Lieber Luther

Lieber Luther

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Lutherdekade - Gedanken zum Reformationstag 2013

Lieber Luther,
erinnerst du dich? Wir zwei feiern heute Geburtstag. Genau seit einem Jahr korrespondieren wir. Vor einem Jahr habe ich dir geschrieben, aus meinem Zorn heraus, dass der Reformationstag deinen evangelisch – lutherischen Kirchen keinen Gottesdienst mehr wert ist. Ein inneres Bedürfnis, das ich verspürt hatte, aber ins Leere lief und sich deshalb in anderer Weise Bahn gebrochen hat.
Ich habe gerade auch nochmals die 95 Thesen, die ich vor einem Jahr aufgeschrieben habe, gelesen. Jede einzelne ist noch genauso gültig und stimmig für mich wie letztes Jahr, vielleicht noch mehr.
Heißt das, keine Veränderung? Das kann man nicht sagen. Was den Zustand deiner Kirche anbelangt, sicher nicht, da geht es eher weiter bergab. Deine katholischen Brüder erleben mit der eigenen Zunft ein Waterloo nach dem anderen. Wie ich letztes Jahr schon schrieb, krankt der Patient Kirche schwer an sich selber,
an den eigenen Abgründen,
am Geblendet-sein vom Tand. von fremden Göttern, von Blendern,
am verheerenden Zustand der Institution Kirche,
an der sittlich, geistlich und spirituellen Erosion der kirchlichen Rolleninhaber.
Äußere Schätze stehen vor inneren,
der Umgang der Amtskirche mit Kritikern und Abweichlern ist nach wie vor unsäglich.
Es dominiert entgeistigter Zeitgeist,
billig produzierte geistige Wellness von der Stange oder Internet.
Die Litanei ist unverändert seit letztem Jahr, angereichert mit aktuellem Anschauungsunterricht, in dessen Folge sich viele Kirchenmitglieder mit Grausen abwenden und die Beine in die Hand nehmen.
Auch du bist in vieler Munde, schließlich sind wir in der sogenannten Lutherdekade. Deiner Reformation zu gedenken, reicht schließlich kein Tag oder Jahr, man braucht schon ein Jahrzehnt. Vielleicht wirst du einfach auch nur in Beschlag genommen, um im Gespräch zu bleiben. Schon bei der Benennung dieser Dekade haben die Absetzbewegungen von dir eingesetzt, wie bezeichnend.
"Luther"-Botschafter will man nicht sein (Frau Käßmann) und von "Luther"-Dekade nur in Gänsefüßchen reden, man spricht von unangemessener Engführung auf eine Person – du bist gemeint. Und – wie kurios – das EKD-Projekt "Reformdekade" ja nicht mit der Luther-Reformationsdekade verwechseln. Nichts als Eitelkeiten, lieber Luther, aber immerhin restaurierte Kirchen und Plätze. Dir würde grausen, ob all der Indienststellung deines Namens für ganz unheilige Zwecke.
Die Großen kümmern sich unverändert nach wie vor um Prunk und schönen Schein, das Fußvolk ringt, ziemlich allein gelassen, um den Glauben, versucht in der Wüste und Einöde die suchenden Seelen nicht verhungern zu lassen, immer in Gefahr selbst zu verhungern. Das nährende Brot, die Unterstützer sind rar, es herrscht, insbesondere unter den Berufskirchlichen, viel geistige Dürre. Ein Ausdruck, der eher in deine Zeit passt, der aber den Kern genau trifft.
Als guten Aufhänger nimmt man dich gern. Heute beginnt ein neues Jahr in der ausgerufenen Luther(????)dekade mit dem Schwerpunkt "Reformation und Politik", innere und äußere Freiheit, Paradies und Politik. Was hat das Ganze eigentlich mit Glauben zu tun? Interessiert das Ganze eigentlich jemanden außerhalb derjenigen, die Teil der Fest-Inszenierung sind und derjenigen, die politikhalber mitspielen, die innerkirchlichen und außerkirchlichen Profiteure? Interessiert eigentlich die Masse der Gläubigen oder nur die Kasse?
Lieber Luther, letztes Jahr war ich voller Zorn über den Zustand deiner Kirche. Er hat sich nicht gebessert. Im Gegenteil. Wenn ich auf mein eigenes "Kirchenleben" blicke, so mag im Augenblick weder Kampfgeist, noch Andacht, noch Geist aufkommen, nur noch ein schwarzes Loch. Ich laufe nicht einmal mehr ins Leere oder auf, ich laufe gar nicht mehr hin. Eigentlich nur noch Trauer.
