Lieber Luther

Lieber Luther

Mittwoch, 31. Dezember 2014

Wo ist Bethlehem? Wo ist die Krippe?

Lieber Luther,
die Frau war tot, gemartert von ihrem Mann und von fremden Männern. Wie ist die Bibelstelle,über die ich gestern geschrieben habe (Richter 19, 1-30), zu verstehen? War es ein sinnloser Tod, den die Frau gestorben ist, oder war es überhaupt der Tod einer Person? Wer ist hier gestorben und worin bestehen die Parallelen zur Weihnachtsgeschichte, zu der Lukasgeschichte von der Geburt Jesu in Bethlehem?
Der Mann, um den es in der Geschichte geht, ist fremd auch dort, wo er wohnt.  "Fremdling" ist ein Wort, das häufig auftaucht in der Bibel. Es ist das Bild für den Suchenden, der dulden und erdulden muss. Aber gerade der Fremdling findet in der Fremde Gott, im Dulden und Erdulden, davon erzählen viele Geschichten der Bibel. Viel dulden und erdulden müssen die Menschen, in dieser Bethlehem-Geschichte. Sie sind auf einer Reise, die sich anders gestaltet, als sie sich das gedacht haben. Gott lässt sich auf dieser Reise anders finden, als gedacht. Wir können aus der Geschichte lernen, wo das wahre Bethlehem liegt, das wahre Bethlehem auch auf unserer Lebensreise.
Zunächst ist da die Frau. Schon ihre Bezeichnung als "Kebsweib" bedeutete eine Herabwürdigung. Sie ist als Nebenfrau eine Frau zweiter Klasse, im Rang niedriger als die Hauptfrau. Sie ist geduldet und muss erdulden. Das Zusammenleben und die Eifersüchteleien sind groß. Die Dreiecksgeschichte von Abraham, Sara und Hagar zeigen es. Beide sind jedoch in jeder Beziehung abhängig von ihrem Mann, dem Oberhaupt des Hauses. Ihm müssen sie sich in allem fügen.
Die Geschichte der Frau ist insofern erstaunlich, als sie dem Mann davongelaufen zu sein scheint. Das zeugt entweder von großem Leidensdruck – vielleicht ist sie geschlagen worden, jedenfalls misshandelt, sonst wäre sie nicht geflohen. Ein Kebsweib, dem der Mann abhanden kam, war so gut wie eine Hure, sozial die unterste Schicht. Und doch waren gerade diese Frauen die Heldinnen der Bibel: Sie hatten nichts mehr zu lassen, hatten nur noch ihren Überlebenswillen, ihren Glauben, nur noch Gott und sich selbst. Das hat sie von allen Konventionen befreit und stark gemacht. Die Frau hat es gewagt, der Gewalt zu entfliehen.
Wieso reist ihr der Mann nach vier Monaten nach? Lieber Luther, du schreibst, er wollte freundlich mit ihr reden, andere übersetzen, er wollte mit ihrem Herzen reden. Wollte er gut Wetter machen? Bei einem Kebsweib? Auch das ist ungewöhnlich. Mit sich hatte  der Mann einen Jungen. Du übersetzt: einen Knaben, andere übersetzen Knecht. Vielleicht ist auch beides richtig: Kinder von Kebsweibern waren in der Regel Knechte der Kinder der Herren. Wollte der Mann das Kind als Druckmittel nehmen, mit dem Kind das Herz der Frau rühren, so dass sie wieder zu ihm zurückkehrt? Von einem Kebsweib verlassen zu werden, war sicher ehrabschneidend und eine Ungeheuerlichkeit. Wenn, dann wurde das Kebsweib verlassen, in die Wüste geschickt, so wie es Abraham mit Hagar und seinem eigenen Kind tat. Aber nicht umgekehrt.
Der Mann wollte mit der Frau sprechen, die hat ihn ABER zu seinem Vater geführt. Wohl, um ihren Status zu verbessern: Lass dein Herz guter Dinge sein. Der Vater nötigt den Mann zu bleiben und weiterhin mit ihm zu Essen und zu zechen. So gestalteten sich in der Regel Verheiratungsverhandlungen. Was er ihm wohl abhandeln wollte? Einerseits ist er über die Anwesenheit des quasi Schwiegersohnes hoch erfreut. Es ist auch ehrabschneidend eine Tochter zu haben, die Kebsweib ist, noch schlimmer, wenn sie dem Mann davonläuft und auch noch ihr Kind verlässt. Schlimmer konnte es für einen Vater zu damaliger Zeit kaum kommen. Andererseits weiß er, dass seine Tochter nicht umsonst geflohen ist. Er will es so lange wie möglich hinausschieben, seine Tochter wieder dem Fremdling auszuliefern. Kann das gutgehen? Lass dein Herz guter Dinge sein.
Wie wir bereits wissen, ist es nicht gutgegangen. Im Weiteren dieser Geschichte begegnen uns die Zutaten der Weihnachtsgeschichte in der Lukasversion. Eine unverheiratete Frau aus Bethlehem mit einem Kind und ein Mann, der in einem schwierigen Verhältnis zu ihr steht. Er macht sich mit der Frau, dem Knaben und zwei Eseln auf den Weg. Sie suchen für die Nacht eine Herberge, aber finden keine. Obwohl sie sich selbst verpflegen können, will die Fremden keiner aufnehmen. Sie müssten auf der Straße nächtigen, begegnete ihnen nicht schließlich doch noch ein barmherziger Mann, der ihnen eine Bleibe für die Nacht anbietet.
Hat Lukas an diese Geschichte gedacht, als er Maria und Joseph in Bethlehem eine Herberge suchen ließ? Bethlehem war für sie wie für das namenlose Paar die Stadt Gibea, an sich eine Stadt, die bei der Landnahme den Leviten zugesprochen wurde. Die Stadt lag im Land der Benjaminiter. Ein Levit, wie der Mann, konnte sich hier eigentlich sicher fühlen, eigentlich. Er hat sich bekanntlich geirrt.
Das Scenario bei der Herbergssuche bei Lukas war vergleichbar: Es gab eine Frau, die mit ihrem Kind zwischen allen Stühlen saß, ein Mann, der sie dann doch zu sich nahm, eine Stadt, die beherrscht wurde von den Römern und ihren einheimischen Erfüllungsgehilfen. Gewalt und Terror auf den Straßen. Der "böse Bube" ist bei Lukas nicht der Pöbel, sondern Herodes, der nicht dem Mann, sondern dem Kind an den Kragen will. Die Parallelen sind unübersehbar.
Damit sind wir bei der Kernfrage von beiden Geschichten: Was ist ein Fremder, wo sind wir Fremde, wo werden wir wie Fremde behandelt? Bei den Fremden oder bei den Brüdern? Es geht um fehlende Nächstenliebe und es geht um Flucht. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Fehlende Nächstenliebe führt zur Flucht, zur Trennung, zur Selbstzerfleischung. Die tote zerstückte Frau, das Jesuskind auf der Flucht vor dem Terror, der tote Jesus stehen in einer Reihe. Jesus wusste, wieso er dem Gebot der Nächstenliebe so einen hohen Rang eingeräumt hat. Seine Botschaft war: eine feste sichere Stadt findet ihr nur bei Gott. Dort ist das Haus des HERRN, dort müsst ihr es suchen, nicht unter Menschen.
Die zerstückelte Frau ist ein drastisches Bild hierfür, eine Geschichte, die einen mit Bedacht in ihrer Brutalität bis in die Grundfesten erschrecken lassen soll. Sie mahnt zur Umkehr:  Die Nachkommen Jakob Israels, Brüder, schänden und ermorden einander gegenseitig, so wie es auch die Nachfolger Jesu bis auf den heutigen Tag tun. Ihr zerlegt euch gegenseitig mit Haut und Knochen, treibt einen Keil durch euch selbst. Das meint, wenn der Mann die Frau in 12 Stücke zerlegt und an die Grenzen Israels schickt. Die Frau symbolisiert die Tochter Zion, die von den Ihren zerlegt wird, der Körper der Kinder Israel, die Nachkommenschaft der Kinder Jakobs, die sich gegenseitig zerstört und zu Tode martert. Deshalb sind auch alle Beteiligten namenlos. Die Botschaft ist universell bis auf den heutigen Tag.  
Lieber Luther, als der Morgen rot anbrach, ließen sie die Frau. Sie schleppte sich zur Tür , legte ihre Hand auf die Schwelle, bis es licht war. Das ist die Heilsbotschaft dieser Geschichte. Jesus ist zu ihr gekommen, der Retter. Ich bin die Tür, sagt Jesus, ihr kommt nur über die Schwelle durch mich. Die Frau hat die Hand an die Schwelle gelegt und: Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude – in all ihrem Leid.
Diese Geschichte ist nicht leicht zu erzählen. Hat Lukas deshalb eine Kindergartengeschichte daraus gemacht? Eine, in der man träumen kann, in der man einem Kinderglauben nachhängen kann? Den Blick weglenken kann von der rauhen Wirklichkeit auf ein unschuldiges Kind in der Krippe? Jesus ist wie diese Frau gestorben, vom Pöbel zu Tode gemartert. Er liegt, wie mit der Frau, mit vielen Menschen vor unseren Füßen und wir stolpern über ihn. Wir sind oft wie dieser Mann, als er sich mit Unschuldsmiene davonschleichen will, als sei nichts passiert. Gott hat ihn über sein Unrecht stolpern lassen. Er hat es mit eigenen Augen gesehen. Wir sehen unser Unrecht mit eigenen Augen. Und dann stehen wir vor der Krippe und singen frohe Lieder. Wie scheinheilig ist das.
Es ist Zeit, lieber Luther, die Krippe wegzuräumen. Sie ist eine schöne Mär und nichts als Jesusromantik. Es ist Zeit, erwachsen zu werden im Glauben. Zeit, Jesus in den Menschen, die auf dem Boden liegen, zu suchen. Dort ist die Krippe. Kindergartenglauben ist heute nur noch schwer zu vermitteln. Wir sind mit dem Mann, immer noch Fremdlinge, Suchende, Heimatlose, die zum Hause des HERRN ziehen. Wir sollten uns dringend auf den Weg machen.
Herzliche Grüße
Deborrah

