Lieber Luther,
"Wir wollen, dass du uns tust, was wir dich bitten". Wie oft sagen
wir das zu Gott, wie oft beten wir das zu ihm? Und was wollt ihr? Wir
wollen, dass wir zu deiner Linken und zu deiner Rechten sitzen! Jesus
sagt: Ihr wisst nicht, was ihr bittet.
Das ist bis heute so, lieber Luther. Schon die Übersetzungen des
Bibeltextes, um den es geht, Mk 10, 35-45, passen in diesen Tenor. Ihr
wisst nicht, was ihr bittet, weil ihr immer noch nicht versteht, was ich
sage. Man hört Jesus förmlich aufstöhnen. Der Text, so wie er deutsch
da steht, verstellt völlig, was Jesus den Jüngern eigentlich sagen
wollte. Man hat den Eindruck, es ist einfach nachgeplappert, was einer
einmal falsch vorgeplappert hat. Das entdeckt man erst, wenn man sich
der Mühe unterzieht, sich den Text Wort für Wort zu erschließen. Dann
bekommt er einen ganz anderen Sinn, der absolut konsistent zu Jesu
Selbstverständnis ist, aber nicht unbedingt zu dem passt, was Jesu hier
zugeschrieben ist. Es ist hinzu – geschrieben, verfälscht. Wieso? Jesus
erklärt es im heutigen Predigttext.
Ihr wisst nicht, was ihr bittet, sagt Jesus. Ihr bittet mich, dass
ich euch zu meiner Rechten und Linken setze. Habt ihr denn noch nicht
begriffen, dass ich das nicht kann? Zu seiner Rechten und Linken setzt
mein Vater, wen er will, diejenigen, die er auserwählt. Es ist nicht in
menschliche Hand gegeben, auch nicht in meine. Diejenigen nehmen dort
ihren Platz ein, für die er bereitet ist, die Gott erweckt, damit sie
seinen Willen tun. Wenn sie zu ihm heimkehren, werden sie dort sitzen.
Jesus fragt, könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke? Gemeint
ist eigentlich der Wein, nicht der Kelch, da man einen Kelch nicht
trinken kann, sondern nur aus einem Kelch. Könnt ihr den Wein trinken,
den ich trinken werde? Die Jünger sind voller Selbstüberschätzung: Ja,
können wir. Könnt ihr euch taufen lassen mit der Taufe mit der ich
getauft werde? Die Jünger antworten auch hier voller Selbstüberschätzung
und ohne jegliche Demut: Ja, können wir. Sie haben noch nicht einmal
bemerkt, dass Jesus von der Zukunft spricht: die Taufe, mit der ich
getauft w-e-r-d-e. Jesus spricht nicht von einer irdischen Taufe, seiner
Taufe durch Johannes. Jesus spricht von seinem Eintauchen in die
göttliche Sphäre, von seiner Rückkehr zum Vater, er der das Ebenbild des
Vaters ist, vom Eintauchen in den väterlichen Geist.
Jesus sagt nicht: ihr könnt den Wein trinken wie ich, oder getauft
werden, wie ich. Weil sie es eben nicht können, weil sie nicht Auftrag,
Reinheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und schon gar nicht die Erkenntnis
Gottes haben, wie Jesus. Jesus ist von Gott gesetzt. Sie wollen sich
Jesus gleich machen, völlig verkennend, dass sie nicht seine Größe und
Herrlichkeit haben. Demut sieht anders aus. Sie ordnen sich nicht ihm
unter, wie Jesus seinem Vater, sie ordnen sich ihm selbst bei.
Jesus sagt a-b-e-r: Ihr werdet z-w-a-r den Wein trinken und wie ich
in Gottes Herrlichkeit eintauchen, ob ihr es so tut, wie ich, oder ob
ihr zu seiner Rechten oder Linken sitzen werdet, steht mir nicht zu,
euch zu geben. Steht mir nicht zu, euch zu geben. Meine Lieben, so sieht
Demut aus! Begreift es doch. Ihr bittet mich, euch zu meiner Linken und
Rechten sitzen zu lassen. Ist das Demut? Ist das Demut, wenn ihr die
Ersten sein wollt, diejenigen, die oben sitzen zu richten? Wenn ihr das
Sagen haben wollt? Ihr wollt den Ehrenplatz am Kopf der Hochzeitstafel,
ihr wollt nicht die Hochzeitsgäste bedienen. Ihr wollt euch nicht selbst
hintanstellen.
Jesus hatte ihnen gerade gesagt, dass er für das, was er predigt,
einstehen werde, dass er dafür seinen Kopf hinhalten werde und dass er
wisse, was auf ihn zukomme, das ihn aber nicht vom Predigen abhalten
könne. Und was tun seine Nachfolger? Sie wollen ihre Schäfchen ins
Trockene bringen und noch kurz vor Torschluss etwas für sich
herausholen. Ihr habt nicht begriffen, um was es mir geht, sagt Jesus.
Ihr durchblickt nicht, um was ihr mich eigentlich bittet! Jesus ist kurz
angebunden in seiner Antwort.
