Lieber Luther

Lieber Luther

Sonntag, 21. September 2014

Saulus Paulus

Lieber Luther,
Jesus sagt: Der Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten (Lk 9, 56). Paulus schreibt: Ich schreibe euch Korinthern lieber all mein Missfallen an euch, damit ich, wenn ich zu euch komme, nicht die Schärfe brauchen muss nach der Macht, welche mir der HERR, zu bessern und nicht zu verderben, gegeben hat (2.Kor 13, 10). Mal sehen, wie Paulus das anfängt.
Ich bin, lieber Luther, weiter mit Paulus beschäftigt, ihm auf der Spur, nicht so recht wissend, wo mich das am Ende hinführt. Ich hatte dir schon von meinen Irritationen über den 1.Korintherbrief geschrieben. Was bringt auf der Spurensuche nun der 2.Korintherbrief? Weitere Irritationen, um es vorwegzunehmen. Was Paulus schreibt, bedarf der Einordnung in seinen Lebenszusammenhang.
Saul berichtet von seiner Berufung, er habe eine Stimme gehört, die zu ihm sagte: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken (Apg 9, 5; 26, 14). Was heißt das? Der Stachel, der in Sauls Fleisch steckte, war seine Vergangenheit als unerbittlicher Christenverfolger, als Werkzeug der Hohenpriester gegen die Christen. Ananias hatte seine Zweifel, als er Saul sehend machen soll. Gott sagt ihm: Er ist mein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen Namen vor die Heiden, Könige und Kinder Israels trage. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen (Apg 9, 15-16).
Saul fing an von Jesus zu predigen. Die Menschen liefen entsetzt von ihm weg, er war nicht authentisch für sie. Saul wusste aber aufzutreten. In Damaskus „trieb er die Juden in die Enge“, so dass das erste Mordkomplott, von dem berichtet wird, gegen ihn geschmiedet wurde (Apg 9, 25). Die Jünger retteten ihn in einer Nacht und Nebel-Aktion und brachten ihn aus der Stadt. Danach ging er nach Jerusalem und wollte sich den Jüngern anschließen. Die lehnten ihn jedoch ab, da sie ihm schlichtweg nicht glaubten, was er erzählte. Zu phantastisch, um wahr zu sein. Auch in Jerusalem machte er sich schnell Feinde, etwa unter den Griechen, so dass auch sie ihn sogleich an den Kragen wollten.
So komplementierten ihn die Jünger schließlich aus Jerusalem hinaus und brachten ihn auf den Weg Richtung Tarsus, seiner Heimatstadt: So hatte nun endlich die ganze Gemeinde in Judäa, Galiläa und Samarien wieder Frieden (Apg 9, 25-31). Die Apostel scheinen froh gewesen zu sein, diesen Unruhestifter, der überall nur aneckte, wieder los zu sein. Ein weiteres Detail ist hier zu erfahren, das für Saulus Paulus entscheidend ist: Er predigte „frei“ (Apg 9, 28). Was heißt das?
Paulus duldete, wie bereits festgestellt, neben seiner Lehre keine andere, auch nicht die der anderen Apostel. „Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht“. Gemeint sind vor allem die „hohen“ Apostel. Er wirft ihnen vor, dass sie das – sein - Evangelium verkehren. „Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ Gott habe ihn, so Saul, von Mutterleib an durch seine Gnade berufen, weshalb er seinen Sohn in ihm offenbare, dass er ihn durchs Evangelium unter den Heiden verkündigen sollte. Unter den Umständen, so erklärt er, sei es nicht notwendig gewesen, sich über das Evangelium mit „Fleisch und Blut“ zu besprechen. Deshalb sei er auch nicht gen Jerusalem gezogen, zu denen, „die vor mir Apostel waren“. Petrus habe er 15 Tage lang gesehen, ansonsten keinen der anderen Apostel, außer Jakobus (Gal 1). Worin die Gnade von Mutterleibe an besteht, ein unerbittlicher Christenverfolger zu sein, bleibt dabei Sauls Geheimnis. Saul fühlt sich vor Gott Jesus gleich. In ihm lebt Jesus weiter. Was er vor sich weg- und hinzuargumentiert, überzeugt seine Mitbrüder jedoch wenig.