Wenden wir den Blick lieber ab. Schauen wir doch lieber in die Bibel. Da finde ich den Tröster, der hilft mir weiter, als der Blick auf Kirche. Deshalb Schluss nun, damit noch Zeit für das Wesentliche bleibt.
Reformatorisch gestimmt,
herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 27. Oktober 2013

Geisttaufe

Lieber Luther,
ich bin gestern mit meinen Gedanken zur Taufe nicht zu Ende gekommen. Ob man das je tut, ist die Frage. Wir erkennen immer nur Teile von Gottes Wahrheit, wir sind schon sehr begrenzt.
Das Geschehen bei Jesu Taufe sind ohne die Erklärungen, die Johannes gibt, dessen Auftrag die Taufe ist, die Taufe zu leben, zu erklären, zu verbreiten, kaum zu erfassen. Johannes lebt für die Taufe, Johannes lebt, um Jesus zu taufen, um Jesu Taufe in die Welt zu bringen. Gott bewirkt durch Johannes, dass die Taufe mit dem Heiligen Geist wird in der Welt. Jesus ist hier, wie in allem was zu Gott führt, derjenige, der uns vorangeht. Nach Jesu Taufe ist auch unsere Taufe mit dem Heiligen Geist möglich. Vorher war dies nicht der Fall. Jesu Taufe ermöglicht auch uns die Nachfolge. Jesu Taufe ist die Gottes Initiation der Geisttaufe. Deshalb sagt Jesus zu Johannes: Lass es geschehen.
Johannes bringt, um das Taufgeschehen zu erklären, zwei Bilder:
Der Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Die Spreu wird vom Weizen geschieden und ins Feuer geworfen.
Jesus schaut sich alle Bäume an, diejenigen, die keine Frucht bringen, werden an der Wurzel abgehackt. Der unfruchtbare Baum, das tote Holz, wird verbrannt, die Wurzeln bleiben. Der Baum kann neu treiben, hat eine weitere Chance, ein fruchtbarer Baum zu werden.
Jesus scheidet Fruchtbares von Unfruchtbarem, er schließt uns für Gott auf, drischt uns, so dass die Spreu von uns abfällt, lässt uns neu wachsen. Sein Feuer brennt ewig, so dass alle Spreu, alles tote Holz verbrennen kann.
Jesus tauft mit dem Heiligen Geist und mit Feuer. Beides ist nicht zu trennen. Das Taufwasser spült unsere Seelen frei von allem Müll, der sich auf sie gelegt hat und macht sie empfänglich für Gottes Geist, lässt Gottes Geist in sie einfließen, lässt uns in Gottes Geist eintauchen – das griechische baptizo – taufen – heißt eintauchen. Gottes Geist taucht in uns ein und wir in seinen Geist. Das heißt Geisttaufe. Das tatsächliche Eintauchen in Wasser bei der Taufe verbildlicht unser Eintauchen in Gottes Geist, das Wasser verbildlicht Gott als die Quelle des Lebens, reinigend und nährend.
Bei Jesu Taufe öffnet sich der Himmel, der Heilige Geist fließt in ihn ein, Gott sagt: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Das geschieht in Jesu Nachfolge auch bei unserer Taufe: Gottes Geist fließt in uns ein, Gott sagt zu mir, du bist mein liebes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe. Gott begründet unsere Kindschaft mit der Taufe. Die Taufe begründet den "direkten Draht" zu Gott, ob wir seine Stimme hören oder nicht. Sein Geist ist mit uns und wir sind Teil seines Geistes. Die Taufe ist das Herzstück des christlichen Glaubens, unserer Beziehung zu Gott in Jesu Nachfolge. Ohne Taufe ist das nicht möglich.
Deshalb ist auch das Letzte, was Jesus seinen Jüngern mitgibt:
"Geht nun hin und lehret alle Völker und
taufet sie im Namen des Vaters
und des Sohnes und
des heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" (Matth 28, 19-20).
Jesus hat bei der Taufe die Worfel in der Hand, scheidet das, was den Geist hindert, in uns einzufließen, mit der Taufe von uns ab, macht es möglich, dass Gott den Heiligen Geist in uns einfließen lässt. Diese Dreiheit begründet die Einheit in der Taufe, Trinitatis.
Lieber Luther, diese Erkenntnis hallt so stark in mir, ich möchte weinen. Weiteres ein anderes Mal.
