Lieber Luther,
dieser Welt Weisheit ist eitel. Salomon hat das gelernt und in Demut angenommen, aber beileibe nicht jeder. Paulus schreibt im Korintherbrief: „Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue.“ Damit sind wir beim Predigttext für diese Woche (1.Kor 3, 9-15). Und ein paar Sätze später schreibt er: Der Herr weiß der Weisen Gedanken, dass sie eitel sind (1.Kor 3, 20). Er meint aber damit nicht sich, sondern die Korinther.
Aber, so möchte man ihm zurufen, frei von Eitelkeiten bist auch du nicht, lieber Paulus. Du verlangst von anderen, was du selbst nicht hältst. Die Korinther hatten ihre eigenen Ansichten. Paulus hält dagegen: Mein Wort und meine Predigt besteht nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern dient dem Beweis des Geistes und der Kraft, damit – so belehrt er sie – euer Glaube nicht auf Menschenweisheit fußt, sondern auf Gottes Kraft (1.Kor 2, 4).
Was hier zur Sprache kommt und den (griechisch-logisch) gebildeten Korinthern wohl aufgefallen ist: Paulus argumentiert in nicht nachvollziehbaren Pseudologiken. Wenn er seine Rede mit „Sintemalen“ anfängt oder wenn er argumentativ in Schwierigkeiten ist, nicht mehr weiter weiß, deshalb seine typisch suggestiven Fragen im Konjunktiv stellt, ist Vorsicht angebracht. Er stellt etwas als logisch in den Raum, was nicht logisch ist, er führt Scheinbeweise, die – mit fleischlich menschlich beschränkter Weisheit betrachtet – keine Beweise sind.
Deshalb, lieber Paulus, ist man versucht zu sagen, auch wenn es an deinem Ego kratzt, du bist auch nur ein Mensch, der entsprechend seiner Einsicht und mit bestimmter Absicht schreibt. Man kann – und das waren die Korinther, die Epheser und nicht nur sie – auch anderer Auffassung sein, die Schrift anders auslegen, das Überlieferte anders interpretieren. Dagegen hast du mit aller Macht angekämpft. Deine Auslegung hatte zu zählen und sonst nichts. Mit deiner Arroganz hast du viele Widerstände herausgefordert: Keiner „der Obersten dieser Welt“ hat die heimliche, verborgene Weisheit Gottes erkannt, außer dir natürlich, denn: Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist und deshalb lehren wir mit Worten, die der Heilige Geist lehrt.
Mit Bezug auf Jesaja fragt Paulus weiter (1. Kor 2, 7-16): „Wer hat des HERRN Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen?“ und setzt hinzu: Wir aber haben Christi Sinn. Was aber steht bei Jesaja? Wer unterrichtet den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn? Wen fragt er um Rat, der ihm Verstand gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn die Erkenntnis und unterweise ihn den Weg des Verstandes (Jes 40, 13-14). Jesaja redet von der unvergleichlichen und vom Menschen nicht zu fassenden Weisheit Gottes. Paulus reklamiert ganz unbescheiden Gottes Weisheit für sich.
Paulus hatte ein Autoritätsproblem. Petrus, der von Jesus selbst und direkt eingesetzte Hirte, hatte wesentlich mehr Anerkennung als Paulus, der Konvertit, der ehemalige Pharisäer. Petrus war DER Jünger Jesus. Er hatte Jesus herausgefordert, war von ihm belehrt worden und schließlich von Jesus selbst erwählt worden. Da konnte Paulus nicht mithalten. Deshalb wurde er auch immer in Frage gestellt, musste um die Anerkenntnis dessen, was er lehrte, kämpfen. So argumentierte er geschickt: Ich habe den Heiligen Geist, deshalb rede ich auch in Christi Sinn. Wer anderer Meinung ist, ist noch in Sünde und nicht in Christi Sinn (1. Kor 2)
Wer ist Paulus, wer ist Appolos, fragt er? Ich habe gepflanzt, Apollos hat gegossen, Gott hat Gedeihen gegeben. Und dann kommt der Satz aus dem heutigen Predigttext: Ich aber habe den Grund gelegt als weiser Baumeister… (1.Kor 3, 6-10). Welchen Grund hat Paulus gelegt? Jesus Christus. Jesus Christus, der Grund von Paulus gelegt? Da kann man schon irritiert sein. Hat nicht Jesus gepflanzt? Ist nicht Jesus der Eckstein? War nicht Jesus der Baumeister? Was mit Gottes Wille und Wege? War Paulus nicht mehr und nicht weniger ein Arbeiter im Weinberg des Herrn wie jeder andere auch?
Doch, sagt Paulus, um gleich die Regeln des Wettbewerbs zwischen seiner und anderen Auslegungen festzulegen: Jeder wird seinen Lohn nach seiner Arbeit bekommen. Wird jemandes Werk bleiben, da er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen (=verpuffen), der wird Schaden leiden. Und damit die Verhältnisse auch klar sind, setzt er gleich wieder zu einer seiner typischen Fragen an, die den anderen für dumm verkauft: Wisst ihr nicht (ihr beschränkten fleischlich und nicht geistlichen denkenden Korinther), dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? So jemand den Tempel Gottes verderbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig. Niemand betrüge sich selbst. Welcher sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein (1.Kor 3, 8-19). Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt: Denn dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott, denn, so Paulus, es steht geschrieben: ‚Die Weisen erhascht er in ihrer Klugheit‘, mit Bezug auf Hiob. Was sagt aber Hiob tatsächlich: Er macht zunichte die Anschläge der Listigen, dass es ihre Hand nicht ausführen kann; er fängt die Weisen in ihrer Listigkeit und stürzt der Verkehrten Rat“ (Hiob 5, 12-13).