Die von Jesus benannten „hohen“ Apostel haben das Treiben des Paulus misstrauisch beäugt, haben wohl auch Kundschafter ausgeschickt, um ihn zu beobachten. Aber ein Saul lässt sich nicht beirren. Er will den Apostelkollegen auch „nicht eine Stunde“ untertan sein. Und was ist schon Reputation: Von denen aber, die das Ansehen hatten, welcherlei sie weiland – zu Jesus Zeiten – gewesen sind: daran liege ihm nichts. Ihm sei das Evangelium an die Heiden gleich vertraut wie Petrus das Evangelium an die Juden. Schließlich hätten Jakobus, Kephas und Johannes ihm die rechte Hand geschüttelt und seien mit ihm übereingekommen, dass er zu den Heiden, sie aber zu den Juden gingen. Er scheint nicht auf die Idee gekommen zu sein, dass sie ihn einfach loshaben wollten.
In Antiochien, so rühmt sich Paulus, habe er sich gegen Petrus gestellt, der – der jüdischen Lehre gemäß – sich nicht mit den Heiden an den Tisch gesetzt hätte. Das sei Heuchelei, und der (böse) Petrus habe auch noch seinen getreuen Barnabas zu dieser Heuchelei verführt. Wahrscheinlich war Paulus der einzige, der Petrus Verhalten als Heuchelei angesehen hat. Was folgt ist ein weiterer Ausbruch gegen das Judentum, verbunden mit einer scharfen Abgrenzung zu den „hohen“ Aposteln und deren Lehre, deren Respekt gegenüber der jüdischen Lehre und dem „Gesetz“, gipfelnd in der finalen Behauptung: Denn so durch das Gesetz Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben (Gal 2). Das ist die paulinische Logik der Lagerbildung, einfachstes Schwarz-Weiß-Malen. Fast bin ich geneigt, ihn als Demagogen aus eigener Herrlichkeit zu bezeichnen. Das „Gesetz“ ist einer der Hauptreibungspunkte von Saulus Paulus. Und natürlich die „hohen“ Apostel, die meinen sie seien etwas Besseres als er. Da haben sie aber die Rechnung ohne ihn gemacht.
2.Korinther 11 ist eine Hasstirade gegen die „hohen“ Apostel. Saulus Paulus qualifiziert sie ab und rückt ihre Lehre in die Nähe des Teuflischen. Nur seine Lehre sei richtig, da er mit göttlichem Eifer lehre, und dagegen die (hohen falschen fleischlichen) Apostel verführten wie die Schlange Evas: Denn ich achte, ich sei nicht weniger, als die „hohen“ Apostel sind. Auch wenn er nicht der Rede (Jesu) kundig sei, so sei er doch nicht unkundig der Erkenntnis (2. Kor 11, 2-6). Wieso hört ihr andere Predigten, fragt er die Korinther. Wollt ihr mich damit erniedrigen und euch erhöhen? Ich habe euch (mein) Evangelium umsonst verkündigt, Zeitverschwendung. Ihr habt damit anderen die Zeit gestohlen, die stattdessen meine Predigt hätten hören können, setzt er die Korinther weiter unter Druck. Dasselbe Verhaltensmuster, von dem oben unverhohlen die Rede ist: Er hat nicht nur die Juden, sondern auch die Korinther in die Enge getrieben.
Oft fällt bei Saulus Paulus das Wort „Ruhm“, sein Ruhm. Nein, er wolle sich nicht rühmen, aber … , so das Strickmuster seiner Schreibe. So spricht er vom Ruhm, der ihm in den Ländern Achajas nicht verstopft werden soll (2.Kor 11, 20). Sein Tun rechtfertigt er so: Was ich aber tue und tun will, das tue ich darum, dass ich die Ursache abschneide denen, die Ursache suchen, dass sie rühmen möchten, sie seinen wir. Denn solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Das sei auch kein Wunder, denn der Satan selbst verstelle sich schließlich zum Engel des Lichts. Deshalb sei es auch nicht schwer, wenn sich seine Diener als Prediger der Gerechtigkeit verstellten. „Ich sage abermals, dass nicht jemand wähne, ich sei töricht; wo aber nicht, so nehmet mich als einen Törichten, dass ich mich auch ein wenig rühme. .. Sintemal viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Denn ihr vertragt gern die Narren, dieweil ihr klug seid“ (2.Kor 11, 12-18).
Wenn Saulus Paulus in Fahrt war, war er nicht mehr zu bremsen. Er hat sich so richtig in Rage geschrieben: Sind sie (die „hohen“ Apostel) Hebräer? Ich auch. Sind sie Israeliter? Ich auch. Sind sie Abrahams Same? Ich auch! Sind sie Diener Christi? Ich bin’s wohl mehr: Ich habe mehr gearbeitet, mehr Schläge erlitten etc., ich habe, ich bin , ich habe … (2.Kor 11, 22-28). Und übrigens, zwar ist mir das Rühmen nichts nütze, so will ich doch noch von den Erscheinungen und Offenbarungen reden … (2.Kor 12, 1-6). Und damit ich nicht überheblich werde, ist mir der Pfahl ins Fleisch gegeben, der Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlägt. Er habe zwar dreimal den Herrn angefleht, dass er von ihm weiche, aber Gott habe zu ihm gesagt, er solle sich mit seiner Gnade begnügen, denn seine Kraft sei in den Schwachen mächtig (2.Kor 12, 7-9). Was heißt das nun, lieber Paulus? Du hast den Teufel in dir?
