vor Gott gibt es keine Zweiklassengesellschaft. Was bei uns unten ist,
kann bei Gott oben sein, wer bei uns Prügelknabe ist, kann bei Gott Musterknabe
sein, was bei uns als schöner Schein daherkommt, kann vor Gott nicht bestehen.
Gott vermisst die Welt und ihre Menschen nach seinem Maßstab, nicht nach
unserem. Das gilt auch für diejenigen, die meinen das Auslegungsmonopol für die
Schrift zu haben.
Jesu
Botschaft ist eine Befreiungsbotschaft. Der Glaube an diesen EINEN Gott macht
frei von menschlichen Bedrückungen und Zwängen. Er ermöglicht es, in Frieden
mit einem selbst zu leben, unabhängig davon ob man in dieser Welt in ihrem
Blick im Oben oder Unten, in den Niederungen oder in den Höhen angesiedelt ist.
In der wahren Höhe gibt es nur Gott und der kennt keine
Zweiklassengesellschaft. Amen.
Herzliche
Grüße
Deborrah
Deborrah
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