Herzliche Grüße
Deborrah

Taufwasser

Lieber Luther,
es hat etwas gedauert, bis ich mich nach dem Ausbruch letztens wieder gefangen und zu meiner Sprache gefunden habe. Wenn mich auch ein Teil deiner Zunft manchmal zur Weißglut treibt, ändert das nichts an meinem Glauben. Wende ich den Blick weg von Kirchengemeinden und hin ins Leben, dann elektrisieren mich die Fragen, die Menschen zum Glauben stellen, insbesondere junge Menschen. Es ist schön, dass sie Fragen stellen, keine leichten Fragen, Fragen die ins Mark gehen. Wenn das keine Herausforderung ist? Wenn wir keine Antworten haben, ist es nicht verwunderlich, wenn sie sich abwenden. Um eine solche Frage geht es heute:
Wieso ist es erlaubt, seine Kinder taufen zu lassen, obwohl sie die Entscheidung nicht selber getroffen haben und eine Taufe nach dem Verständnis der Kirchen nie "rückgängig gemacht” werden kann, fragt eine Siebzehnjährige.
Bei der Diskussion, die sich um meine Antwort entwickelte, merkte ich, dass ich mich zwar schon verschiedentlich mit dem Abendmahl, aber, mit einer eher unerfreulichen Ausnahme, nicht mit der Taufe beschäftigt habe. Dieses Versäumnis will ich heute nachholen. Es ging um lutherisches und pietistisch-calvinistisches Taufverständnis, selbst auf Twitter gab es Bewegung. Diese Diskussion hat mich auf dem linken Bein erwischt.
Wenn ich ehrlich bin, will ich mich nicht lange mit theologischen Auseinandersetzungen aufhalten, das überlasse ich den Theologen. Mich interessiert mehr, was ich aus der Bibel lesen kann (Matth 3).
Johannes, der Gleichaltrige, erkannte Jesus schon, als sie beide noch im Bauch der Mutter schwammen. So sagte er auch, als er später taufend durch die Lande zog: Ich taufe mit Wasser zur Buße, es wird aber einer kommen, der euch mit dem Heiligen Geist und Feuer taufen wird, er wird mit der Worfel die Spreu vom Weizen trennen, seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit ewigem Feuer verbrennen (Matth 3,11). Genau das passiert mit der Taufe.
Zunächst: Wieso lässt sich Jesus überhaupt taufen? Johannes ziert sich, wie kann ein Mensch, der mit Wasser tauft, einen taufen, der mit dem Heiligen Geist tauft? Das ist irgendwie verdrehte Welt. Jesus sagt: Lass es jetzt (so sein)! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Was will er damit sagen? Lass es SEIN. Die griechische Wortwurzel (dike) liefert die Antwort: Das Geschehen soll weisen, es soll zeigen. Das kann es aber nur, wenn es geschieht. So gibt Johannes nach und Jesus steigt ins Wasser.
Wasser ist der Quell des Lebens. Mensch wird im Wasser, im Fruchtwasser. Wasser ist das Element, in dem er zu seiner physischen Gestalt heranwächst. Leben kommt aus Gott und wächst im Wasser, in kindlicher Unschuld und Reinheit. Ein ungeborenes Kind ist noch ganz beseelt vom Göttlichen. Wasser ist unsere erste Heimat, das Element, in dem wir uns geborgen fühlten, ohne zu wissen, was das eigentlich ist. Das Taufwasser erinnert an diese göttliche reine Heimat, bringt uns – nachdem wir angelandet sind – zurück in die göttliche Heimat.
Johannes ist wütend, als er die Pharisäer zur Taufe kommen sieht. Was fällt euch ein zur Taufe zu kommen? Und wenn ihr schon kommt, dann nehmt das ernst, bereut euer unheiliges Leben ehrlich, kehrt um, bringt in Zukunft Frucht. Glaubt nicht, dass Gott nicht ehrliche Reue und Umkehr von Pharisäertum unterscheiden kann. Er kann Weizen von der Spreu unterscheiden und er hat die Worfel in der Hand, die die Spreu vom Weizen scheidet. Jeder Weizen hat Spreu. Bevor der Weizen zu Brot werden kann, nähren kann, muss er von der Spreu befreit werden. Jesus drischt uns, damit die Hülsen, die Grannen, die Samenhüllen, die Spelzen von uns abfallen. Die Worfel ist die Taufe, das Taufwasser. Mit der Taufe sind wir bereit, gute Frucht zu bringen, können nähren. Jesus ist auch Mensch und darin keine Ausnahme. Sein Wirken, seine Wundertaten, beginnen bei der Hochzeit vonKanaan, sie beginnen nach der Taufe.
