Lieber Luther

Lieber Luther

Samstag, 21. September 2013

Determination - Selbstbegrenzung

Lieber Luther,
heute fasse ich ein heißes Eisen an. Angeregt wurde ich dazu durch eine Frage bei glauben 2017, an deren Beantwortung sich bis jetzt noch keiner gewagt hat. Es ist die Frage nach der Determination, unserer Determination durch Gott und – anscheinend entgegenstehend – unsere Willens-, Handlungs-, Entscheidungsfreiheit.
Das ist eine hochphilosophische Frage mit vielen Antworten. Eine letztendliche "wahre" Antwort gibt es nicht. Die Art der Beantwortung der Frage hängt daran, wie man sich zur "Determination" stellt, welchen Schulen und Denkmustern man folgt. Das heißt, unsere Antwort ist schon von unseren – bewussten oder unbewussten - Prägungen und Festlegungen geprägt. Im Folgenden ein paar Denkanstöße.
Existiert "Welt" tatsächlich in Ursache mit zwangsläufigen Folgen und Wirkungen oder ist das nur ein Denkschema menschlichen Ursprungs? Eine Hilfskonstruktion, um die Welt für uns erklärbar zu machen? Damit wir die Macht (oder Herrschaft?) über die Welt nicht verlieren? Weil uns das Angst macht, die Macht über die Welt zu verlieren? Ist das nicht ein Denkkonstrukt, das unsere Denkfreiheit einschränkt und in einer Weise kanalisiert, die uns den Blick auf das Universale, auf Gott, verstellt? Brauchen wir auf alles Antworten? Wieso? Gott ist metaphysisch. Jede Antwort, die ihn betrifft, lässt sich empirisch nicht überprüfen. Muss mich diese Diskussion, um Determination überhaupt interessieren oder determiniere ich mich da nicht selbst?
Geht das überhaupt: vollkommene Willens- und Entscheidungsfreiheit? Die neuere Hirnforschung sagt, vollkommene Willensfreiheit gibt es nicht. Sind wir nicht geprägt schon vom Mutterleib an, vom ersten Augenblick meines Entstehens? Werde ich eine Frau oder ein Mann? Habe ich das entschieden? Nein? Wer dann? Zufall oder höherer Wille? Muss ich das entscheiden? Wer zwingt mich dazu?
Die Frage ist also, wenn Gott ist, wenn Gottes Wille ist, wenn ich aus Gott komme und am Ende wieder ganz mit ihm vereint bin, wenn Gott in mir ist und er meine Wege leitet, bin ich dann von ihm bestimmt? Ist das, was ich tue in meinem Willen oder in seinem Willen? Bin ich seine Marionette, sein Werkzeug? Wo bleibt da meine Willens- und Handlungsfreiheit? Bestimmt Gott oder bestimme ich, was ich tue und lasse? Gibt es da eine feste Ursache – Wirkungsabfolge? Beten wir nicht "dein Wille geschehe"? Um die Frage auf den Punkt zu bringen: Ist Gott Ursache, bin ich vorherbestimmt Folge und im meinem Willen, meinen Entscheidungen und in meinem Handeln so bestimmt, das mein Leben genau so abläuft, wie es abläuft oder habe ich da auch noch eine Möglichkeit mitzubestimmen? Wobei man fragen kann, wieso ist das so wichtig für uns, dass wir selbst bestimmen? Dieser Frage will ich aber jetzt nicht nachgehen.
Diese Fragen nach der Determination hängen wie ein Damoklesschwert über dem Gläubigen. Soll ich Glauben Gott ist Realität oder ist er ein menschliches Konstrukt, um unser Wohlbefinden zu verbessern, etwas, an das wir uns klammern können, um uns von unserer Verantwortung für das Hier und Jetzt davonzuschleichen und uns die Angst vor dem Nichts nach dem Tod zu nehmen?