Dienstag, 30. Dezember 2014

Fehlende Herberge - Tödliche Reise

Lieber Luther,
die Geschichte von der fehlenden Herberge spielt nicht in Bethlehem, hat aber einige Gemeinsamkeiten. Sie wurde schon im Ersten Testament erzählt. Es klingt fast, als hätte sich die Lukaserzählung Teile dort ausgeliehen. Aber nur ausgewählte Teile. Es liest sich wie ein Krimi, mit tödlichem Ausgang (Richter 19, 1- 30). Genauso wie die Geschichte Jesu.
Ein Mann, ein levitischer Fremdling, wohnte am Rande des Gebirges Ephraim. Er hatte ein Kebsweib, d.h. eine Nebenfrau aus Bethlehem, heute würde man sagen, eine Geliebte. Nebenfrauen waren zu der Zeit üblich. Nachdem sie, wie du, lieber Luther, übersetzt, mit ihm gehurt hatte, ist sie zurück nach Bethlehem in ihr Elternhaus geflohen. Die Nebenfrau scheint den Mann verlassen zu haben.
Er zieht mit zwei Eseln und Knecht hinter ihr her, um sie zurückzuholen. Der Mann ist gekommen, um freundlich mit ihr zu reden, aber die Frau führt ihn zum Vater, welcher über sein Erscheinen erfreut zu sein scheint. Er bewirtet den Schwiegersohn wie es Brauch ist und nötigt ihn Tag für Tag zu bleiben. Fünf Tage ließ sich der Mann aufhalten und auch am 5.Tag versuchte ihn sein Schwiegervater weiter festzuhalten: Siehe der Tag hat sich geneigt und es will Abend werden, bleibe über Nacht. Du kannst noch morgen früh deines Weges ziehen. Hier hast du Herberge. Lass dein Herz guter Dinge sein.
Doch der Mann will sich nicht weiter aufhalten lassen. So nimmt er Frau und Esel und zieht los, obwohl es schon Nachmittag ist und es bald dunkel wird. Etwa 10 km weiter, nahe der Stadt Jebus, dem damaligen Jerusalem, schlug der Knecht vor, dort  zu übernachten. Der Mann lehnt ab. In der „Fremden Stadt“ will er nicht übernachten.  Die Stadt war noch „fremd“, weil der Stamm der Jebusiter dort noch wohnte, denn die Kinder Benjamin hatten die Jebusiter, die in Jerusalem wohnten, nicht vertrieben (Richter 1, 21).
Als sie etwa 8 km weiter gezogen waren, ging die Sonne endgültig unter und es war kein weiterkommen ohne Licht. Sie erreichten die Stadt  Gibea , eine Stadt der Kinder Israel. Hier dachten sie, könnten sie sich sicher fühlen.  Aber es kam ganz anders.
Sie mussten ihr Quartier auf der Straße aufschlagen. Die Benjaminiter wollten sie nicht beherbergen. Da kam ein alter Mann des Weges, der gebürtig auch vom Gebirge Ephraim war und folglich selbst ein Fremder in der Stadt.  Der alte Mann „hob seine Augen auf“ (der Ausdruck wird im AT verwendet, wenn Gottes Geist aus jemandem spricht) und fragt: Wo willst du hin, wo kommst du her? Antwort: Wir reisen von Bethlehem in Juda an den Rand des Gebirges Ephraim. Da komme ich her. Ich bin gen Bethlehem gezogen und ziehe jetzt zum Hause des HERRN, und niemand will mich beherbergen. Wir haben alles bei uns, Stroh, Futter für die Esel, Brot und Wein für mich, deine Magd (= die Nebenfrau) und den Knaben.  Wir liegen keinem auf der Tasche.
Da antwortete der alte Mann: Es soll dir wohlergehen. Alles was dir fehlt findest du bei mir. Er führte sie ins Haus und gab den Eseln Futter, sie wuschen ihre Füße, aßen und tranken miteinander.  Und ihr Herz war guter Dinge.
Dann nimmt die Geschichte eine tragische Wendung:
Es kamen böse Buben aus der Stadt, umringten das Haus, klopften an die Tür und forderten von dem alten Mann: Bringe den Mann heraus, der in dein Haus gekommen ist, damit wir ihn erkennen. In der Bibel wird das Wort verwendet, um Geschlechtsverkehr zu umschreiben. Im Klartext heißt das also: Das Gesindel, das sich eingefunden hatte,  wollte den fremden Mann vergewaltigen.
Der alte Mann ist in Not, er hatte dem Mann Wohlergehen in seinem Haus versprochen und so schlägt er ein Tauschgeschäft vor: nehmt stattdessen meine Tochter, sie ist noch Jungfrau, und die Nebenfrau des Mannes. Ich bringe sie heraus. Die mögt ihr zu Schanden machen und mit ihr tun, was euch gefällt. Aber vergreift euch nicht an dem Mann. Jedoch der Pöbel wollte den Mann. Da ergriff der Mann seine Geliebte und zwang sie hinaus. Die Rotte vergewaltigte sie und trieb die ganze Nacht ihren Mutwillen an ihr; als der Morgen rot anbrach ließen sie sie gehen.
Die Frau schleifte sich vor die Tür des Hauses, in dem der Mann übernachtete. Sie lag da, bis es licht wurde. Als der Mann morgens aus der Tür trat um weiterzuziehen, lag da seine Nebenfrau, die Hände auf der Schwelle. „Steh auf, und lass uns ziehen“. Aber sie antwortete nicht. Er lud sie auf den Esel, machte sich auf und zog in seinen Ort. Da nahm er ein Messer und zerstückelte sie in zwölf Teile und sandte sie an alle Grenzen Israels.
Wer das sah, sprach: Solches ist nicht geschehen und nicht gesehen, seit die Kinder Israel aus Ägypten gezogen sind, bis auf diesen Tag. Denkt darüber nach, gebt einen Ratschlag, und macht diesen bekannt.
Lieber Luther, erst einmal schaudert man, dem ersten Reflex folgend, zusammen.  Das führt dazu, dass man die vielschichtige Botschaft übersieht. Worin besteht sie? Hat diese Geschichte etwas mit Weihnachten zu tun? Lieber Luther, die Antwort lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen. Nicht nur die Kinder Israel, auch ich muss erst nochmals darüber nachdenken. Morgen vielleicht mehr!
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 28. Dezember 2014

Durchbrecher

Lieber Luther,
wie schon angesprochen: Jesus ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Bethlehem geboren, nichts, außer die Lukasgeschichte, bringt seine Geburt damit in Verbindung. Ob die Jungfrauengeburt so zu nehmen ist, wie sie genommen wird, ist sehr die Frage. Den Kindermord hat es nicht gegeben, die peniblen römischen Historiker hätten es nicht übersehen. Die Flucht aus Ägypten ist aus einem Missverständnis des Propheten Hosea geboren. Eine Fülle ist zu sagen zu Jesu Geburt und was aus der Bibel zu verstehen ist. Es passt unmöglich in einen Blog. So denke ich, dass es ein Zyklus werden wird. Wie meistens, weiß ich noch nicht, wohin mich das führt. Viel beschäftigt mich und drängt mich, es in Schriftform zu fassen, da es hilft, die Gedanken zu strukturieren.
Die frühen Christen hatten ihr Fundament im Judentum, in der Schrift, so wie sie überliefert war. Auch die Evangelisten standen in dieser über ein Jahrtausend langen Tradition. Vieles war selbstverständlich, was uns heute nicht mehr selbstverständlich, ja fremd erscheint. Das ein oder andere wurde auch vergessen, weil es keiner mehr erzählt hat oder den Zusammenhang hergestellt hat.
Jesus stand fest auf dem Fundament des Alten Testamentes. Ich komme, sagt er, nicht das Gesetz zu brechen, sondern ihm zum Durchbruch zu verhelfen: Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt 5, 17). Die alles entscheidende Frage stellt er selbst, nachdem ihm die Schriftgelehrten eins um andere Mal versuchen, ihn herauszufordern: Wie steht es im Gesetz geschrieben? WIE liest du? (Lk 10,26). Das macht den Unterschied zu ihm und der herkömmlichen Lehre: Jesus liest anders als die Schriftgelehrten, er legt anders aus, er belehrt sie. Sie ziehen dabei den Kürzeren, sie machen gegen ihn keinen Stich, was sie sehr gegen ihn aufbringt. Verletzte Eitelkeit. Was erlaubt sich dieser Mensch?
Jesus durchbricht ihre Denkmechanismen und Regeln, die sich im Laufe der Jahrhunderte so eingeschliffen haben, dass sie keiner mehr wirklich hinterfragt hat, etwas für Gottes Gesetz ausgegeben wird, was ursprünglich nur dazu gedacht war, die mosaische soziale Gemeinschaft in eine Ordnung zu bringen, das Zusammenleben in größeren Menschengruppen ermöglicht.
Jesus ist der Durchbrecher, der beim Prophet Micha angekündigt ist (Micha 2, 1-13): Ich will aber dich, Jakob, versammeln …; ich will sie wie Schafe miteinander in einen festen Stall tun und wie ein Herde in ihre Hürden, dass es von Menschen tönen soll. Es wird ein Durchbrecher vor ihnen herauffahren; sie werden durchbrechen und zum Tor ausziehen; und ihr König wird vor ihnen her gehen und der HERR vornean. Der HERR ist in diesem Verständnis Gott, nicht Jesus.
Der Geburt des Durchbrechers erinnern wir uns an Weihnachten. Er hat viele rituelle Regeln, die von Menschenhand mit Berufung auf Mose gesetzt wurden, durchbrochen. Aber nicht mit dem Ziel, sie aufzuheben, sondern sie wieder auf ihren Kern zurückzuführen. Missbrauch aufzudecken und den Glauben an Gott, der in Regeln zu ersticken drohte, zu befreien von den ihn einschnürenden Vorschriften. Er hat keine Scheu, Tabus zu brechen, wie etwa in der Sabbatfrage. Er fragt nicht lange, er durchbricht sie. Er zieht mit seiner Lehre aus dem Tempeltor hinaus, auf die Straße, durchbricht jegliche Sperre, auch die eigene Angst. Er ist kein Tempelprediger, sondern ein Straßenprediger. Er kommt zum Volk und das Volk läuft ihm zu. Er bringt seine Lehre auf den langen Marsch durch die Jahrtausende.
In der Nachfolge ziehen seine Schüler in die Welt und verkünden in den Evangelien seine Lehre. Ausschließen will ich hier ausdrücklich Paulus, der seine eigene Lehre verkündet. Dass er damit auch Jesu Lehre verbreitet, liegt in seiner Mission. Das ist sicher kein Zufall. Jesus steht fest im Alten Testament, er pariert jeden Einwand gekonnt, Paulus hat sich dagegen vom Christenhasser zu einem Judenhasser entwickelt und alles verdammt, was in dieser Tradition steht. Dass sich die Kirchenlehre stark auf Paulus gründet, sollte Anlass zum Nachdenken geben. Er folgt damit nicht Jesu Lehre.
Jesus hat nicht nur Zäune niedergerissen, er hat neue Einfriedungen gebaut und die Herde neu gesammelt. Er hat ihr damit neue Sicherheit gegeben. Viele Gleichnisse handeln von Hirtenund von (verlorenen) Schafen. Er hat befreit, Eingrenzungen niedergerissen, gleichzeitig aber eine neue religiöse Heimat, einen neuen Schafstall, errichtet, neu eingegrenzt, einen neuen Schutzraum geschaffen, für Mensch und Gott, frei von Altlasten und Ballast.
Lieber Luther, mit Blick auf den Zustand der Kirchen und ihrer Lehren, auch mancher irrigen, mag man seufzen und uns Jesus im Heute wünschen. Einen der erklärt, zurecht rückt, korrigiert, verwirft. Jesus, seine Lehre, ist nur vor dem Hintergrund des Alten Testamentes zu verstehen. Er war fest in diesem Fundament verankert. Alle Bilder kommen von dort. Er hat sie gekannt und wie alten Wein in neue Schläuche gegossen, so wie bei der Hochzeit von Kanaanbeschrieben. Sie steht nicht umsonst zu Beginn von Jesu Wirkungsgeschichte bei Johannes.
Lieber Luther, mein Weihnachtszyklus fängt gut an. Ich habe etwas ganz anderes geschrieben, als ich im Sinn hatte. Weil es so schön passt und eines meiner Lieblingslieder im Gesangbuch ist (EKG 66), hänge ich den Text noch an. Die Verse, denen ich nicht zustimmen kann, habe ich ausgelassen. Bis demnächst!
Herzliche Grüße
Deborrah
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude
1) Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude;
A und O, Anfang und Ende steht da.
Gottheit und Menschheit vereinen sich beide;
Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah!
Himmel und Erde, erzählet's den Heiden:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freuden.
2) Jesus ist kommen, nun springen die Bande,
Stricke des Todes, die reißen entzwei.
Unser Durchbrecher ist nunmehr vorhanden;
er, der Sohn Gottes, der machet recht frei,
bringet zu Ehren aus Sünde und Schande;
Jesus ist kommen, nun springen die Bande.
5) Jesus ist kommen, der König der Ehren;
Himmel und Erde, rühmt seine Gewalt!
Dieser Beherrscher kann Herzen bekehren;
öffnet ihm Tore und Türen fein bald!
Denkt doch, er will euch die Krone gewähren.
Jesus ist kommen, der König der Ehren.
7) Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden:
komme, wen dürstet, und trinke, wer will!
Holet für euren so giftigen Schaden
Gnade aus dieser unendlichen Füll!
Hier kann das Herze sich laben und baden.
Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden.
8) Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben.
Hochgelobt sei der erbarmende Gott,
der uns den Ursprung des Segens gegeben;
dieser verschlinget Fluch, Jammer und Tod.
Selig, die ihm sich beständig ergeben!
Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben.
9) Jesus ist kommen, sagt's aller Welt Enden.
Eilet, ach eilet zum Gnadenpanier!
Schwöret die Treue mit Herzen und Händen.
Sprechet: wir leben und sterben mit dir.
Amen, o Jesu, du wollst uns vollenden.
Jesus ist kommen, sagt's aller Welt Enden.