Johannes, der Wissende, sagt: Er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er im ewigen Feuer verbrennen. Mit der Taufe, mit dem Taufwasser fällt die äußere Hülle, die den fruchtbaren Kern verdeckt, und wir finden uns in Gottes Tenne wieder. Jesus sammelt mit der Taufe sein Volk auf seiner Tenne. Johannes taufte mit Wasser. In den Bibelübersetzungen steht, er taufte, indem die Menschen ihre Sünden bekannten. Das griechische Wort für Sünden ist Harmartia. Das heißt zunächst ganz neutral, das Ziel verfehlen (nach Elberfelder Studienbibel). Wann "Sünde" daraus geworden ist, vermag ich nicht zu sagen, aber Johannes hat sicher das gemeint: Kehrt um, ihr Pharisäer, ihr habt das Ziel verfehlt, ihr bringt, so wie ihr lebt, keine Frucht.
Und noch etwas sagt uns Johannes: Das Weizenkorn muss gedroschen werden, damit die Spreu von ihm abfällt. Die Spreu wird Jesus ins Feuer werfen und im unauslöschlichen Feuer verbrennen. Das ist eine gute Nachricht. Die Spreu ist der Teil des Weizenkorns, der keine Nahrung gibt, die Hülse, die nichtfruchtbare Hülle des Weizenkorns. Jedes Weizenkorn hat eine Hülle, jeder Mensch einen Teil, auf den er verzichten kann, der den Blick auf sein Innerstes, auf Gott verstellt, der verhindert, dass er nähren kann, zu guter Frucht wird. Mit der Taufe wird diese hinderliche Hülle weggespült und gibt unseren fruchtbaren Kern frei.
Taufe heißt eintauchen in Gott, in die Tiefe der Quelle des Lebens, in die Fruchtblase Gottes, in seinen Bauch, in seine Geborgenheit, in seinen Schutz. Er nährt mich mit seiner Nabelschnur. Mit der Taufe werde ich in Gott geboren, werde sein Kind.
Lieber Luther, wieso ist es erlaubt, Kinder taufen zu lassen, obwohl sie die Entscheidung nicht selbst getroffen haben. Ist das wirklich unsere Entscheidung? Jesus hat die Worfel in der Hand, nicht wir. Wie lang ein Korn gedroschen werden muss, bis die Spreu von ihm abfällt, ist unterschiedlich, aber der Tag wird kommen, an dem sie abfällt. Jeder Augenblick, der mich von Gott trennt, ist ein verlorener Augenblick, ist Spreu. Ich wurde getauft, als ich 4 Wochen und 1 Tag alt war und bei dir war es sicher nicht viel anders.
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Wie du wohl gemerkt hast, bin ich nicht bis zu den offenen Himmeln gekommen. Jesu Taufe passt nicht in einen einzigen Brief. Über die Taufe im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes schreibe ich dir – hoffentlich – morgen.

Montag, 7. Oktober 2013

Zensur

Lieber Luther,
heute ist Erntedank. Eigentlich ein Freudentag, ein freundlicher Tag, denn es ist ein Tag, an dem wir Gott danken sollten, für ein Jahr des Säens, Wachsens, Erntens. Eigentlich. Leider ist daraus ein Tag geworden, der mich wiedermal an der organisierten Form des Glaubens, an Kirche zweifeln und fast verzweifeln lässt. Wohlgemerkt, ich rede von Kirche, nicht Glauben. Vielleicht muss ich mich einfach auch mal wieder auskotzen und hinterher ist es wieder besser, auch wenn es bitterböse daherkommt, das ist mir bewusst.
Dass ich das hier wieder einmal niederschreibe, hinausschreie, öffentlich mache, ist Teil der Geschichte, meiner Auseinandersetzung mit Kirche, meinem Kirchenalltag. Ich muss mir darüber klar werden: Tue ich mir das noch an oder lasse ich es? Passt zur Tagesfrage bei glauben2017: Warum ist es oft so schwer "rüberzubringen”, dass Religion nichts Bedrückendes ist? Mich bedrückt der sonntägliche Gottesdienst oft sehr. Wieso gehe ich, wenn ich jeden Sonntag bedrückter aus der Kirche gehe als ich gekommen bin?
