Lieber Luther

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Sonntag, 23. August 2015

Hephatha - Tu dich auf

Lieber Luther,

das ist so die Frage: Sind wir in unserer Beziehung zu Gott aktiv gefragt oder reicht es, wenn wir uns passiv von ihm beglücken lassen? Tu dich auf oder werde geöffnet. Das ist die Frage, die der heutige Predigttext (Mk7, 31-37) aufwirft:

Und da er wieder ausging aus der Gegend von Tyrus und Sidon, kam er an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen Tauben, der stumm war, und sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn legte. Und er nahm ihn von dem Volk besonders und legte ihm die Finger in die Ohren und spützte und rührte seine Zunge und sah auf gen Himmel, seufzte und sprach zu ihm: Hephatha! das ist: Tu dich auf! Und alsbald taten sich seine Ohren auf, und das Band seiner Zunge war los, und er redete recht. Und er verbot ihnen, sie sollten’s niemand sagen. Je mehr er aber verbot, je mehr sie es ausbreiteten. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Die Übersetzungen sind sich nicht einig: Werde geöffnet oder öffne dich?  Wie so oft ist es ein sowohl als auch – und doch alles auch ganz anders.

Jesus seufzt. Warum seufzt er? Er ist schon länger unterwegs, von hier nach dort, um den Menschen Gottes Wort zu vermitteln, überhaupt die Kenntnis von Gott. Es gibt und gab auch schon zu der Zeit die verschiedensten Gottes- und Götterlehren. Wie den Menschen vermitteln, dass der Gott, von dem er erzählt, der EINE Gott ist? Dass seine Lehre die Lehre ist, der sie nachfolgen sollten? Für Jesus stellte sich die Frage genauso, wie sie sich denjenigen heute stellt, die Gottes Wort predigen.

Zunächst ist das eine Frage des Wissens. Wer noch nie etwas von dem EINEN Gott gehört hat, wie soll er ihm nachfolgen, wie seine Stimme hören, wie von ihm predigen, wie von ihm zeugen? Nur wenn man von ihm erzählt, öffnet man die Ohren für diesen EINEN Gott, ermuntert man, es mit ihm zu versuchen, macht man neugierig auf ihn. Wenn man ihn erfahren hat, löst das die Zunge, hat man das Bedürfnis, von seinen Erfahrungen mit Gott zu erzählen, sie weiterzutragen, andere zu ermuntern, sich für ihn zu öffnen. Zu sagen: Er ist mein Heil, er ist meine Heilung, er ist der Arzt, den ich brauche.

Jesus seufzt, weil die Menschen nur auf seine Zeichen schauen. Er seufzt, weil die Menschen ihren Blick auf die Zeichen richten, aber lauter Analphabeten sind, die sie nicht lesen können. Die Botschaft ist:

Richtet selbst eure Augen gen Himmel, wendet euch Gott zu, bittet ihn: Hephatha! Tu dich auf Gott, tu den Himmel auf und lass mich deine heilende Hand spüren, hilf mir, mich zu öffnen, dass meine Augen, meine Ohren, all meine Sinne dich erkennen und erfahren.

Indem Jesus sein Augenmerk weg von sich selbst, von der Erwartungshaltung, die auf ihn gerichtet ist, hin zu Gott richtet, ihn um Hilfe bittet: Tu dich auf! wird ihm Gottes Hilfe zuteil, so dass er heilend wirken kann. Jesus lebt vor, wie es geht. Er seufzt, weil wir nur auf das Ergebnis stieren, seine Zeichen erwarten, sie bis heute diskutieren: Ist das möglich oder sind das alles Döntjes, die da erzählt werden? Jesus seufzt, weil wir bis heute nicht begriffen haben, um was es in seiner Botschaft geht, weil wir passiv sind, eine Erwartungshaltung haben, die nicht auf Gott, sondern auf uns selbst, auf unser maximales Wohlergehen gerichtet ist. Wir maximieren unsere Erwartungshaltung auf Gott hin, und Minimieren sie, was uns selbst angeht. Was erwarten wir eigentlich von ihm? Worin besteht unsere Heilserwartung? Dass er der Retter, der Deus ex Machina, in all unseren irdischen Belangen ist? Auf unsere  Wohlfahrt gerichtet? Dass er alles heilt, was Mensch, wo immer er lebt, welchem Glauben oder Nichtglauben er auch anhängt, verbockt? Gott ist kein Zauberer, der wohlfeil herbeizaubert, was wir gern hätten.

Jesus seufzt, weil wir es ihm nicht gleichtun, weil wir nicht das Wie von ihm lernen: das Wie des Glaubens, das Wie des Vertrauens, das Wie des Betens, das Wie des sich Zurückstellens, das Wie des Lebens in Gottes Gegenwart, das Wie des kompromisslosen sich in seinen Dienst stellens.

Jesus geht es nicht um die Zeichen, nicht um das physische Heilen. Jesus geht es um das seelische Heilen, das Heil-Werden im Glauben und Vertrauen an Gott. Wenn es in der Geschichte heißt: Seine Ohren wurden aufgetan und sein Zunge gelöst, meint das: Der Mensch vernimmt plötzlich Gottes Wort, er hat es vorher nicht gehört. Wenn es heißt, seine Zunge wurde gelöst und er redete recht, dann meint das, er hat Gottes Gegenwart erfahren und erzählt es jedem, der es hören will. Wer Gottes Gegenwart erfährt, seine heilende Wirkung, redet richtig von und vor Gott. Er kann gar nicht anders, da Gott in ihm wirkt.

Und, lieber Luther, Jesus war ein guter Psychologe: Je mehr er den Menschen verbot, vom offensichtlich heilenden Wirken Gottes zu erzählen, desto mehr machten sie es „über alle Maßen“ bekannt. Nichts verbreitet sich im Alltag schneller als das, was geheim bleiben soll. Klatsch und Tratsch sind bis heute die sichersten Kommunikationsmittel, wenn man etwas an den Menschen bringen will. Das, was daran zugedichtet ist, muss man wieder abziehen, aber der Kern der Botschaft bleibt:

Gottes heilende Wirkung kann erfahren werden. Eure Öffnung ist gefragt, damit Gott sich euch eröffnet. Richtet euren Blick auf Gott und bittet ihn: Hephatha! Tu mir die Augen und Ohren auf, öffne meine Sinne und mein Herz für deine heilende Wirkung, damit auch ich heilend wirken kann.

Amen.

Herzliche Grüße
Deborrah

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