Das Verhältnis von Paulus zu den Korinthern war schwierig und belastet. Die Korinther haben ihre eigene Einsicht vom Glauben, die nicht immer Paulus Einsicht ist, und so versucht er sie auf seine Schiene zu bringen. Noch schwieriger war die Beziehung zwischen Paulus und den Ephesern. Wenn es darum ging, seine Position durchzusetzen, war er nicht zimperlich. Er will Kirche bauen, auf seiner Theologie fußend und alles was ihn daran hindert, argumentiert er irgendwie weg, oft suggestiv oder mit einer Argumentation, die nicht wirklich nachvollziehbar ist. Er setzt „Beweise“ in die Welt, die keine Beweise sind, fern ab von dem was in den Evangelien steht, als Setzungen des Heiligen Geistes. Er behauptet, was Jesus nie behauptet hat, jedenfalls steht es so nicht in den Evangelien. Paulus predigt sein eigenes Evangelium.
Paulus ist radikal. Wer ihm nicht folgt, folgt nicht Christus und wird verflucht: So jemand den HERRN Jesus Christus nicht liebhat, der sei anathema, das heißt, der sei verflucht (1.Kor 16, 22). Oder gar: Denn obgleich ihr zehntausend Zuchtmeister hättet in Christo, so habt ihr doch nicht viele Väter, denn ich habe euch gezeugt in Christo Jesu durchs Evangelium (1.Kor 4, 15). Und wehe, steht in unsichtbarer Klammer dahinter, ihr weicht von dem ab, was ich euch befohlen habe (1.Kor 11,17).
Der Brief an die Korinther beginnt mit: Paulus, berufen zum Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes (1.Kor 1,1). In allem was Paulus schreibt, stellt er sich auf einen Sockel, von dem ihn seither niemand mehr gewagt hat auf ein normal menschliches Maß herunter zu holen. Die Petrusbriefe beginnen demütiger: Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi (2.Petr 1, 1) oder bei Jakobus heißt es: Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi (Jak 1, 1). Paulus sieht sich als mehr, verpackt das, um nicht ganz unverfroren dazustehen, immer mit einem Satz scheinbarer Demut: Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum dass ich die Bildung der Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe vielmehr gearbeitet denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist (1.Kor 15, 9-10). Ein kurzer Rundumschlag des selbst ernannten Apostels gegen alle von Jesus ernannten Apostel.
Lieber Luther, man kann sich mit Blick auf die Erkenntnisse der heutigen Psychologie so seine Gedanken machen über Paulus. Die Metamorphose vom Saulus zum Paulus ist wohl nur zum Teil geglückt. Genauso verbissen, wie er zuvor die Christen bekämpft hat, so verbissen hat er als Christ für seine Theologie gekämpft. Genauso radikal, genauso unversöhnlich denen gegenüber, die anderer Meinung waren als er, man könnte fast sagen, so wie er als ausgebildeter Pharisäer im Dienste der weltlichen Macht über die Leichen der Christen gegangen ist, so radikal ist er nach seinem Seitenwechsel mit theologisch oder religiös anders denkenden umgesprungen. Seine Sündentheologie passt in dieses Muster der Ausgrenzung, genauso wie seine manchmal buchstäblich an den Haaren herbeigezogenen, logisch kaum nachvollziehbaren Ab- und Ausgrenzungsbemühungen gegenüber dem „Gesetz“.
Also hat Paulus gepredigt und also habt ihr geglaubt (1.Kor 15, 11). Lieber Luther, dieser Paulus hatte Sendungs- und Machtbewusstsein. Er wollte sich und seine Lehre, seine Theologie, seine Auslegung der Beziehung der Menschen zu Gott, durchsetzen. Er geht eigene Wege. Seine Lehre vom Heiligen Geist, seine Sündentheologie, die Kirche als der Leib Christi, seine Lehre von der Auferstehung, alles paulinisch. Auf Jesus kann hiervon so gut wie nichts zurückgeführt werden und wenig auf das Erste Testament. Auch dagegen grenzt er sich ab, während Jesus darauf baut. Er beruft sich so gut wie nie auf ihn oder das, was von ihm erzählt wird.
Lieber Luther, ich muss gestehen, ich lese, wie die Korinther und die Epheser, die paulinischen Texte oft mit einem gewissen Unmut: Zuviel, was nur bei Paulus steht und sonst nirgends in der Bibel. Was er schreibt, wirkt unter den anderen Texten wie ein Fremdkörper, zu viel führt in eine Sackgasse, zu viel was er sich und anderen argumentativ in der Luft hängend zumutet, verkleistert und vernebelt in der umständlichsten Sprache der gesamten Bibel. Es hat viele Monate gedauert, bis dieser Brief zustande gekommen ist, bis ich ihn mir zugetraut habe, weil ich weiß, dass ich mich in ein Wespennest setze. Es ist sicher nicht der letzte Brief, den ich dir über Paulus schreibe, aber der Anfang ist endlich gemacht. Es gibt noch viel über Paulus zu sagen, auch viel Positives, auch wenn das heute noch nicht so richtig zu Wort gekommen ist.
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
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