Die Kirche war heute schön geschmückt und recht voll. Das ist zunächst positiv. Jedoch, es war nur äußerer Putz, reine Fassade. Das liturgische Gebet zum Eingang war poetisch, aber aufgewärmt, bereits am Sonntag vorher im Einsatz, was unüblich ist. Ist zwar in Sachen Gottesdienstvorbereitung ökonomisch, das lange Wochenende lässt grüßen, für den regelmäßigen Gottesdienstbesucher, eine Spezies die zugegebenermaßen nicht sehr häufig anzutreffen ist, aber verwunderlich. Die Überlegung, dass sicher nicht viele Menschen an zwei Sonntagen hintereinander in die Kirche gehen, trifft sicher zu, aber zähle ich nicht? Bin ich nicht der Mühe wert? Was ist das für ein Signal? Oder aber war die Überlegung: Hört sowieso niemand zu, fällt sicher keinem auf, was sich auch nicht sehr wertschätzend anfühlt für die, die überraschenderweise nicht dem Kirchenschlaf fröhnen oder ihre Gedanken anderswo haben.
Der Predigttext heute leuchtete unsichtbar wie bei Nebukadnezar als Menetekel an der Wand:
Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden, sie werden von Motten und Rost gefressen, sammelt Schätze im Himmel (Matth 6, 19-21).
Auf der Predigt scheint die Energie nicht gelegen zu haben. Heraus kam eine grottenschlechte Predigt, bei der ich – was selten ist – Mühe hatte, dass meine Gedanken nicht abschweiften. An Erntedank, dem Dank an die Natur, war vom Internet die Rede, von Facebook. Eine Art Generalabrechnung mit der digitalen Welt. Statt Spiritualität wurde Internet gegeben.
Der Tenor war: Wieso muss man alles im Internet teilen, auf Facebook oder Google, insbesondere die Jüngeren. Ohne Facebook Profil, so denke die Internet-Schein-Gemeinschaft, sei es als ob man nicht lebe. Weil die armen Jugendlichen nicht im wirklichen Leben leben. Mal ein bisschen rausgehen, Freunde treffen. Platter und Unwissender geht es nicht mehr. Abgesehen davon, dass der Herr Pastor nicht auf der Höhe der Zeit ist – Facebook war einmal, es ist bei den Jüngeren so was von out, viel outer geht schon kaum mehr – haben sich die handvoll junger Menschen, die im Gottesdienst waren, sicher auf die Sweatshirtkapuze getreten gefühlt. Anstatt seine intimen Gedanken und Bilder zu posten, solle man sie doch lieber Gott mitteilen. Wie bitte? Was denkt sich angesichts einer solchen Anrede ein zwangsverpflichteter Konfirmand, andere Jugendliche sind ja –warum wohl? - nicht anwesend? Herr Pastor, Sie haben keine Ahnung davon, dass Jugendliche das Internet sehr sinnvoll zur Kommunikation nutzen und via Internet Lerngemeinschaften bilden, aktiv miteinander lernen, was in einem Flächenland wichtig ist und ein Segen. Schnell abhaken.
Oder waren die vielleicht gar nicht gemeint? So von gestern kann er doch unmöglich sein? Dann die Hauptkirchenbevölkerung der über 65jährigen? Die haben wahrscheinlich weiten Teils gar nicht verstanden, von was der Herr Pastor geredet hat. Oder wissen die, was eine "Cloud" ist? Auch nicht?
Da kommen wir der Sache schon näher. Ja, nicht nur die Jungen haben sich an den Pranger gestellt gesehen, auch ich. Ich veröffentliche viel und durchaus auch Gedanken, die mich beschäftigen. Wieso trage ich das nicht nur vor Gott, sondern auch in die Blogs? Das ist es offensichtlich, was stört.
Das kann man einerseits verstehen. Das ist unbequem, wenn man so einen Querulanten dazwischen hat, wenn jemand zuhört und auch noch wagt, das ein oder andere kritisch zu hinterfragen, auch noch so öffentlich. Oder halböffentlich, schließlich ist ja nicht bekannt, um welche Kirchengemeinde es geht. Das stört die Gemächlichkeit. Lieber im eigenen Kirchengemeinde-Saft braten, das ist berechenbarer und lenkbarer. Wo kommen wir hin, wenn das jeder tut? Eine Zumutung für jeden Pastor.