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Weihnachts-Kirchen-Theater

Lieber Luther,
Jesus ist nicht in Bethlehem geboren. Das ist mittlerweile einigermaßen wissenschaftlich gesichert. Jesus war Nazarener, sein Licht ist in Nazareth aufgegangen, nicht in einem Stall und nicht unterwegs. Die Weisen aus dem Morgenland hat es nicht gegeben und noch weniger die Flucht von Maria und Josef mit dem Kindlein nach Ägypten. Wieso zelebrieren wir heute tausendfach Krippenspiele? Lassen Engel bei Hirten auftreten? Behaupten wir einen Kindermord, den es nie gegeben hat? Weihnachtstheater.
Die Gottesdienste heute in Serie durchgetaktet, Massenproduktion. Was veranstaltet Kirche da, mit tätiger Mithilfe ihrer Diener? Zum ersten Mal seit ich denken kann, besuche ich keinen Weihnachtsgottesdienst. Ich glaube, ich könnte die Heuchelei nicht mehr ertragen. Das billige Kalkül mit den Emotionen, die Kerzen, die das Licht der Welt symbolisieren sollen und nichts anderes sind als falscher Schein. Stimmungsmache. Christus ist heute geboren, hallt es von den Kanzeln, freuet euch! Wirklich? Oder alle Jahre wieder? In einer Reihe mit Dinner for One?
Alle Jahre wieder das Weihnachtsspektakel. Ändert der Weihnachtstag irgendetwas in den Gewohnheiten der Menschen, hin zu etwas, was Jesus wichtig gewesen wäre? Dauerhaft? Hin zu mehr Nächstenliebe? Die Liebe ist in die Welt gekommen? In Form von bunten Lichtern, frohen Liedern in höchsten Tönen, Geschenkbergen und Weihnachtsgans? Alle Jahre wieder der gleiche schöne Putz, der schon am nächsten Tag bröckelt. Weihnachtsbaum raus, Silvester oder Urlaub ruft. Umdekorieren.
Alle Jahre wieder Weihnachtstheater. Lieber Luther, ich habe bisher auch mitgemacht. Aber damit ist jetzt Schluss. Das Jahr in der Wüste hat mich der kirchlichen Festinszenierungen entfremdet. Jesus ist nicht umsonst vor den Menschen zu Gott immer in die Wüste geflüchtet, nie in den Tempel. In der Wüste ist man Gott näher, lernt man, auf ihn vertrauen, lernt man, dass es außer ihm nichts braucht. Die Stille der Wüste führt zur Klarheit, entblößt die Verklärung, auch die eigene. Es ist wie ein Erwachen. Verwundert reibt man sich die Augen, wie man das so lange nicht hat sehen können. Mitgeschwommen im Strom der geistigen - geistlichen Bequemlichkeit. In die falsche Richtung geleitet, von falschen Predigern. Bequem einfach das konsumierend, was einem vorgekaut wird. Ein gut verdaubarer Weihnachtsbrei. Alle Jahre wieder verkitschtes Kirchenfest.
Nein, dieses Jahr ohne mich! Lieber Luther, das „frohe Weihnachten“ kommt mir dieses Jahr sehr schwer über die Lippen, ich habe eine innere Sperre dagegen. Innerer Widerstand gegen das Weihnachtsvolkstheater, den Volksauflauf in den Kirchen, als gäbe es etwas umsonst. Was für ein von den Kirchen sorgsam gepflegter Irrtum. Gottes Wind bläst, wo er weht, alle Advents- und Weihnachtslichter aus, sein Sturm lässt vom Weihnachtsbaum nichts übrig. Er entblößt ihn als heidnisch oder pure Dekoration.
Mit der Gottesgeburt in uns hat all das Lichtgepränge und Gefasel nichts zu tun. Gottes Licht erkennt man wie die Sterne nur in der Dunkelheit. Ganz sicher nicht im hellerleuchteten Weihnachtskirchentheater! Geburts-Tage Gottes sehen ganz anders aus. Mehr davon die nächsten Tage.
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 28. September 2014