Aber, es kommt noch schlimmer. Nicht genug, dass sich Johannes und
Jakobus völlig vergaloppiert haben mit ihrem Egoismus, sie stecken damit
auch noch die anderen Jünger an. Sie reagieren "unwillig" über die zwei
Brüder, die vorgeprescht sind und sehen ihre Felle schon
davonschwimmen, eifersüchtig auf die anderen zwei, die sich in Position
bringen wollen. So erklärt Jesus ihnen – ja, was erklärt er ihnen?
Übersetzt ist: ihr wisst, dass die weltlichen Fürsten herrschen und
die Mächtigen unter ihnen haben Gewalt. Aber so soll es nicht unter
euch sein. Wer unter euch groß werden will, der soll euer Diener sein
und wer unter euch der Erste sein will, soll aller Sklave sein. Denn
auch der Sohn der Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden,
sondern zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.
Wie bitte? Wer sich die Mühe macht, die Bedeutung der griechischen
und hebräischen Wörter, die übersetzt wurden, nachzulesen, wird sein
Aha-Erlebnis haben. Fangen wir beim "Lösegeld" an, lieber Luther, du
übersetzt gar "Bezahlung". Das hat Jesus aber gar nicht gesagt. Lytron
ist der Preis für den Loskauf von Gefangenen, mit dem sie aus ihren
Banden gelöst und frei gemacht werden. Es geht um das Lösen der
irdischen Bande, um Nachfolge. Es geht nicht um einen Blutpreis, um die Sündenbande zu lösen, wie die Übersetzung suggeriert.
In Mt 16, 13 ff fragt Jesus seine Jünger: Was sagen sie denn, wer
der Sohn der Menschen sei, was denkt ihr? Petrus sagt: du bist Christus,
der Sohn des lebendigen Gottes. Jesus antwortet: Ich will dir des
Himmelreichs Schlüssel geben: alles, was DU auf Erden binden wirst, soll
auch im Himmel gebunden sein, und alles, was DU auf Erden lösen wirst,
soll auch im Himmel los sein. Jesus sagt: Ich gebe euch den Schlüssel
zum Himmelreich selbst in die Hand, aber was ihr daraus macht, liegt bei
euch selbst. Was ihr auf Erden tut, wird im Himmel für euch bereitet
sein.
Zwischen den Jüngern ist ein Machtkampf ausgebrochen. Wer wird der
Führer nach Jesus sein? Sie verteilen schon die Felle, solange Jesus
noch unter ihnen ist. Wenn sie ihn tatsächlich gefangen nehmen und
kreuzigen,wie viele schon vor ihm, die auch gepredigt haben, wer wird
dann unser Anführer? Es geht um den sehr irdischen Streit untereinander,
wer der Größte, Beste, Geliebteste ist. Bei Lukas steht es in dieser
Deutlichkeit (Lk 22, 24 ff). Wer ist der Größte? Derjenige der zu Tisch
sitzt oder der dient? Ich bin unter euch wie ein Diener, sagt Jesus. Das
gilt auch für euch: Der Größte unter euch sei wie der Jüngste, wie das
Kind, ohne EIGENES Recht, und der, dem gegeben ist, das Wort zu führen,
sei der Dienende (diakoneo). Oder in Mk 9, 35: So jemand will der Erste
sein, so soll er der Letzte sein und aller Knecht. Seid demütig.
Wer ist der Größte im Himmelreich? fragen die Jünger Jesus (Mt 18, 4
ff): Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie ein Kind, antwortet Jesus,
werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich selbst erniedrigt,
ist der Größte im Himmelreich. Weh dem Menschen, durch welchen Ärgernis
kommt, weh dem Menschen, der Anstoß erregt. Wehe dem Menschen, der sich
selbst erhöht. Hacke dir eher selbst einen Arm ab, bevor du das tust,
bevor dein Auge zum Fallstrick wird, reiße es aus, sonst landest du im
Höllenfeuer. Hinter jedem, den du Geringer als dich selbst erachtest,
sieht dich Gott an.
Das Ärgernis, der Anstoß, ist Skandalon, der Auslöser einer Falle,
an dem ein Köder befestigt ist, die zuschnappt, sobald sie berührt wird.
Es ist die Ego-Falle, welche heißt: Macht, Führung, Unterdrückung,
Hochmut, wer ist der Erste, derjenige, der das Sagen hat. Das Ärgernis
ist die Verführung, das Schaffen der Gelegenheit, die zu einem Verhalten
führt, das die betreffende Person ruiniert. Wer wird der Wort-Führer
nach Jesus? Das vorhersehbare Machtvakuum ist der Verführer. Und es
finden sich welche, die es schließen wollen.
Jesus sagt: Wer die Kleinen und Geringen zu Fall bringt, der kommt
zu Fall. Wer anderen Menschen Fallen baut, Gruben, in die sie fallen,
der kommt zu Fall. Deshalb hacke lieber deine Hand ab, bevor du dies
tust. Haltet euch davon fern, denn soweit soll es bei euch nicht kommen.