Er sei zwar, so Saulus Paulus, unter all dem Rühmen zum Narren geworden, aber – damit die Schuldigen auch gleich benannt sind – dazu habt ihr Korinther mich gezwungen, den eigentlich sollte ich von euch gelobt werden, da ich nicht weniger bin als die „hohen“ Apostel. Ich habe die Zeichen und Wunder eines Apostels bei euch bewirkt, mit Geduld, mit Wundern, mit Taten. Was beschwert ihr euch eigentlich? Ich gebe mich hin für eure Seelen, ich liebe euch, werde von euch aber weniger geliebt. Ich habe euch nicht beschwert (d.h. bin euch nicht auf der Tasche gelegen), „sondern die weil ich tückisch bin, habe ich euch mit Hinterlist gefangen“ (2.Kor 12, 16). Ihr Korinther, ihr braucht nicht glauben, dass ich mich vor euch verantworten müsste. „Wir reden in Christo vor Gott; aber das alles geschieht, meine Liebsten, euch zur Besserung“. (2.Kor 12, 19). Der Pluralis Majestatis, den Paulus gern benutzt, entspricht seinem Selbstbild. Ich fürchte, fährt er fort, wenn ich zu euch komme, wird es nichts geben als Hader, Neid, Zorn, Zank, Afterreden, Ohrenblasen, Aufblähen, Aufruhr und mein Gott würde mich bei euch demütigen und ich müsste das Leid tragen über viele, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben, für deren Unreinheit, Unzucht und Hurerei (2.Kor 12, 20-21). Paulus trägt das Leid für viele … so sieht er sich, auf einer Stufe mit Jesus, Selbsterhebung.
Lieber Luther, das reicht erst einmal für heute. Ich habe genug. Ich könnte noch viele Seite mit anderen Textstellen füllen. Je mehr ich mich diesem Saulus Paulus nähere, desto mehr erschrecke ich. Hätte Jesus so ein Verhalten in seiner Umgebung geduldet? Niemals! Er hat Petrus aus nichtigerem Anlass zusammengefaltet. Was hätte er wohl zu Paulus gesagt?
Zeitensprung. Was wir heute über Menschen gesagt, die von sich auch sagen, der Heilige Geist habe zu ihnen geredet? Was würden wir zu einem Paulus heute sagen? Würden wir ihn für zurechnungsfähig halten? Würden wir ihn ernst nehmen? Würden wir seine Lehre als einen Glaubenspfeiler installieren? Würden wir eine solche Lehre rein aus dem göttlichen Off einer einzigen Person von der Kanzel lassen? Einen, der nicht wie Jesus auf das Alte Testament baut, sondern sich dagegen abgrenzt? Der es nicht für nötig hält, sich mit denen, die Jahre von Jesus direkt gelehrt wurden, ihn jeden Tag erlebt haben, die von ihm für ihren Apostelberuf ausgesucht und vorbereitet wurden, ausbilden zu lassen, sich aber dennoch auf Jesus beruft. Wieso, ist nicht so richtig erkenntlich. Eigentlich braucht er ihn in seiner Lehre gar nicht, er stört eher, bringt ihn in Erklärungsnot.
Lieber Luther, Paulus hat mit den ihm vom Heiligen Geist übermittelten eigenen Erkenntnissen ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal in der gesamten Schrift. Deshalb hat das, was er lehrt, nicht viel gemein mit dem, was in den Evangelien steht, außer, dass der Heilige Geist, ein gekreuzigter Jesus und Gott in seiner Lehre vorkommen. Würden wir diesen Mann heute nicht – vielleicht mit Recht – für einen Verrückten halten? Oder als einen Esoteriker? Lieber Luther, ich weiß, dass du sehr auf Paulus baust. Bei mir wankt inzwischen das Paulusgebäude bedrohlich. Ich fange an, nicht mehr zu begreifen, wieso Paulus in der kirchlichen Lehre der Rang eingeräumt wurde, den er hat. Er hat ja nichts verheimlicht, was er schreibt ist – millionenfach – unter die Menschen gebracht. „Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel zu lecken“, sagt Gott zu Saulus. Bei Gott ist alles vorhergedacht.
Herzliche Grüße
Deborrah

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