Baum der Erkenntnis

Lieber Luther,
schaut man auf die Kriege und Greueltaten dieser Welt, der heutigen Welt, nicht der vor 3000 Jahren, dann fragt man sich, wird sich das jemals verändern. Der Mensch, die Kulturen entwickeln sich langsam, wachsen zur Hochkultur, um dann irgendwann wieder in Barbarei zu verfallen. Es passiert immer wieder. Der Mensch lernt aus Angst, Schrecken und Schmerz nicht nachhaltig. Ist der eine Schrecken überwunden, gedenkt man des Furchtbaren eine Zeitlang, nach dieser Zeit gerät es dann in Vergessenheit und es fängt an, sich neu zu entwickeln. Das Böse, das Satanische regiert in der Welt, ist Teil von ihr, wird eine Zeitlang in Schach gehalten, gewinnt aber irgendwann wieder die Oberhand. Trockne deine Träne über die Verlorenheit der Menschheit im Bösen, sagt Gott. Wie kann ich das? Wo finde ich Trost?
Auch Jesus wurde vom Bösen verführt. Der Teufel wollte ihn verführen, er der alle Reiche der Welt jeden Augenblick im Blick hat. Alle Macht, alle Herrlichkeit in diesen Reichen der Welt ist ihm, dem Teufel, übergeben. Er gibt Macht und Herrlichkeit in dieser Welt wie er will. Der Teufel sagt: Es ist in mein Belieben gestellt, wem ich die Weltherrschaft gebe und ich gebe sie dem, der mich anbetet. Jesus widerspricht diesem Szenario nicht. Er sagt: Es steht geschrieben: Du sollst Gott, deinen HERRN, anbeten und ihm allein dienen. Alles, was weltlich ist, ist für Jesus belanglos, nicht ein Teil so begehrenswert, dass er sich dafür dem Teufel ausliefert. Es ist Gott allein, den er begehrt. Nichts konnte Jesus locken, nichts verführen. Und als der Teufel alle Versuchung vollendet hatte, wich er von Jesus "eine Zeitlang" (Luk 4, 1-13).
Lieber Luther, Jesus sagt: Es steht geschrieben… Alles Entscheidende, was Gott zu uns sprechen will, ist bereits ausgesprochen und zu Papier gebracht. Jesus begehrt nichts in dieser Welt, er begreift sich nur als Teil im Strom Gottes. Eine Zeitlang weicht der Versucher zum Bösen von ihm. Eine Zeitlang heißt: Er wird sein Glück wieder versuchen. Jesus und der böse Geist, die bösen Geister, sie kennen sich wie alte Bekannte. Klarer als jedes menschliche Auge, sieht der böse Geist den Sohn Gottes und die Bedrohung für ihn: von ihm vertrieben, ausgetrieben zu werden. In manchen Geschichten, in denen erzählt wird, wie Jesus das Böse aus den Menschen austreibt, weil ihm Macht auch über das Böse gegeben ist, versucht das Böse mit Jesus zu verhandeln, ihn dazu zu bringen, das Böse zu verschonen, es nicht aus der Welt zu tilgen. Die bösen Geister sagen: Bist du hergekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist? Sie bitten Jesus, in eine Herde Säue fahren zu dürfen. Jesus gewährt die Bitte. Die Säue stürzten dann aber in den Abhang ins Meer und ersoffen im Wasser (Mt 8, 29-34). Der Text sagt aber auch: Es wird die Zeit kommen, an dem das Böse überwunden sein wird.
Das Böse treibt sein Unwesen, aber Gott vermag es zu tilgen. Das ist die Botschaft hinter allen Geschichten von der Austreibung des Bösen. Die zweite Botschaft ist: Das böse ist da, es mag eine Zeitlang verschwinden, taucht aber immer wieder auf. Es ist Teil des Lebens, Teil des Menschen. Gott, Jesus, beide in einem, kennen das Böse, sie sind mit ihm auf Du und Du. Das Böse regiert, wie in der Wüstenversuchung erzählt, die weltliche Macht. Gut und Böse ist das Weltkonstituierende. Damit bin ich beim heutigen Predigttext, bei den Anfängen. Was steht hierzu geschrieben? Was Jesus tut und erklärt ist neuer Wein in neuen Schläuchen. Was ist mit dem Wein in den alten Schläuchen? Mit Hiob habe ich mich schon auseinandergesetzt, auch mit Teilen der Schöpfungsgeschichte. Da alles schon geschrieben ist, muss eine Erklärung des Gut und Böse in der Schöpfungsgeschichte stecken. Was lehrt sie mich über das Gute und Böse, was ich bisher übersehen habe (1.Mose 2; 3)?
Ausgangspunkt ist der Garten Eden. E'den hat eine zwiefältige Bedeutung. Es heißt: Lust, Wonne, Lieblichkeit, Ergötzen, Wohlleben. Es heißt aber auch: Niederung, Ebene, Wüste. Das Hohe und das Niedrige, die Lust und die Wollust, beides ist in E'den angelegt. Gottes Garten enthält beides, das Gut und Böse, das Liebliche und das Teuflische.
Gott pflanzt in seinen Garten allerlei Bäume. Diese und jene. Der Baum, das biblische Bild für den Menschen. Auch von Jesus oft als Bild in seinen Gleichnissen gebraucht, ebenso wie das pflanzen und weingärtnern, das Pflegen des Gartens. Gott hat den Menschen in seinen lieblichen Garten gesetzt, damit der Mensch diesen Garten pflege. Der Garten Eden, das Bild für Gottes Lieblichkeit und Wonne, Gottes Liebe, wenn man so will. Er ist gegen Morgen gepflanzt, Richtung Aufgang des Lichts. Gegen Morgen heißt auch, in das Morgen, in das Kommende, in das Zukünftige.
Es geht von Eden ein Strom aus, ein Lebensstrom, um den Garten, das Wohlleben, in das der Mensch gesetzt ist, zu nähren, zu wässern, damit er nicht verdurstet. Der Strom Gottes, der uns am Leben erhält. Der Lebensstrom teilt sich in vier Hauptwasser. Er geht in zwei verschiedene Länder. Es wohnen nicht alle im gleichen Land. Vier verschiedene Strömungen gibt es in Gottes Garten, zwei Länder, die Gottes Strom umfließt.
Die erste Strömung heißt Pi'son, d.h. die Freifließende, die Fessellose, die Überbordende. Dieser Strom umfasst das Land Hawi'la, das heißt das Sandland, das Land des wirbelnden Flugsandes, in dem es Gold, aber auch Onyx gibt und Bedellion, Baumharz, das wohlriechend, aber bitterschmeckend und durchsichtig ist. Die zweite Strömung heißt Gi'hon, das heißt der Durchbruch, das Hervorquellen des Wassers, der Ausbruch der Wasserquelle. Dieser Strom umfasst das Land Kusch, das Land der verbrannten Gesichter, des Durcheinanders, der Verwirrung. Der dritte Strom heißt Hid'dekel, der Pfeil, der dahinschießt, das pfeilschnelle Wasser. Der vierte Strom ist der Euphrat, das liebliche, süße Wasser, das überfließend und sehr breit ist.
Was sagt uns das? Es gibt zwei Länder in Gottes Garten, das gute Land und das Land der Verwirrung. Das Sandland, das immer in Bewegung ist, die Wüste mit ihren Oasen, das arme reiche Land, in dem es Gold gibt. Gold steht in der Bibel für den Glauben des Menschen an Gott und die Treue Gottes zu den Menschen. Aber es gibt dort auch Onyx, die Kralle, die Klaue, den Huf, den Teufel, den Satan, das Böse, den wertvollen Stein, in dem sich das Licht vielfältig bricht. Der Stein mit vielen bunten Adern, so vielgestaltig wie das Leben. Zwischen Gold und Onyx, steht Bdellium, das am Baum Anhaftende. Es sieht erdenfarben aus, wie in Stein gemeißelte Erde und gleichzeitig in Stein gemeißeltes ausgeschiedenes Exkrement. Leben des Menschen zwischen Eingang und Ausgang. Bdelliumharz ist falsche Myrrhe, das Harz des Balsambaumes, aromatisch und zugleich bitter. Balsam für die Wunden zwischen Gut und Böse, zwischen Gold und Onyx, zwischen Gottesglaube und Verführung zum Bösen.Himmelsmanna (4.Mose 11,7), Himmelsnahrung zwischen Leben wie es ist. Himmelsnahrung, die Gott seinem Volk in der Wüste schickt. Zufall? Wohl kaum.
In der Mitte des Gartens Eden steht der Lebensbaum. Es gibt aber auch einen Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, von da'at, erlernbares und gleichzeitig vergebliches Wissen. Was der Mensch auch lernt, was Gott ihm sagt, es ist vergeblich, er tut es nicht, versteht es nicht, hält sich nicht daran. Jesus sagt später: ihr habt Augen zu sehen und seht nicht, ihr habt Ohren zu hören und hört nicht, ihr sollt entsprechend handeln und tut es nicht, selbst wenn ich es euch vorlebe. Das zeigt sich bei Adam und Eva bei der ersten Anfechtung des Bösen. Sie scheitern schon bei der ersten Herausforderung, bei der ersten Versuchung. Doch wieso?
Gott pflanzt allerlei Bäume in seinen Garten. Sie sind begehrenswert anzusehen und gut, im Hebräischen hamad. Auch hamad hat zwei Seiten: Es ist begehren, gelüsten, Gefallen finden, das auch Erfüllung findet, wie auch unerlaubtes Begehren, das Schaden anrichtet. Das Begehren ist es letzten Endes, das Adam und Eva ungehorsam werden lässt, das verführte Begehren. Ohne die Verführung, ohne jemanden der verführt, wären sie nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Hand gegen das auszustrecken, das sie ins Verderben führen wird. Nicht auf Gott zu hören, der gewarnt hat: Wenn du davon isst, bist du dem Tod verfallen, dem mehrfachen Tod: Den Toden, die ihr euch gegenseitig sterben lasst und – noch gravierender – dem Tod des Gehorsams, des Vertrauens, des Hörens auf das, was ich euch sage. Der Verführung zu folgen ist die Initialisierung von Gut und Böse. Von dem Augenblick an bekommt E'den seine Doppelbedeutung: das Liebliche, die Wonne, das Wohlleben bekommt seine Niedrigkeit. Das reine Gut gehört der Vergangenheit an, das Böse kommt in die verführte Welt.
Adam und Eva sind auf die List hereingefallen, auf die wohlformulierte Täuschung. Die Schlange sagte, wenn ihr davon esst, werden euch die Augen aufgetan und ihr wisst, was gut und böse ist, ihr werdet mitnichten sterben. Die Schlange hatte recht, Adam und Eva hat es aber nicht durchschaut: Es sind ihnen die Augen aufgegangen, sie haben erkannt, wie nackt und bloß sie sind, dass sie sich voreinander schämen müssen, haben ihre Verletzlichkeit, Hilflosigkeit und Schwäche erkannt. Was sie erkannt haben, hat ihnen nicht gefallen. Sie sind körperlich nicht gestorben, insofern hatte die Schlange auch hierin nicht die Unwahrheit gesagt. Sie hat nur so formuliert, dass sie das Begehren in den Menschen geweckt hat, ihnen ihre Zufriedenheit mit dem, was sie hatten – und es war reichlich – genommen hat. Ihnen suggeriert hat, das, was sie nicht haben, sei besser. Das Erwachen der Begierde, die Schwäche des Menschen in der Verführbarkeit, seine Blindheit und Taubheit gegenüber der Falschheit des Verführers, haben den Baum der Erkenntnis für alle Tage des Menschengeschlechts zu einem Baum der täuschenden Erkenntnis gemacht.
Gott hat sozusagen die Notbremse gezogen. Der Mensch hat angefangen, nicht auf sein Wort zu hören, er hat seine Hand dem Bösen gereicht, nach etwas ausgestreckt, das nicht gut für ihn ist, wider sein Wort. Er hat sich aufgeschwungen und wollte Gott gleich sein, die gleiche Erkenntnis haben wie Gott. Die Konsequenz. Gott nimmt die Wahlmöglichkeit in einem entscheidenden Punkt vom Menschen: Er verhindert, dass der Mensch sich nicht auch noch zum Herrscher über das Leben aufschwingt. Er schützt das ewige Gut vor dem Bösen. Als Schutzmaßnahme des Menschen vor sich selbst, um den Weg zum Baum des Lebens für den Menschen zu bewahren (1.Mose 3, 22-24). Das meint, wenn Jesus sagt: Und siehe, ich habe Satan wie ein Blitz aus dem Himmel fallen sehen (Luk 10, 18). Der Verführer, das Böse im Menschen, ist verbannt aus dem Garten des Wohlbefindens, es kann seine Verführungskünste nur noch in weltlichen Dingen zur Wirkung bringen, das ist ihm frei, aber nicht mehr in himmlischen. Das Böse kann das Gute in alle Ewigkeit nicht zum Einsturz bringen. Dafür hat Gott gesorgt.
Lieber Luther, Gott sichert uns mit diesem Rettungs-Akt den Zugang zu sich. Er hat Eden, den Ort seiner Liebe, für uns bewahrt, vor uns geschützt. Die Macht und die Reiche dieser Welt, die der Verführer unter seiner Kontrolle hat, sind von dieser Welt, hat er vor seine Tür gewiesen. Gottes Reich bleibt davon unberührt. Das zeigt uns die zweite Schöpfungsgeschichte. So bleibt uns die reine Quelle erhalten. Gott umfasst, wässert und nährt daraus diese Welt. Sein Lebensstrom, seine Wasserader umfasst uns. Jedoch, wem wir dienen, dem Verführer oder Gott allein, das liegt an jedem einzelnen. Jeder einzelne hat zu entscheiden, wem er nachfolgt. Selbstverantwortlich das in Kauf nehmend, was daraus folgt. Das meint Jesus, wenn er in verschiedenen Gleichnissen sagt, wer mir nachfolgt, darf nichts vom Weltlichen mitnehmen, sich vom Festhalten nicht leiten lassen, sondern muss tun, was Gott alleine dient. Er muss nackt und bloß, wie ein neugeborenes Kind, vor dem Baum des Guten und Bösen stehen, unmündig, unschuldig, ohne auf die Stimme der verschiedenen Verführungen zu hören. Die Weisen und Klugen, die vom Baum gegessen haben, verstehen das nicht. Wieso, ergibt sich aus obigem. Deshalb ist auch verständlich, wieso Jesus in diesen Jubel ausbricht: Ich preise dich Vater des Himmels und der Erde, dass du dies den Weisen und Klugen verborgen hast (Luk 10, 21).
Lieber Luther, gut und böse ist Teil des Menschsein. Das ist in der Schöpfung von vornherein angelegt. Gott hat aber vorgesorgt und vorgedacht. Das lindert mein Erschrecken vor den Menschen nicht, aber es macht mich sicher, auch angesichts allen Leides. Gott lässt uns die Wahl, wem oder was wir in unserem Begehren, in unserer Begierde, in unserer Gier, den Vorrang einräumen. Gott hat den Rückweg ins ewige Gut, in sein Leben, in seine Liebe für uns gesichert. Die Schöpfungsgeschichte zeugt von dieser göttlichen Konstitution. Sie hilft mir, das Gut und Böse des Menschen im göttlichen Gefüge einzuordnen und zu relativieren. Jesus wusste, das Böse regiert diese Welt, aber nur eine Zeitlang. Das Böse ist aus dem Himmel gefallen, damit der Weg für das Gute dorthin offensteht. Für den einen ist die Zeit da, für den anderen nicht, dauert noch eine Zeitlang, abhängig vom Strom, in dem er sich bewegt, abhängig vom Land, in das er zieht. Und immer gilt die Zusage: Ich will dich behüten, wohin du auch ziehst und will dich wieder herbringen in dies gute Land (1.Mose 28, 15).
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 21. September 2014