Werdet nicht wie die Regenten der Nation, werdet nicht wie die Könige
dieser Welt, nicht wie die Pharisäer, nicht wie die Eigennützigen. Sucht
nicht euren Vorteil. Euch ist durch mich das Wort gegeben, ich öffne euch das Verständnis,
ihr seid Knechte Gottes. Erster kann nur werden, wer ein Knecht Gottes
(doulos) ist. An mir ist euch gezeigt, was ein Knecht ist, deshalb bin
ich da, folgt mir in diese bedingungslose Gottes-Knechtschaft. Ordnet
euren Willen dem Willen Gottes unter. Seid Diener wie ich, seid ein
Diakoneo, einer, der bei Tisch bedient.
Der gedeckte Tisch ist aber Gottes Gabentisch, das was er dir gibt. Psalm 23:
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest
mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein. Das ist der Wein, um den
es geht, das ist die Macht, die zählt, das ist der Tisch, an dem ihr
dienen sollt. Ich bin gekommen, nicht um bedient zu werden, sondern, um
euch zu helfen, eure Bande zu lösen, eure irdischen Bande, eure
Ego-Bande, durch das Wort und die Erkenntnis, die ich bringe. Ich gebe
nicht mein Leben für euch, sondern ich bin euer Diakoneo, euer Diener,
um euch, die ihr am Tisch des HERRN sitzt, mit dem Wort zu dienen,
bringe das Leben zu euch durch das Wort. Ich gebe Gott meine Stimme
(hebr. napas) und euch durch das Wort, Gotteskraft und Lebendigkeit. Ich
bin der Mittler. Ich hauche euch Gottes Atem ein. Ich bin der Träger
des Lebens (psyche).
Lieber Luther, das ist in der Botschaft ein gewaltiger Unterschied
zu dem, was du übersetzt hast und auch in anderen Übersetzungen mehr
oder minder steht. Du hast ziemlich menschlich gedacht, so wie Jesus
absolut nicht gedacht hat, wogegen er sich immer gewandt hat. Oder eben
nicht mehr nachgedacht, sonst wäre aufgefallen, dass das so nicht sein
kann, wie es übersetzt ist. Jesus war einzig auf das Göttliche
ausgerichtet, nicht auf menschliche Befindlichkeiten. Es geht ihm hier
schon gar nicht um weltliche Macht oder das Dienen zwischen oder
Unterwürfigkeit unter Menschen. Unterwürfigkeit unter Menschen war ihm fern.
Er war Gott allein gegenüber unterwürfig und demütig. An vielen Stellen
des Evangeliums ist das gezeigt. Deshalb sagt er hier im Klartext:
Lasst eure Machtkämpfe, haltet euer Ego in Zaum, dient nicht euch und
nicht den Menschen, dient das Wort, dient Gott allein, dient nur an
seinem Tisch, sonst werdet ihr nie zu den Ersten und Größten im
Himmelreich zählen. Übt Demut, das könnt ihr noch nicht.
Verschafft Gott recht nach seinem Recht, nicht nach eurem! Der
Sonntag Judika hat nicht umsonst seinen Namen. Lieber Luther, um die
Schrift zu verstehen, war es heute notwendig sich durch das übersetzte
Wort hindurch zu kämpfen, Übersetzungs- und Theologieballast abzuwerfen.
Die Übersetzungen verfälschen das Wort, das muss ich hier leider
festhalten, auch deine. Sie sind der Sündentheologie geschuldet, der Ego-Falle, in die die potentiellen Nachfolger getappt sind, um sich in Position zu bringen. Petrus, Paulus, Jakobus, wer ist der Wortführer? Jesus ist nicht für unsere Sünden
gestorben. So ist es nicht. Ihr wollt eure Schäfchen ins Trockene
bringen, so wie Johannes und Jakobus. Jesus hat gesagt, das steht mir
nicht zu, aber ihr maßt es euch an?
Jesus hat einzig für das Wort gelebt, um Gott eine Stimme und ein
Gesicht zu verleihen. Jesus ist logos, kein Selbstmörder und keiner, den
Gott mit Selbstmordauftrag geschickt hat. Er hat ihn geschickt, obwohl
er wusste, dass sie ihm nicht glauben werden, dass sie ihn töten werden.
Er hat das Wort über den Menschen gesetzt. Das ist die Botschaft, die
Gott uns durch Jesus gegeben hat. Das Wort steht über dem Menschen. Der
Mensch diene dem Wort.
Wenn Paulus meint, er und wir seien Heilige, denen Jesus einen
Sündenfreibrief ausgestellt hat, nur weil wir getauft sind, dann maßt er
sich an, was sich Jesus nicht angemaßt hat. Gleich wie Johannes und
Jakobus. Jesus sagt, Taufe sagt nicht, dass wir automatisch zur Rechten
und Linken Gottes landen. Die Theologen sagen, wie Johannes und Jakobus,
wir wollen, dass du für unsere Sünden stirbst, so dass wir uns zu
deiner Rechten und Linken setzen können. Ihr wisst nicht, was ihr
bittet, ihr wisst nicht, was ihr lehrt, sagt Jesus. Das Wort ist über
den Menschen gesetzt!
Herzliche Grüße
Deborrah
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