Lieber Luther,
die Geschichte von der fehlenden Herberge spielt nicht in Bethlehem, hat aber einige Gemeinsamkeiten. Sie wurde schon im Ersten Testament erzählt. Es klingt fast, als hätte sich die Lukaserzählung Teile dort ausgeliehen. Aber nur ausgewählte Teile. Es liest sich wie ein Krimi, mit tödlichem Ausgang (Richter 19, 1- 30). Genauso wie die Geschichte Jesu.
Ein Mann, ein levitischer Fremdling, wohnte am Rande des Gebirges Ephraim. Er hatte ein Kebsweib, d.h. eine Nebenfrau aus Bethlehem, heute würde man sagen, eine Geliebte. Nebenfrauen waren zu der Zeit üblich. Nachdem sie, wie du, lieber Luther, übersetzt, mit ihm gehurt hatte, ist sie zurück nach Bethlehem in ihr Elternhaus geflohen. Die Nebenfrau scheint den Mann verlassen zu haben.
Er zieht mit zwei Eseln und Knecht hinter ihr her, um sie zurückzuholen. Der Mann ist gekommen, um freundlich mit ihr zu reden, aber die Frau führt ihn zum Vater, welcher über sein Erscheinen erfreut zu sein scheint. Er bewirtet den Schwiegersohn wie es Brauch ist und nötigt ihn Tag für Tag zu bleiben. Fünf Tage ließ sich der Mann aufhalten und auch am 5.Tag versuchte ihn sein Schwiegervater weiter festzuhalten: Siehe der Tag hat sich geneigt und es will Abend werden, bleibe über Nacht. Du kannst noch morgen früh deines Weges ziehen. Hier hast du Herberge. Lass dein Herz guter Dinge sein.
Doch der Mann will sich nicht weiter aufhalten lassen. So nimmt er Frau und Esel und zieht los, obwohl es schon Nachmittag ist und es bald dunkel wird. Etwa 10 km weiter, nahe der Stadt Jebus, dem damaligen Jerusalem, schlug der Knecht vor, dort zu übernachten. Der Mann lehnt ab. In der „Fremden Stadt“ will er nicht übernachten. Die Stadt war noch „fremd“, weil der Stamm der Jebusiter dort noch wohnte, denn die Kinder Benjamin hatten die Jebusiter, die in Jerusalem wohnten, nicht vertrieben (Richter 1, 21).
Als sie etwa 8 km weiter gezogen waren, ging die Sonne endgültig unter und es war kein weiterkommen ohne Licht. Sie erreichten die Stadt Gibea , eine Stadt der Kinder Israel. Hier dachten sie, könnten sie sich sicher fühlen. Aber es kam ganz anders.
Sie mussten ihr Quartier auf der Straße aufschlagen. Die Benjaminiter wollten sie nicht beherbergen. Da kam ein alter Mann des Weges, der gebürtig auch vom Gebirge Ephraim war und folglich selbst ein Fremder in der Stadt. Der alte Mann „hob seine Augen auf“ (der Ausdruck wird im AT verwendet, wenn Gottes Geist aus jemandem spricht) und fragt: Wo willst du hin, wo kommst du her? Antwort: Wir reisen von Bethlehem in Juda an den Rand des Gebirges Ephraim. Da komme ich her. Ich bin gen Bethlehem gezogen und ziehe jetzt zum Hause des HERRN, und niemand will mich beherbergen. Wir haben alles bei uns, Stroh, Futter für die Esel, Brot und Wein für mich, deine Magd (= die Nebenfrau) und den Knaben. Wir liegen keinem auf der Tasche.
Da antwortete der alte Mann: Es soll dir wohlergehen. Alles was dir fehlt findest du bei mir. Er führte sie ins Haus und gab den Eseln Futter, sie wuschen ihre Füße, aßen und tranken miteinander. Und ihr Herz war guter Dinge.
Dann nimmt die Geschichte eine tragische Wendung:
Es kamen böse Buben aus der Stadt, umringten das Haus, klopften an die Tür und forderten von dem alten Mann: Bringe den Mann heraus, der in dein Haus gekommen ist, damit wir ihn erkennen. In der Bibel wird das Wort verwendet, um Geschlechtsverkehr zu umschreiben. Im Klartext heißt das also: Das Gesindel, das sich eingefunden hatte, wollte den fremden Mann vergewaltigen.
Der alte Mann ist in Not, er hatte dem Mann Wohlergehen in seinem Haus versprochen und so schlägt er ein Tauschgeschäft vor: nehmt stattdessen meine Tochter, sie ist noch Jungfrau, und die Nebenfrau des Mannes. Ich bringe sie heraus. Die mögt ihr zu Schanden machen und mit ihr tun, was euch gefällt. Aber vergreift euch nicht an dem Mann. Jedoch der Pöbel wollte den Mann. Da ergriff der Mann seine Geliebte und zwang sie hinaus. Die Rotte vergewaltigte sie und trieb die ganze Nacht ihren Mutwillen an ihr; als der Morgen rot anbrach ließen sie sie gehen.
Die Frau schleifte sich vor die Tür des Hauses, in dem der Mann übernachtete. Sie lag da, bis es licht wurde. Als der Mann morgens aus der Tür trat um weiterzuziehen, lag da seine Nebenfrau, die Hände auf der Schwelle. „Steh auf, und lass uns ziehen“. Aber sie antwortete nicht. Er lud sie auf den Esel, machte sich auf und zog in seinen Ort. Da nahm er ein Messer und zerstückelte sie in zwölf Teile und sandte sie an alle Grenzen Israels.
Wer das sah, sprach: Solches ist nicht geschehen und nicht gesehen, seit die Kinder Israel aus Ägypten gezogen sind, bis auf diesen Tag. Denkt darüber nach, gebt einen Ratschlag, und macht diesen bekannt.
Lieber Luther, erst einmal schaudert man, dem ersten Reflex folgend, zusammen. Das führt dazu, dass man die vielschichtige Botschaft übersieht. Worin besteht sie? Hat diese Geschichte etwas mit Weihnachten zu tun? Lieber Luther, die Antwort lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen. Nicht nur die Kinder Israel, auch ich muss erst nochmals darüber nachdenken. Morgen vielleicht mehr!
Herzliche Grüße
Deborrah
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