Saulus Paulus

Lieber Luther,
Jesus sagt: Der Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten (Lk 9, 56). Paulus schreibt: Ich schreibe euch Korinthern lieber all mein Missfallen an euch, damit ich, wenn ich zu euch komme, nicht die Schärfe brauchen muss nach der Macht, welche mir der HERR, zu bessern und nicht zu verderben, gegeben hat (2.Kor 13, 10). Mal sehen, wie Paulus das anfängt.
Ich bin, lieber Luther, weiter mit Paulus beschäftigt, ihm auf der Spur, nicht so recht wissend, wo mich das am Ende hinführt. Ich hatte dir schon von meinen Irritationen über den 1.Korintherbrief geschrieben. Was bringt auf der Spurensuche nun der 2.Korintherbrief? Weitere Irritationen, um es vorwegzunehmen. Was Paulus schreibt, bedarf der Einordnung in seinen Lebenszusammenhang.
Saul berichtet von seiner Berufung, er habe eine Stimme gehört, die zu ihm sagte: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken (Apg 9, 5; 26, 14). Was heißt das? Der Stachel, der in Sauls Fleisch steckte, war seine Vergangenheit als unerbittlicher Christenverfolger, als Werkzeug der Hohenpriester gegen die Christen. Ananias hatte seine Zweifel, als er Saul sehend machen soll. Gott sagt ihm: Er ist mein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen Namen vor die Heiden, Könige und Kinder Israels trage. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen (Apg 9, 15-16).
Saul fing an von Jesus zu predigen. Die Menschen liefen entsetzt von ihm weg, er war nicht authentisch für sie. Saul wusste aber aufzutreten. In Damaskus „trieb er die Juden in die Enge“, so dass das erste Mordkomplott, von dem berichtet wird, gegen ihn geschmiedet wurde (Apg 9, 25). Die Jünger retteten ihn in einer Nacht und Nebel-Aktion und brachten ihn aus der Stadt. Danach ging er nach Jerusalem und wollte sich den Jüngern anschließen. Die lehnten ihn jedoch ab, da sie ihm schlichtweg nicht glaubten, was er erzählte. Zu phantastisch, um wahr zu sein. Auch in Jerusalem machte er sich schnell Feinde, etwa unter den Griechen, so dass auch sie ihn sogleich an den Kragen wollten.
So komplementierten ihn die Jünger schließlich aus Jerusalem hinaus und brachten ihn auf den Weg Richtung Tarsus, seiner Heimatstadt: So hatte nun endlich die ganze Gemeinde in Judäa, Galiläa und Samarien wieder Frieden (Apg 9, 25-31). Die Apostel scheinen froh gewesen zu sein, diesen Unruhestifter, der überall nur aneckte, wieder los zu sein. Ein weiteres Detail ist hier zu erfahren, das für Saulus Paulus entscheidend ist: Er predigte „frei“ (Apg 9, 28). Was heißt das?
Paulus duldete, wie bereits festgestellt, neben seiner Lehre keine andere, auch nicht die der anderen Apostel. „Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht“. Gemeint sind vor allem die „hohen“ Apostel. Er wirft ihnen vor, dass sie das – sein - Evangelium verkehren. „Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ Gott habe ihn, so Saul, von Mutterleib an durch seine Gnade berufen, weshalb er seinen Sohn in ihm offenbare, dass er ihn durchs Evangelium unter den Heiden verkündigen sollte. Unter den Umständen, so erklärt er, sei es nicht notwendig gewesen, sich über das Evangelium mit „Fleisch und Blut“ zu besprechen. Deshalb sei er auch nicht gen Jerusalem gezogen, zu denen, „die vor mir Apostel waren“. Petrus habe er 15 Tage lang gesehen, ansonsten keinen der anderen Apostel, außer Jakobus (Gal 1). Worin die Gnade von Mutterleibe an besteht, ein unerbittlicher Christenverfolger zu sein, bleibt dabei Sauls Geheimnis. Saul fühlt sich vor Gott Jesus gleich. In ihm lebt Jesus weiter. Was er vor sich weg- und hinzuargumentiert, überzeugt seine Mitbrüder jedoch wenig.
Die von Jesus benannten „hohen“ Apostel haben das Treiben des Paulus misstrauisch beäugt, haben wohl auch Kundschafter ausgeschickt, um ihn zu beobachten. Aber ein Saul lässt sich nicht beirren. Er will den Apostelkollegen auch „nicht eine Stunde“ untertan sein. Und was ist schon Reputation: Von denen aber, die das Ansehen hatten, welcherlei sie weiland – zu Jesus Zeiten – gewesen sind: daran liege ihm nichts. Ihm sei das Evangelium an die Heiden gleich vertraut wie Petrus das Evangelium an die Juden. Schließlich hätten Jakobus, Kephas und Johannes ihm die rechte Hand geschüttelt und seien mit ihm übereingekommen, dass er zu den Heiden, sie aber zu den Juden gingen. Er scheint nicht auf die Idee gekommen zu sein, dass sie ihn einfach loshaben wollten.
In Antiochien, so rühmt sich Paulus, habe er sich gegen Petrus gestellt, der – der jüdischen Lehre gemäß – sich nicht mit den Heiden an den Tisch gesetzt hätte. Das sei Heuchelei, und der (böse) Petrus habe auch noch seinen getreuen Barnabas zu dieser Heuchelei verführt. Wahrscheinlich war Paulus der einzige, der Petrus Verhalten als Heuchelei angesehen hat. Was folgt ist ein weiterer Ausbruch gegen das Judentum, verbunden mit einer scharfen Abgrenzung zu den „hohen“ Aposteln und deren Lehre, deren Respekt gegenüber der jüdischen Lehre und dem „Gesetz“, gipfelnd in der finalen Behauptung: Denn so durch das Gesetz Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben (Gal 2). Das ist die paulinische Logik der Lagerbildung, einfachstes Schwarz-Weiß-Malen. Fast bin ich geneigt, ihn als Demagogen aus eigener Herrlichkeit zu bezeichnen. Das „Gesetz“ ist einer der Hauptreibungspunkte von Saulus Paulus. Und natürlich die „hohen“ Apostel, die meinen sie seien etwas Besseres als er. Da haben sie aber die Rechnung ohne ihn gemacht.
2.Korinther 11 ist eine Hasstirade gegen die „hohen“ Apostel. Saulus Paulus qualifiziert sie ab und rückt ihre Lehre in die Nähe des Teuflischen. Nur seine Lehre sei richtig, da er mit göttlichem Eifer lehre, und dagegen die (hohen falschen fleischlichen) Apostel verführten wie die Schlange Evas: Denn ich achte, ich sei nicht weniger, als die „hohen“ Apostel sind. Auch wenn er nicht der Rede (Jesu) kundig sei, so sei er doch nicht unkundig der Erkenntnis (2. Kor 11, 2-6). Wieso hört ihr andere Predigten, fragt er die Korinther. Wollt ihr mich damit erniedrigen und euch erhöhen? Ich habe euch (mein) Evangelium umsonst verkündigt, Zeitverschwendung. Ihr habt damit anderen die Zeit gestohlen, die stattdessen meine Predigt hätten hören können, setzt er die Korinther weiter unter Druck. Dasselbe Verhaltensmuster, von dem oben unverhohlen die Rede ist: Er hat nicht nur die Juden, sondern auch die Korinther in die Enge getrieben.
Oft fällt bei Saulus Paulus das Wort „Ruhm“, sein Ruhm. Nein, er wolle sich nicht rühmen, aber … , so das Strickmuster seiner Schreibe. So spricht er vom Ruhm, der ihm in den Ländern Achajas nicht verstopft werden soll (2.Kor 11, 20). Sein Tun rechtfertigt er so: Was ich aber tue und tun will, das tue ich darum, dass ich die Ursache abschneide denen, die Ursache suchen, dass sie rühmen möchten, sie seinen wir. Denn solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Das sei auch kein Wunder, denn der Satan selbst verstelle sich schließlich zum Engel des Lichts. Deshalb sei es auch nicht schwer, wenn sich seine Diener als Prediger der Gerechtigkeit verstellten. „Ich sage abermals, dass nicht jemand wähne, ich sei töricht; wo aber nicht, so nehmet mich als einen Törichten, dass ich mich auch ein wenig rühme. .. Sintemal viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Denn ihr vertragt gern die Narren, dieweil ihr klug seid“ (2.Kor 11, 12-18).
Wenn Saulus Paulus in Fahrt war, war er nicht mehr zu bremsen. Er hat sich so richtig in Rage geschrieben: Sind sie (die „hohen“ Apostel) Hebräer? Ich auch. Sind sie Israeliter? Ich auch. Sind sie Abrahams Same? Ich auch! Sind sie Diener Christi? Ich bin’s wohl mehr: Ich habe mehr gearbeitet, mehr Schläge erlitten etc., ich habe, ich bin , ich habe … (2.Kor 11, 22-28). Und übrigens, zwar ist mir das Rühmen nichts nütze, so will ich doch noch von den Erscheinungen und Offenbarungen reden … (2.Kor 12, 1-6). Und damit ich nicht überheblich werde, ist mir der Pfahl ins Fleisch gegeben, der Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlägt. Er habe zwar dreimal den Herrn angefleht, dass er von ihm weiche, aber Gott habe zu ihm gesagt, er solle sich mit seiner Gnade begnügen, denn seine Kraft sei in den Schwachen mächtig (2.Kor 12, 7-9). Was heißt das nun, lieber Paulus? Du hast den Teufel in dir?
Er sei zwar, so Saulus Paulus, unter all dem Rühmen zum Narren geworden, aber – damit die Schuldigen auch gleich benannt sind – dazu habt ihr Korinther mich gezwungen, den eigentlich sollte ich von euch gelobt werden, da ich nicht weniger bin als die „hohen“ Apostel. Ich habe die Zeichen und Wunder eines Apostels bei euch bewirkt, mit Geduld, mit Wundern, mit Taten. Was beschwert ihr euch eigentlich? Ich gebe mich hin für eure Seelen, ich liebe euch, werde von euch aber weniger geliebt. Ich habe euch nicht beschwert (d.h. bin euch nicht auf der Tasche gelegen), „sondern die weil ich tückisch bin, habe ich euch mit Hinterlist gefangen“ (2.Kor 12, 16). Ihr Korinther, ihr braucht nicht glauben, dass ich mich vor euch verantworten müsste. „Wir reden in Christo vor Gott; aber das alles geschieht, meine Liebsten, euch zur Besserung“. (2.Kor 12, 19). Der Pluralis Majestatis, den Paulus gern benutzt, entspricht seinem Selbstbild. Ich fürchte, fährt er fort, wenn ich zu euch komme, wird es nichts geben als Hader, Neid, Zorn, Zank, Afterreden, Ohrenblasen, Aufblähen, Aufruhr und mein Gott würde mich bei euch demütigen und ich müsste das Leid tragen über viele, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben, für deren Unreinheit, Unzucht und Hurerei (2.Kor 12, 20-21). Paulus trägt das Leid für viele … so sieht er sich, auf einer Stufe mit Jesus, Selbsterhebung.
Lieber Luther, das reicht erst einmal für heute. Ich habe genug. Ich könnte noch viele Seite mit anderen Textstellen füllen. Je mehr ich mich diesem Saulus Paulus nähere, desto mehr erschrecke ich. Hätte Jesus so ein Verhalten in seiner Umgebung geduldet? Niemals! Er hat Petrus aus nichtigerem Anlass zusammengefaltet. Was hätte er wohl zu Paulus gesagt?
Zeitensprung. Was wir heute über Menschen gesagt, die von sich auch sagen, der Heilige Geist habe zu ihnen geredet? Was würden wir zu einem Paulus heute sagen? Würden wir ihn für zurechnungsfähig halten? Würden wir ihn ernst nehmen? Würden wir seine Lehre als einen Glaubenspfeiler installieren? Würden wir eine solche Lehre rein aus dem göttlichen Off einer einzigen Person von der Kanzel lassen? Einen, der nicht wie Jesus auf das Alte Testament baut, sondern sich dagegen abgrenzt? Der es nicht für nötig hält, sich mit denen, die Jahre von Jesus direkt gelehrt wurden, ihn jeden Tag erlebt haben, die von ihm für ihren Apostelberuf ausgesucht und vorbereitet wurden, ausbilden zu lassen, sich aber dennoch auf Jesus beruft. Wieso, ist nicht so richtig erkenntlich. Eigentlich braucht er ihn in seiner Lehre gar nicht, er stört eher, bringt ihn in Erklärungsnot.
Lieber Luther, Paulus hat mit den ihm vom Heiligen Geist übermittelten eigenen Erkenntnissen ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal in der gesamten Schrift. Deshalb hat das, was er lehrt, nicht viel gemein mit dem, was in den Evangelien steht, außer, dass der Heilige Geist, ein gekreuzigter Jesus und Gott in seiner Lehre vorkommen. Würden wir diesen Mann heute nicht – vielleicht mit Recht – für einen Verrückten halten? Oder als einen Esoteriker? Lieber Luther, ich weiß, dass du sehr auf Paulus baust. Bei mir wankt inzwischen das Paulusgebäude bedrohlich. Ich fange an, nicht mehr zu begreifen, wieso Paulus in der kirchlichen Lehre der Rang eingeräumt wurde, den er hat. Er hat ja nichts verheimlicht, was er schreibt ist – millionenfach – unter die Menschen gebracht. „Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel zu lecken“, sagt Gott zu Saulus. Bei Gott ist alles vorhergedacht.
Herzliche Grüße
Deborrah