Gott ist unser Ausgangs- und Endpunkt. Heißt das zwangsläufig, wir sind von ihm in all unserem Tun, Entscheiden und Handeln von ihm bestimmt? Das das was ist, zwangsläufig so ist und nicht anders sein kann. Oder ist es nicht so, dass ich aus freiem Willen ihm nachfolge, Jesus nachfolge. Das Bild von Gott als Vater hilft uns bei dieser Nachfolge, da wir – idealerweise – mit Vater Liebe und Sorge verbinden. Ob Vater oder Mutter spielt hier absolut keine Rolle. Das ist eine Prägung auf "Eltern", die schon im Mutterleib beginnt. Nicht nur wir, sondern auch Tiere haben sie. Gott ist mein freier Wille, meine freie Entscheidung, mein freies Handeln. Alles an Gott und meinem Verhältnis zu Gott ist eben nicht determiniert, sondern ist vollkommen frei. Ich muss nicht an ihn glauben, ich muss ihm nicht nachfolgen. Auch in der Art, Gott zu denken, bin ich vollkommen frei. Keiner kann mich zwingen, einem kirchlichen Dogma, einer Lehrmeinung zu folgen, keiner kann mich zwingen für wahr zu halten, was in der Bibel steht. Ich bin darin frei und eben nicht determiniert. Ein Blick in die Realität zeigt, dass das auch der Lebenswirklichkeit entspricht.
Gott wirkt, bewirkt. Auch das ist für den gläubigen Menschen eine Tatsache. Aber ist das eine Ursache-Wirkung-Bestimmtheit des Menschen? Oder ist es gerade umgekehrt: Mensch bestimmt und Gott folgt? Eine interessante Umdrehung der Verantwortlichkeiten.
Der Mensch als Wesen und im Wesen Teil von ihm Seiender, entscheidet, handelt, gut oder böse oder in Abstufungen dazwischen, voll verantwortlich für all sein Tun. Gott erkennt dieses Entscheiden und Tun des Menschen in all seinen Folgen und ist beim Menschen in all seinen Entscheidungen und Folgen. Gott ist mit uns, was immer wir tun. Er folgt uns, auch wenn wir ihm nicht folgen. Gott hat uns volle Handlungs-, Entscheidungs- und Ausführungsvollmacht gegeben: Macht euch die Erde untertan. Er folgt uns mit seiner Liebe und Barmherzigkeit. Gott bewirkt an uns seine Liebe als Echo auf unser selbstverantwortliches Tun. Er muss dies zwangsläufig tun, will er uns nicht verlieren. Auch das ist Lebensrealität.
Gott ist die Liebe, das ist ein für den Glaubenden wahres Wissen. Nicht nur Gott ist die Liebe, auch der Mensch will Liebe erhalten, von anderen Menschen, von Gott, von einem selbst. Mensch will Liebe geben und wenn er Liebe gibt, ist er ganz bei sich selbst. Liebe geben und Liebe nehmen, aktivieren im Gehirn die gleichen Regionen, und nicht nur im Gehirn, auch in unserem Herzen. Das ist der Punkt, in dem wir ganz bei uns sind und ganz bei Gott. Unbestimmt, frei, ohne Abgrenzung, ohne Getrenntsein.
In Liebe zu leben – äußerer und innerer, ist das universale Prinzip, ist die Vereintheit von Gott und Mensch. Das ist der Schnittpunkt zwischen Mensch und Gott. In ihm sind Gott und Mensch eins, absolut in Übereinstimmung und Frieden miteinander. Es gibt in diesem Punkt keine Ursache und Wirkung, kein oben und unten, keine Zeit, keine Willens-, Handlungs- und Entscheidungsfreiheit und auch keine Notwendigkeit, diese zu haben. Dort gibt es kein Gott und ich, keine Getrenntsein, kein Dualismus, kein Ursache-Wirkungsprinzip. Es ist ein SEIN, ein EINS-SEIN, ein GEMEINSAM-SEIN. Ist das nicht das Paradies?
Lieber Luther, "Determination" kommt aus dem Latein und heißt "abgrenzen, "bestimmen", "begrenzen". All das ist Gott, die Beziehung zu Gott, unsere Bestimmung in Gott eben nicht. Kann Mensch das nicht lassen, sich selbst zu begrenzen? Sich hin zu Gott zu begrenzen, sich von ihm abzugrenzen. Es fühlt sich gut an Gott und Glaube in Freiheit, in gedanklicher Unbegrenztheit zu leben.
Gott ist mein Anfangs- und Ausgangspunkt, Gott wirkt, Gott ist die Liebe, in der es kein Getrenntsein, keine Bestimmtheit, keine Determination, gibt. Aber ich glaube du weißt das.
Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 14. September 2013