Wer denkt, Pastor regelt das im Gespräch, der irrt ganz gewaltig. Selten habe ich so viel Stummheit, Sprachlosigkeit, mangelnde Kommunikationsfähigkeit erlebt wie bei Pastoren. Die Mehrzahl steht hier bewusst. In Unternehmen kann man sich so viel Sprachlosigkeit nicht erlauben. Also adressiert der Pastor die Botschaft dort, wo er Hoheitsgewalt hat und der Zuhörer sich nicht wehren kann: im Gottesdienst, in der Predigt. Manchmal hätte man Lust einfach dazwischenzurufen: Was redest du für einen Unsinn. Vielleicht müsste man das einfach mal tun, das würde bestimmt Leben ins Gotteshaus bringen.
Andererseits ist es genau das, was an Kirche bedrückt. Es ist nicht die Schrift, nicht der Glaube, es ist die Organisation und das Personal der Organisation. Immer wieder bringt es mich an die Grenzen meiner Toleranz und Duldungsfähigkeit, immer wieder setzt der Fluchttrieb bei mir ein, immer wieder kommt der Zorn in mir hoch. Immer wieder muss ich mit mir kämpfen, um nicht auch mit den Füßen abzustimmen.
Die Qualität der Gottesdienste schwankt stark, je nach diensthabendem Geistlichen und selbst bei den besseren sind wirklich gute Predigten eher selten. Letzte Woche gab es eine sehr gute Predigt, heute eine miserable, letzte Woche sehr spirituell, heute unterirdisch. Was ich für gut halte oder nicht gut, darin bin ich höchst subjektiv, das nehme ich auch so für mich in Anspruch. Schließlich gehe ich in die Kirche, damit ich am Ende etwas daraus ziehe, sonst könnte ich es lassen. Die Mehrzahl lässt es schon lange und die Frage ist, ob ich dazugehören will oder notgedrungen muss. Wollen tu ich es sicher nicht, es ist die Frage, ob ich es noch aushalten kann.
Das Internet, mit seiner Freizügigkeit auch in Glaubenssachen, scheint manch einem kirchlichen Rollenträger ein Dorn im Auge. Wieso müssen die Leute so etwas Intimes wie ihre Gebete, ihre Gespräche mit Gott, ihre Glaubenserfahrung im Internet, in Blogs posten? Überflüssig, falscher Ansatz, ist die Botschaft, da verfehlt man Gott. Man möchte fragen: Was ist der Unterschied zum Buch? Es gibt doch auch Bücher, in denen Gebete, Schriftauslegungen, Glaubensfragen erörtert werden. Die werden doch auch verkauft. Der Unterschied ist, dass der Markt da unter wenigen aufgeteilt ist, die die Marktführerschaft haben, die beruflich Berufenen. Das Internet hat uns von diesem Auslegungs- und Deutungsmonopol befreit. Ein Trumpf, der sticht, wenn auch nicht unbedingt für das, was ich organisierte Kirche nenne.
Ok, wieso benutze ich das Internet, um mich mit Glaubensfragen auseinanderzusetzen, wieso erlaube ich mir, mich zu Glaubensdingen zu äußern, obwohl ich kein Kirchenprofessioneller bin, nicht Theologie studiert habe? Eine Anmaßung, so scheint es, für den ein oder anderen Theologen. Vorweg möchte ich schicken, dass natürlich nicht alles schwarz oder weiß ist. Es gibt sicher viele Geistliche, die eine hervorragende Arbeit machen, die vielen Menschen helfen. Dennoch drücke ich mich nicht, ich will die Frage – ganz subjektiv - beantworten, bewusst akzentuiert und bewusst politisch inkorrekt, um die Dinge auf den Punkt zu bringen:
Ich setze mich mit Glaubensfragen im Internet auseinander,
weil ich an euch Kirchenprofessionellen verhungere,
weil ich mich mit euch nicht auseinandersetzen kann,
weil eure distinguierten Bibelkreise kein Forum ist, in dem man sich wohlfühlen kann,
weil ihr Glaubensseminare macht, bei denen man vom Glauben abfällt,
weil eure Zirkel ausgrenzen,
weil ihr alles abblockt, was nicht ins gewohnte Schema passt,
weil ihr nicht authentisch seid,
weil man sich schon an der Kirchentür verwundert die Augen reibt, weil ihr schon vergesssen zu haben scheint, was ihr gerade verkündet und von den Zuhörern, sofern welche vorhanden waren, eingefordert habt,