Montag, 8. September 2014

Paulus

Lieber Luther,
dieser Welt Weisheit ist eitel. Salomon hat das gelernt und in Demut angenommen, aber beileibe nicht jeder. Paulus schreibt im Korintherbrief: „Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue.“ Damit sind wir beim Predigttext für diese Woche (1.Kor 3, 9-15). Und ein paar Sätze später schreibt er: Der Herr weiß der Weisen Gedanken, dass sie eitel sind (1.Kor 3, 20). Er meint aber damit nicht sich, sondern die Korinther.
Aber, so möchte man ihm zurufen, frei von Eitelkeiten bist auch du nicht, lieber Paulus. Du verlangst von anderen, was du selbst nicht hältst. Die Korinther hatten ihre eigenen Ansichten. Paulus hält dagegen: Mein Wort und meine Predigt besteht nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern dient dem Beweis des Geistes und der Kraft, damit – so belehrt er sie – euer Glaube nicht auf Menschenweisheit fußt, sondern auf Gottes Kraft (1.Kor 2, 4).
Was hier zur Sprache kommt und den (griechisch-logisch) gebildeten Korinthern wohl aufgefallen ist: Paulus argumentiert in nicht nachvollziehbaren Pseudologiken. Wenn er seine Rede mit „Sintemalen“ anfängt oder wenn er argumentativ in Schwierigkeiten ist, nicht mehr weiter weiß, deshalb seine typisch suggestiven Fragen im Konjunktiv stellt, ist Vorsicht angebracht. Er stellt etwas als logisch in den Raum, was nicht logisch ist, er führt Scheinbeweise, die – mit fleischlich menschlich beschränkter Weisheit betrachtet – keine Beweise sind.
Deshalb, lieber Paulus, ist man versucht zu sagen, auch wenn es an deinem Ego kratzt, du bist auch nur ein Mensch, der entsprechend seiner Einsicht und mit bestimmter Absicht schreibt. Man kann – und das waren die Korinther, die Epheser und nicht nur sie – auch anderer Auffassung sein, die Schrift anders auslegen, das Überlieferte anders interpretieren. Dagegen hast du mit aller Macht angekämpft. Deine Auslegung hatte zu zählen und sonst nichts. Mit deiner Arroganz hast du viele Widerstände herausgefordert: Keiner „der Obersten dieser Welt“ hat die heimliche, verborgene Weisheit Gottes erkannt, außer dir natürlich, denn: Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist und deshalb lehren wir mit Worten, die der Heilige Geist lehrt.
Mit Bezug auf Jesaja fragt Paulus weiter (1. Kor 2, 7-16): „Wer hat des HERRN Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen?“ und setzt hinzu: Wir aber haben Christi Sinn. Was aber steht bei Jesaja? Wer unterrichtet den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn? Wen fragt er um Rat, der ihm Verstand gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn die Erkenntnis und unterweise ihn den Weg des Verstandes (Jes 40, 13-14). Jesaja redet von der unvergleichlichen und vom Menschen nicht zu fassenden Weisheit Gottes. Paulus reklamiert ganz unbescheiden Gottes Weisheit für sich.
Paulus hatte ein Autoritätsproblem. Petrus, der von Jesus selbst und direkt eingesetzte Hirte, hatte wesentlich mehr Anerkennung als Paulus, der Konvertit, der ehemalige Pharisäer. Petrus war DER Jünger Jesus. Er hatte Jesus herausgefordert, war von ihm belehrt worden und schließlich von Jesus selbst erwählt worden. Da konnte Paulus nicht mithalten. Deshalb wurde er auch immer in Frage gestellt, musste um die Anerkenntnis dessen, was er lehrte, kämpfen. So argumentierte er geschickt: Ich habe den Heiligen Geist, deshalb rede ich auch in Christi Sinn. Wer anderer Meinung ist, ist noch in Sünde und nicht in Christi Sinn (1. Kor 2)
Wer ist Paulus, wer ist Appolos, fragt er? Ich habe gepflanzt, Apollos hat gegossen, Gott hat Gedeihen gegeben. Und dann kommt der Satz aus dem heutigen Predigttext: Ich aber habe den Grund gelegt als weiser Baumeister… (1.Kor 3, 6-10). Welchen Grund hat Paulus gelegt? Jesus Christus. Jesus Christus, der Grund von Paulus gelegt? Da kann man schon irritiert sein. Hat nicht Jesus gepflanzt? Ist nicht Jesus der Eckstein? War nicht Jesus der Baumeister? Was mit Gottes Wille und Wege? War Paulus nicht mehr und nicht weniger ein Arbeiter im Weinberg des Herrn wie jeder andere auch?
Doch, sagt Paulus, um gleich die Regeln des Wettbewerbs zwischen seiner und anderen Auslegungen festzulegen: Jeder wird seinen Lohn nach seiner Arbeit bekommen. Wird jemandes Werk bleiben, da er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen (=verpuffen), der wird Schaden leiden. Und damit die Verhältnisse auch klar sind, setzt er gleich wieder zu einer seiner typischen Fragen an, die den anderen für dumm verkauft: Wisst ihr nicht (ihr beschränkten fleischlich und nicht geistlichen denkenden Korinther), dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? So jemand den Tempel Gottes verderbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig. Niemand betrüge sich selbst. Welcher sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein (1.Kor 3, 8-19). Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt: Denn dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott, denn, so Paulus, es steht geschrieben: ‚Die Weisen erhascht er in ihrer Klugheit‘, mit Bezug auf Hiob. Was sagt aber Hiob tatsächlich: Er macht zunichte die Anschläge der Listigen, dass es ihre Hand nicht ausführen kann; er fängt die Weisen in ihrer Listigkeit und stürzt der Verkehrten Rat“ (Hiob 5, 12-13).
Das Verhältnis von Paulus zu den Korinthern war schwierig und belastet. Die Korinther haben ihre eigene Einsicht vom Glauben, die nicht immer Paulus Einsicht ist, und so versucht er sie auf seine Schiene zu bringen. Noch schwieriger war die Beziehung zwischen Paulus und den Ephesern. Wenn es darum ging, seine Position durchzusetzen, war er nicht zimperlich. Er will Kirche bauen, auf seiner Theologie fußend und alles was ihn daran hindert, argumentiert er irgendwie weg, oft suggestiv oder mit einer Argumentation, die nicht wirklich nachvollziehbar ist. Er setzt „Beweise“ in die Welt, die keine Beweise sind, fern ab von dem was in den Evangelien steht, als Setzungen des Heiligen Geistes. Er behauptet, was Jesus nie behauptet hat, jedenfalls steht es so nicht in den Evangelien. Paulus predigt sein eigenes Evangelium.
Paulus ist radikal. Wer ihm nicht folgt, folgt nicht Christus und wird verflucht: So jemand den HERRN Jesus Christus nicht liebhat, der sei anathema, das heißt, der sei verflucht (1.Kor 16, 22). Oder gar: Denn obgleich ihr zehntausend Zuchtmeister hättet in Christo, so habt ihr doch nicht viele Väter, denn ich habe euch gezeugt in Christo Jesu durchs Evangelium (1.Kor 4, 15). Und wehe, steht in unsichtbarer Klammer dahinter, ihr weicht von dem ab, was ich euch befohlen habe (1.Kor 11,17).
Der Brief an die Korinther beginnt mit: Paulus, berufen zum Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes (1.Kor 1,1). In allem was Paulus schreibt, stellt er sich auf einen Sockel, von dem ihn seither niemand mehr gewagt hat auf ein normal menschliches Maß herunter zu holen. Die Petrusbriefe beginnen demütiger: Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi (2.Petr 1, 1) oder bei Jakobus heißt es: Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi (Jak 1, 1). Paulus sieht sich als mehr, verpackt das, um nicht ganz unverfroren dazustehen, immer mit einem Satz scheinbarer Demut: Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum dass ich die Bildung der Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe vielmehr gearbeitet denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist (1.Kor 15, 9-10). Ein kurzer Rundumschlag des selbst ernannten Apostels gegen alle von Jesus ernannten Apostel.
Lieber Luther, man kann sich mit Blick auf die Erkenntnisse der heutigen Psychologie so seine Gedanken machen über Paulus. Die Metamorphose vom Saulus zum Paulus ist wohl nur zum Teil geglückt. Genauso verbissen, wie er zuvor die Christen bekämpft hat, so verbissen hat er als Christ für seine Theologie gekämpft. Genauso radikal, genauso unversöhnlich denen gegenüber, die anderer Meinung waren als er, man könnte fast sagen, so wie er als ausgebildeter Pharisäer im Dienste der weltlichen Macht über die Leichen der Christen gegangen ist, so radikal ist er nach seinem Seitenwechsel mit theologisch oder religiös anders denkenden umgesprungen. Seine Sündentheologie passt in dieses Muster der Ausgrenzung, genauso wie seine manchmal buchstäblich an den Haaren herbeigezogenen, logisch kaum nachvollziehbaren Ab- und Ausgrenzungsbemühungen gegenüber dem „Gesetz“.
Also hat Paulus gepredigt und also habt ihr geglaubt (1.Kor 15, 11). Lieber Luther, dieser Paulus hatte Sendungs- und Machtbewusstsein. Er wollte sich und seine Lehre, seine Theologie, seine Auslegung der Beziehung der Menschen zu Gott, durchsetzen. Er geht eigene Wege. Seine Lehre vom Heiligen Geist, seine Sündentheologie, die Kirche als der Leib Christi, seine Lehre von der Auferstehung, alles paulinisch. Auf Jesus kann hiervon so gut wie nichts zurückgeführt werden und wenig auf das Erste Testament. Auch dagegen grenzt er sich ab, während Jesus darauf baut. Er beruft sich so gut wie nie auf ihn oder das, was von ihm erzählt wird.
Lieber Luther, ich muss gestehen, ich lese, wie die Korinther und die Epheser, die paulinischen Texte oft mit einem gewissen Unmut: Zuviel, was nur bei Paulus steht und sonst nirgends in der Bibel. Was er schreibt, wirkt unter den anderen Texten wie ein Fremdkörper, zu viel führt in eine Sackgasse, zu viel was er sich und anderen argumentativ in der Luft hängend zumutet, verkleistert und vernebelt in der umständlichsten Sprache der gesamten Bibel. Es hat viele Monate gedauert, bis dieser Brief zustande gekommen ist, bis ich ihn mir zugetraut habe, weil ich weiß, dass ich mich in ein Wespennest setze. Es ist sicher nicht der letzte Brief, den ich dir über Paulus schreibe, aber der Anfang ist endlich gemacht. Es gibt noch viel über Paulus zu sagen, auch viel Positives, auch wenn das heute noch nicht so richtig zu Wort gekommen ist.
Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 30. August 2014

Sex, Crime & Rubikon

Lieber Luther,
manchmal sind die Auslassungen aussagekräftiger, als das, was dasteht. So ist es mit dem Predigttext dieser Woche. Er besteht nämlich aus Auslassungen (2.Sam 12, 1-10, 13-15a). Zweieinhalb Verse, die es in sich haben, fehlen. Warum?
David ist ein demütiger Mann. Er geht Gottes Wege, auch wenn sie meistens nicht sehr bequem sind. Es geht auf und ab in seinem Leben. Vom Hirten, zum Helden, zum Krieger, zum König, zum Verfolgten, zum Geschlagenen, zum Enttäuschten, zum Müden und immer Diener des HERRN. Er arbeitet dort, wo Gott ihn hinstellt. Aber, wo Stärke ist, ist auch Schwäche. Das gilt auch für David.
Er stolpert, wie später auch sein Sohn Salomon, über eine Frau. Er ist in der Beziehung kein Kind von Traurigkeit. Seine Vielweiberei ist in der Bibel bezeugt. Eines Tages wirft er nicht nur sein Auge auf die Frau eines anderen, schlimmer noch, er lässt ihren Mann ermorden. Er übertritt dabei zweifach Grenzlinien: Er begeht einen Diebstahl, indem er dem anderen die Frau stiehlt und er mordet auch noch dafür. Er bricht, wie ein Dieb in der Nacht, in den Schafstall des anderen ein und nimmt auf Grund seiner Machtfülle, was ihm nicht gehört.
Die Frau, Bathseba, widerstrebt, sie ist eigentlich mit ihrem Mann zufrieden, aber David respektiert das nicht. Er respektiert auch nicht, dass der Mann sein treuer Diener ist, der für ihn in den Krieg gezogen ist und sein Leben riskiert. Dann der absolute Fauxpas: David schickt den Mann des Objektes seiner Begierde durch seinen Heerführer dorthin, wo keiner überlebt. David stiehlt nicht nur die Frau, er liefert auch noch den treuen und loyalen Anhänger aus Eigennutz ans Messer (2.Sam 11). Szenen, die das Leben schreibt.
Der Prophet Nathan weißt David in einem Bild auf sein Fehlverhalten hin. Ein Reicher bekommt einen Gast und will ihm kein eigenes Schaf "zurichten", sondern nimmt hierfür das Schaf des Armen. Das Schaf ist die Frau, der Gast Davids Begierde. David erkennt, dass dies Unrecht ist, aber nicht, dass er selbst es ist, der Unrecht getan hat. So sagt es ihm Nathan. David erkennt was er selbst nicht erkannt hat und erschrickt in den Tiefen seiner Seele: Ich habe gesündigt wider den HERRN. Nathan antwortet: Ja, was antwortet Nathan?
So hat auch der HERR deine Sünde "weggenommen"; du wirst nicht sterben. So übersetzt du, lieber Luther. Dass dieses "weggenommen" nicht so ganz in den Zusammenhang passt, ist dir sicherlich auch aufgefallen. Nathan hat nicht die Vollmacht für Gott von Sünden freizusprechen. Woher kommt diese Aussage plötzlich? Kein Prophet spricht in der Bibel von Sünden frei. Es ist, lieber Luther, ein Übergang gemeint. "Abar" steht im Hebräischen für Übergang von einem Flussufer zum anderen. Es ist gemeint: Du – David - bist vom Weg des Herrn abgewichen und hast den Rubikon zur Sünde überschritten, aber, ich halte dir die Treue, du wirst auch in dem Land jenseits des Sündenflusses nicht für mich sterben.
Das ist die Kernaussage der ganzen Geschichte, die Kernbotschaft. Diese Zusage Gottes, dass er, sofern wir bereuen und umkehren, uns nicht vor seinen Augen sterben lässt. Auch wenn wir wie David den Rubikon überschreiten. Auch wer noch so heilig ist, wie David, sündigt. Jeder sündigt. David ist uns ein Trost und ein Vorbild, wie wir damit umzugehen haben. An David können wir uns festhalten.
Dieses Herzstück der Geschichte fehlt im Predigttext und damit bin ich bei den oben angesprochenen Auslassungen. Sind sie zu eingebettet in das Leben, das oft alles andere als feinfühlig daherkommt? Angst vor Klartext? Die kennt Nathan nicht.
Als Konsequenz prophezeit er: Die Folge deines Fehlverhaltens ist, dass von deinem Haus das Schwert, das du gegen Uria erhoben hast, in alle Ewigkeit nicht lassen soll, weil du von meinem Weg abgewichen bist. Die böse Tat fällt auf den, der sie verübt hat, selbst zurück. Der Mensch, der – meist unwissend und blind - gegen sich selbst wütet und sich selbst zerstört, ungeachtet der Folgen für seine Kinder und die Nachwelt. Nun soll von deinem Haus nicht lassen das Schwert ewiglich. Gott verhindert nicht, Gott greift nicht ein, Gott lässt Mensch gegen sich selbst wüten. So ist es bis heute. Mag jemand widersprechen? Nichts zu lernen? Wieso muss man das auslassen? Worin besteht der Unterschied in menschlichem Verhalten zwischen vor 2000 Jahren und jetzt?
Und weiter prophezeit Nathan: Siehe ich will Unglück über dich erwecken aus deinem eigenen Hause und will deine Weiber nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei deinen Weibern schlafen soll an der lichten Sonne" (2.Sam 12, 10-11).
Das klingt herbe. Da haben die betreffenden Kirchenoberen – moralinsauer - wahrscheinlich gedacht: Das lassen wir lieber auch weg. Noch mehr sexuelle Ausschweifung ist an dieser Stelle der Gemeinde nicht zuzumuten. Ist es das? Haben sie da nicht – ganz Mann - mehr auf die nackten Tatsachen geschielt als auf die Botschaft, mehr Fleisch als Geist vor Augen, blind gegenüber der Realität?
Was Nathan ankündigt, passiert tatsächlich, das lernt man, wenn man ein paar Kapitel weiter liest, es erwächst Unglück aus dem eigenen Haus: Einer von Davids Söhnen, Absalom, verschwört sich gegen ihn, putscht und tut, was heute noch aktuell in solchen Situationen weltweit passiert: Er vergewaltigt die Frauen seines Vaters auf Anraten eines übergelaufenen Beraters (2.Sam 16, 21-23). Nicht aktuell? Warum stehen in der Bibel solche Greueltaten? Bibel ist Mensch wie er leibt und lebt. Bibel zensiert das Leben nicht. In der Bibel stehen die Greueltaten der Menschen, die sich in den 2000 Jahren seither nicht geändert haben. Wer will den ersten Stein auf diese Bibelstelle werfen?
Um was geht es also? Zum einen um Sex, um machtmissbräuchlichen, erzwungenen Sex, um Vergewaltigung als Kriegswaffe. Um männliche Gewalt, die Frauen aufgezwungen wird. Das dies nicht dem Gebot der Nächstenliebe entspricht, bedarf keiner Erläuterung. Es geht aber auch um Diebstahl, um das An-sich-Denken auf Kosten des anderen, das Stehlen der Wohlfahrt des anderen, um das Hintanstellen der Interessen des Nächsten, selbst wenn dieser einem freundlich gewogen ist und einen unterstützt. Es geht um die Heimlichkeiten, die Ränke, die geschmiedet werden, um seine eigenen Ziele zu erreichen: Denn du hast es heimlich getan; ich aber will dies tun vor dem ganzen Israel und an der Sonne." (2.Sam 12, 12). Alles kommt irgendwann ans Tageslicht, wird von der Sonne beschienen und muss diesen Schein aushalten.
Jesus formuliert es so: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer nicht zur Tür eingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder (Joh10, 1). Und es geht um die Konsequenzen: Gehe ich mit schlechtem Beispiel voran, gehen andere nach und ich kann mich nicht beklagen, auch nicht über die Kinder. David hat sich nie über Absalom beschwert, im Gegenteil, er hat schwer getrauert um dieses verlorene Kind und ist ihm immer wieder entgegen gegangen, oft zu eigenen Lasten. Auch das zum Lernen.
Lieber Luther, man hätte das Abscheuliche auch, wie der Predigttext es tut, verschweigen können. Damit wir uns damit nicht befassen müssen. Wieso tut es die Bibel nicht: Weil sie sonst ihren Zweck verfehlen würde. Damit wir an ihr unsere eigenen Greueltaten erkennen und am Beispiel lernen. Man schaue auf die Kriege und Vergewaltigungen in dieser Welt. Wer meint, Vielweiberei sei in unseren Breitengraden abgeschafft, schaut auf das Gesetz, nicht auf das Leben und die nackten Tatsachen. David hat sich Gott und dem Leben mit allen Konsequenzen demütig gestellt wie es ist. So sollten wir es auch halten.
Herzliche Grüße
Deborrah