weil ihr nicht vorlebt, was ihr verkündet,
weil ihr nicht so glaubhaft seid, dass man an eurem Beispiel lernen könnte,
weil ihr mehr Glaubenszweifel vermittelt als Glaubenserfahrungen,
weil ihr in Sachen Glauben lieber auf andere verweist als auf euch selbst,
weil ihr es nicht versteht, weite Teile der Gläubigen anzusprechen und einzubeziehen,
weil ihr längst die Definitionshoheit verloren habt, wie Kirche und Glauben zu leben ist, ihr es nur noch nicht richtig gemerkt habt,
weil man sich bei euch fragt, seid ihr wirklich berufen oder tut ihr euren Beruf,
weil ihr mehr Sozialarbeiter seid als Gottesarbeiter,
weil ihr den Menschen nicht vorangeht, keine Hirten seid,
weil ihr den Menschen nicht zeigt: hey, Glauben geht, ich zeig dir, dass es geht,
weil ihr zurückschreckt vor dieser Verantwortung, vor direkter Nachfolge,
weil ihr euch und eurem Glauben nichts zutraut,
weil man bei dem ein oder anderen das Gefühl hat, dass er Gott gar nicht kennt,
weil ihr stumm seid und euch den Fragen der Suchenden nicht stellt,
weil ihr euch lieber als Mitsucher gebt, denn als Wegweiser, falsch verstandene Verbrüderung,
weil Blog- und Internetgemeinden viel lebendiger sind als eure Kirchengemeinden,
weil sich die Gläubigen längst – dank Internet – zu ortsunabhängigen Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben,
weil sie sich gegenseitig helfen, das Loch zu schließen, die Fragen zu beantworten, die ihr nicht beantwortet,
weil wir dort welche finden, die ihre Glaubenserfahrung mit mir teilen.
weil ich allein mit euch im Glauben verloren wäre und mir viele Dinge selbst erarbeiten muss,
weil ich, was ich erarbeite, gern teile, vielleicht gibt es dem ein oder anderen einen Denkanstoß, vielleicht eckt es auch an, vielleicht bewegt es,
weil, wenn es auch nur einen einzigen außer mir bewegt, sich gelohnt hat und
weil sich die Auseinandersetzung lohnt selbst, wenn es nur mich bewegt, d.h.
weil ich Gewinn für mich aus dieser Auseinandersetzung ziehe,
weil ich es nie so strukturiert, genau und systematisch tun würde, wenn ich nur denken würde, ohne zu schreiben, ohne zu veröffentlichen,
weil mich jede Veröffentlichung vorher zur Rücksprache mit Gott zwingt,
weil ich tun will, was in meinen Möglichkeiten steht,
weil ich weiß, was Glauben, Gotteserfahrung ist und davon erzählen will,
weil das Internet jedem die freie Wahl lässt, zu lesen, was ich schreibe oder nicht,
weil im Internet eine Wahlfreiheit besteht, womit ich mich auseinandersetzen will oder nicht.
Ob es passt oder nicht, ich lasse mich nicht schreib-mundtot machen, ich lasse mich auch nicht von der Kanzel zensieren, auch wenn ich das abkanzeln nicht verhindern kann, es sei denn, ich bleibe dem Gottesdienst fern. Lieber Luther, dieser Beitrag erinnert mich irgendwie an die Wurzeln dieses Blogs vor knapp einem Jahr. Das macht mich eher traurig, denn eigentlich ist es zum Heulen. Ich denke, du bist da ganz bei mir. Mal sehen, ob ich wieder in die Kirche finde, vielleicht freut man sich auch, wenn man mich los ist....
Herzliche Grüße
Deborrah.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Warum glauben Menschen an Gott?

Lieber Luther,
zu deiner Zeit war – unabhängig, ob die Menschen in die Kirche gingen oder nicht – Glaube noch fest verankert in den Menschen. Dieser Anker ist in weiten Teilen der westlichen Kultur längst verloren gegangen, verschüttet worden. Die Menschen erkennen, sehen ihn nicht mehr, sie treiben ankerlos im Strom der Zeit. Viele Menschen können nicht mehr einfach glauben, sie fragen nach "Beweisen" für Gott. Warum glauben Menschen an Gott? Der gläubige Mensch wird hinterfragt, als ob er irgendetwas hätte oder nicht hätte, das der wissenschaftlichen Erklärung, des Beweises bedarf.