Dienstag, 26. August 2014

Prediger

Lieber Luther,
wie bereits angekündigt hier der dritte Teil meiner Salomon-Triologie. Die Frage ist, was ist die Quintessenz Salomons bezüglich der - oder besser - seiner Weisheit? Wie bereits angedeutet,war Salomon sehr in seinem Selbstverständnis erschüttert, als Gott ihm die rote Karte gezeigt hat, weil er ihm untreu und ungehorsam geworden ist, er anderen Göttern nachgelaufen ist, zu verantworten hat, dass die Stämme Israels, die sein Vater David gesammelt hat, durch sein verantwortungsloses Handeln wieder zerstreut wurden. Das musste einen wie Salomon, der sein Leben lang für Weisheit stand, treffen. Seine gesammelten Lehren aus diesem Desaster sind in dem autobiographischen Buch Prediger verarbeitet. Der Tenor: Ich war hochmütig und ein Narr, lernt von mir Demut! Aber der Reihe nach.
Der Anfang vom Ende Salomons ist schon ganz am Anfang besiegelt, in seiner Bitte, die er gegenüber Gott äußert, als er David beerbt und ihn die Größe des Erbes ängstigt. So bittet er Gott (1.Kön 3, 7-14): Ich bin ein junger Mensch und weiß weder meinen Ausgang noch meinen Eingang. Gib deinem Knecht ein gehorsames Herz, dass er dein Volk richten möge und verstehen, was gut und böse ist. Gott gewährt, aber er setzt hinzu, ich will dir ein langes Leben gewähren, sofern du auf meinen Wegen gehst, wie dein Vater David.
Diese Bitte war vermessen und hat ihn überfordert. Am Ende seines Lebens weiß Salomon das. Das gehorsame Herz hat ihm gefehlt. Das war der entscheidende Unterschied zu seinem Vater David. So kommt er denn auch selbst zu dem Schluss (Pred 9, 18): Weisheit ist besser denn Harnisch, aber ein einziger Bube verderbt viel Gutes. Sein Blatt hatte einige Buben, all die fremden Götter, die er anbetete, deshalb hat sich sein Blatt auch entscheidend gewendet und er am Ende alles verloren.
Seine Lehre daraus (Pred 5, 1-7): Bewahre deinen Fuss, wenn du zum Hause Gottes gehst, und komme, um zu hören. Sei nicht schnell mit deinem Mund, lass dich von deinem Herz nicht verführen, um etwas zu bitten, das für dich zu groß ist. Denn wo viel Sorgen ist, da kommen Träume und wo viele Worte sind, da hört man Narren. Wenn du Gott ein Gelübde tust, mit ihm einen Bund schließt, so halte ihn. Er hat keinen Gefallen an Narren, die ihr Versprechen nicht halten. Es ist besser, du gelobst nichts, als dass du deinen Eid nicht hältst. Halte deinen Mund im Zaum und sprich vor dem Engel nicht: Es ist ein Versehen. Deine Lüge erzürnt ihn, er wendet sich ab und das Glück verlässt dich. Wo viel Träume sind, ist viel Eitelkeit und (zu viele) Worte. Sei demütig und gottesfürchtig.
Salomon ist seine Weisheit zum Verhängnis geworden: Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Gram; und wer viel lernt, der muss viel leiden (Pred 1, 18). Wie Faust sucht er, was die Welt zusammenhält und kommt am Ende zu dem Ergebnis, dass wir nichts wissen können, denn Gott tut alles zu seiner Zeit, man kann weder Anfang noch Ende wissen, man kann weder etwas hinzutun, noch wegnehmen. Alles was der Mensch tut ist vergänglich und hat keinen bleibenden Wert, was aber Gott tut bleibt ewig. Er herrscht über die Zeit und alles hat seine Zeit, das was war, was ist und was sein wird. Kein Mensch wird dies jedoch je fassen können, wie groß seine Weisheit auch sein möge (Pred 3, 11-17).
Salomon lässt sein Leben Revue passieren und seziert sich und seine eitle Wissenssuche nach Recht und Unrecht, nach Gut und Böse, nach dem rechten Leben, gnadenlos. Ich wandte mich um und sah: die Sinnenfreude, die Kultur, das Bauen und Schaffen, das Raffen und die Gier nach Reichtum. Aber, was nützt das alles, wenn ich am Ende meine Seele verliere (Pred 4, 8)? Frage nicht, was Recht und Unrecht ist, denn über den Mächtigen sitzt noch ein Mächtigerer (Pred 5, 8). Die Fülle lässt den Reichen nicht schlafen, sein Reichtum gerät ihm zum Schaden, es bleibt nichts in seiner Hand, er geht nackt, wie er gekommen ist. Alles, was er gerafft hat, vom Winde verweht (Pred 5, 13-16).
Es ist ein großes Unglück für Salomon, dass Gott ihm Reichtum, Güter und Ehre, alles was sein Herz begehrt, gegeben hat, aber nicht die Macht, all diesen Reichtum festzuhalten, sondern dass er an einen anderen übergeht, der davon profitiert (Pred 6, 1). Man hört den Schmerz Salomons förmlich, dass er das Erbe Davids an Jerobeam verspielt hat. Dies ist eine schwere Demütigung und Kränkung für ihn. So klagt er: Selbst wenn einer 100 Kinder zeugte (was in damaliger Zeit ein großer Reichtum war) und hätte ein langes Leben (was ihm Gott zugesagt hat), was nützt ihm das, wenn seine Seele sich nicht des Guten, das er getan hat, erfreuen kann und dann in Frieden gehen kann. Wie kann seine Seele jetzt noch satt werden? Was unterscheidet einen Weisen von einem Narren (Pred 6, 6-8)?
Demut ist Salomons Antwort. Ein Mensch kann nicht hadern mit dem, der ihm zu mächtig ist. Gott kennt den Menschen beim Namen und alles ist bereits in seinem Buch verzeichnet. Wer kann sagen, was dem Mensch wirklich nützt und was nicht (Pred 6, 10-12)?. Der gute Ruf ist besser denn eine gute Salbe, der Tag des Todes besser denn der Tag der Geburt. Es ist besser in das Klagehaus zu gehen, als in das Freudenhaus. Gott hört alle Klagen und nimmt sie zu Herzen. Trauer ist besser als Lachen, da durch Trauer das Herz gebessert wird. Das Herz der Weisen ist im Klagehaus, und das Herz der Narren im Freudenhaus (Pred 7, 1-4). Salomon hat beide durchwandert. Seine Lebenswanderung ging vom Haus der Freude in das Haus der Klage und Trauer.
Zu fragen, ob die Tage der Freude besser waren als die Tage der Trauer, hält er für müßig. Weisheit hilft zwar, das Leben zu meistern. Es freut einen, wenn sie an die Kinder vererbt wird, sie hilft, sein Kapital klug einzusetzen. aber wahre Weisheit lehrt das Leben. Keine Weisheit kann gerade machen, was Gott krümmt. An guten Tagen, sei guter Dinge, die schlechten erachte auch als gut, denn Gottes Werke sind nicht vorhersehbar. Da ist ein Gerechter (wie ich) und er geht unter mit seiner Gerechtigkeit (wie ich) und ein Gottloser, der lebt lange mit seiner Bosheit. Deshalb, so sein bitteres Fazit, sei nicht allzu gerecht und allzu weise, dass du dich nicht selbst verdirbst, sei nicht allzu gottlos und sei kein Narr (wie ich), dass du stirbst zur Unzeit. Wer Gott fürchtet, der entgeht dem allem. Weisheit stärkt den Menschen mehr als Recht, denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, dass er Gutes tut und nicht dabei sündigt (Pred 7, 10-20).
Salomon will damit sagen: Ich wollte gerecht sein, verstehen, was gut und böse ist, ich wollte richten und habe dabei übersehen, dass ich selbst Unrecht getan und schwer gesündigt habe. Ich habe die Weisheit gesucht, sie blieb aber fern von mir. Alles, was da ist, ist fern und sehr tief, wie kann ein Mensch es ergründen (Pred 7, 23-24)? Ich war ein Narr, mir das anzumaßen. Er hat lange gebraucht, um bei seiner Achillesferse anzukommen, den Frauen. In einer Art Rechtfertigung erklärt er:
Ich wollte die Torheit und den Irrtum der Gottlosen erfahren und erforschen, ich fand: Bitterer als der Tod ist eine Frau, die einen einfängt, knebelt und deren Hände zu Banden werden. Wer Gott gefällt, der wird ihr entrinnen. Aber der Sünder wird durch sie gefangen. Sein nüchternes Urteil: Ich wurde gefangen, von einer nach der anderen. Ich suche immer noch nach den Gründen, warum ich in meinem Volk keine passende Frau gefunden habe. Das einzige was mir klar geworden ist: Gott hat die Menschen aufrichtig gemacht, sie aber hatten Verführungskünste (Pred 7, 25-29). Er hat zwar die Rätsel der Königin von Saba gelöst, aber das Rätsel der Frauen scheint ihm bis zuletzt ein Buch mit sieben Siegeln gewesen zu sein. Die Eitelkeit hat gesiegt.
Wer hätte auch vorhersehen können, welche Konsequenzen das nach sich zieht? Deshalb rät er: Haltet das Wort des Königs und den Bund mit Gott. Niemand kann Gott herausfordern. Wer aber seine Gebote hält, der wird nichts Böses erfahren. Ein Mensch hat weder Macht über den Geist, noch über den Tag seines Todes. Ein Gottloser kann einen Gottlosen nicht retten. Wenn man einen Menschen über sich herrschen lässt, führt das ins eigene Unglück. Da Abwege nicht sofort bestraft werden, hält der Mensch nicht inne. Deshalb sollte der Mensch von sich aus Gott Ehrfurcht entgegenbringen. Die Gottlosen werden nicht lange leben, sie fahren in die Grube, auch wenn es kurzzeitig anders aussieht (Pred 8, 1-14).
Die praktische Anleitung für das tägliche Leben, die Salomon gibt und oft wiederholt, ist: Der Mensch kann nichts Besseres tun als essen, trinken und freudig der Arbeit nachgehen, die Gott ihm jeden Tag gibt. Das ist der (überschaubare) Anteil, die der Mensch hat (z.B. Pred 8, 15). Der Mensch kann den Weltenlauf nicht verstehen, je mehr er sucht, desto weniger findet er, egal wie weise er sich wähnt (Pred 8, 17). Lerne an mir: Ein wenig Torheit wiegt mehr als alle Weisheit und Ehre. Nur ein Narr macht viele Worte (Pred 9). Und einen Rat an die jungen Menschen: Denkt am Anfang schon an den Ausgang, damit euch nicht, wie mir, am Ende eine Rechnung serviert wird, die euch nicht gefällt (Pred 11, 8-10).
Lieber Luther, Salomon ist vom König, vom dem, der Gericht hält, zum Prediger geworden, um einen ähnliches Scherbengericht, wie bei ihm selbst, bei anderen zu vermeiden. Er will warnen, mit sich selbst als schlechtem Beispiel. Es stecken so viele Details und so viel (Alters-)Weisheit in dem Buch, dass ich hier unmöglich auf alles eingehen konnte. Ich musste mich auf das Wesentliche beschränken. Über kein Buch der Bibel – ausgenommen vielleicht die Offenbarung – ist so viel – gelinde gesagt - unweises geschrieben worden, wie über das Prediger-Buch, ohne Verstand und Zusammenhang. Stattdessen eitle Spekulationen darüber, wie "eitel" und "Haschen nach dem Wind" wohl zu übersetzen sind. Die Antwort ist einfach: So wie du übersetzt hast, das trifft den Sinn genau. Der Brief ist lang geworden, deshalb keine Auseinandersetzung mit dem Sinnigen und Unsinnigen, was über den Prediger im Umlauf ist. Salomons Weisheit spricht für sich.
Herzliche Grüße
Deborrah