Mensch denkt, es besteht nur, was er mit seinen sieben Sinnen begreifen und mit seinen selbstgestrickten Denkmodellen nachvollziehen, "beweisen" kann. Heute erklären und beweisen wir die Welt so, und wenn das wissenschaftlich überholt ist, beweisen wir sie eben anders. Wir beweisen, wie und was wir gerade vermögen oder eben nicht. Heute ist die Erde eine Scheibe, morgen eine Kugel. Psychologisch-soziologisch-historisch-naturwissenschaftliche Erklärungsversuche sind nichts als begrenzte Versuche, die die Zeit nicht überstehen und Glaube als Ganzes nicht erklären können, so wenig wie sie den Menschen als Ganzes erklären können. Wenn noch nicht einmal Mensch, der irden fassbar ist, in seinem ganzen Sein konsistent "beweisbar" ist, wie wollen wir Gott "beweisen"? Hierin sind dem Menschen in seiner ihm innewohnenden Beschränktheit natürliche Grenzen gesetzt.
Gott braucht keinen Beweis in diesem menschlich wissenschaftlichen Sinn, auch nicht im historischen Sinn. Er zeigt sich in einem und wirkt im Alltag erlebbar. Die Bibel erzählt davon, in Gleichnissen, Bildern, wahren Begebenheiten. Wer in der Bibel Historie sucht und nicht Gott, verfehlt die Botschaft. Glauben hat keinen Beweis, Glauben braucht keinen wissenschaftlichen Beweis oder Begründung. Glauben braucht Weisheit und Verstand. Wer einen Beweis braucht, glaubt nicht.
Die Frage, warum Menschen glauben, ist eine Frage nach dem Grund. Sie meinen, alles was existiert, müsse einen nachvollziehbaren Grund haben, fassbar, beweisbar sein. Diese Frage stellen typischerweise Menschen, die nicht glauben. Sie fragen aber nicht, wieso glaube ich nicht, sondern, wieso gibt es Menschen, die glauben. Sie suchen die Antwort beim anderen anstatt bei sich selbst. Sie kehren die Beweislast um, als ob Glaube eine Rechtfertigung brauche, eine Begründung, Nichtglaube aber nicht. Sie denken, wenn diejenigen, die an Gott glauben, es nicht so beweisen können, dass ich das auch glaube, dann glaube ich nicht, dass Gott da ist, existiert. Wer glaubt wird dann gerne schnell in die Ecke und in eine Schublade gesteckt, ganz so als leide der Gläubige unter einer Krankheit. Aber vielleicht ist es ja gerade umgekehrt?
Menschen, die glauben, brauchen für sich keine Rechtfertigung für den Glauben. Für Menschen, die glauben, stellt sich die Frage, wieso sie glauben, nicht, weil Gott sich ihnen gezeigt hat. Gott ist da, Gott leitet und begleitet. Gott wohnt im GRUND ihrer Seele. Sie spüren diesen Grund. Sie erkennen ihn als den einzigen Grund. Aus diesem Grunde glauben sie.
Für Menschen, die glauben, ist Gott an sich ganz natürlich vorhanden. Es scheint eher so zu sein, das für diejenigen, die nicht glauben, diejenigen die glauben, ein Stein des Anstoßes sind. Sie stoßen auf Menschen, die sich hierin grundlegend von ihnen unterscheiden. Sie sehen anders, denken anders, haben andere Werte. Das stößt die Gedanken beim Nichtgläubigen an. Gott eckt an und fordert heraus, zeigt ihm seine menschlichen Denk-, Seh-, Erfahrungs-Grenzen auf. Gott fordert ihn auf, sich aufzuschließen und ihm die Tür zu öffnen. Er kommt gern, wenn man sie aufmacht.
Lieber Luther, eigentlich brauchen wir uns nicht über Glauben zu unterhalten. Du weißt was das ist, ich weiß es. Es gibt aber viele Menschen, die es nicht wissen. Die Frage ist, kann man "beweisen", dass Gott existent ist? Gotteserfahrung ist Erfahrungswissen, keine Wissenschaft. Deshalb können wir nur erzählen, was wir erfahren haben, was Glauben im Alltag heißt, ganz subjektive Gotteserfahrung, nicht pseudo-objektiver Gottesbeweis. Ich denke, mehr vermag der Prediger nicht, mehr ist uns nicht gegeben und nicht aufgetragen. Die Tür zu Gott suchen, muss jeder selbst, dann hilft er auch, sie aufzumachen. 
Ich weiß, dass deine Tür schon sperrangelweit aufsteht. Die Tage werden kühler. Pass auf, dass du dir keinen Zug holst.
Herzliche Grüße
Deborrah