Gottes Lied vom Leben und Sterben

Lieber Luther,
oft denken wir, wo Gott ist, muss alles gut sein, insbesondere unser Leben, das Leben der anderen, wo Gott ist, muss Friede sein. Wenn wir uns umschauen, müssen wir erkennen, dass das nicht so ist. Welche Rolle spielt da Gott, in diesem Spiel des Lebens?
Gott lässt uns Mensch sein und steht mit uns das Menschsein durch. Mit Jesus tat er das fleischlich und konkret. Wie das auf einer abstrakteren Ebene geht, erklärt uns Gott im Lied vom Leben und Sterben, Gottes Lied, gesungen durch Mose (5.Mose 32, 1-43).
Es klingt in unseren Ohren zunächst martialisch, nach einem zornigen, rächenden Gott. Wenn wir es uns aber genau ansehen, erkennen wir, dass es das Gegenteil ist, es zeigt uns, wie Gott mit unseren Verfehlungen umgeht: Gott sichert uns seine Treue und sein Erbarmen zu, wie viel Unrecht wir auch tun, wie oft wir uns auch gegen ihn stellen, wie sehr wir auch fehl gehen.
Wenn wir dieses Lied des Lebens und des Sterbens in unsere Sprache übersetzen, erkennen wir, dass es noch genau so aktuell ist wie vor 3400 Jahren. Ich will mich da auch nicht weiter einmischen:
„Horch auf, du Himmel, ich will reden, und die Erde höre die Worte meines Mundes. Wie Regen träufle meine Lehre, wie Tau riesele meine Rede, wie Regenschauer auf frisches Grün und wie Regengüsse auf (welkes) Kraut!“ (2)
Hört und seht, der Fels ist vollkommen und all meine Wege sind recht. Ich bin ein Gott der Treue, egal wie ihr euch mir darbietet. Ihr versündigt euch gegen mich, ihr verweigert mir eure Kindschaft und macht euch damit selbst zum Schandfleck.
Aber ihr seid ein Teil von mir und ich ein Teil von euch. Ihr seid die Nachkommen Jakobs, den ich behütete wie meinen Augapfel und den ich unter meine Fittiche genommen und auf meinen Flügeln getragen habe. Das will ich auch euch, als seine Erben, tun, wenn ihr auf mein Wort hört und mich euren Gott sein lasst.
Aber, ihr seid eine verkehrte und verdrehte Generation, seit vielen Generationen, die auf mein Wort nicht hört. Ihr seid nicht treu, schafft eure eigenen Götter. Ihr werdet daran zu tragen haben - Männer, Frauen, Kinder, Alte, Junge. Und ich, Gott, lasse es zu, ich rette euch nicht vor euch selbst. Ihr werdet ernten, was ihr sät. Ihr werdet die Konsequenzen eures Tuns selbst tragen müssen. Alles Jammern wird euch nicht helfen, auch nicht, dass ihr mich für eure Taten verantwortlich macht, dass ich retten soll, was ihr verbockt habt.
Dennoch verlasse ich euch nicht, denn ich bin ein treuer Gott. Ich werde nicht zulassen, dass das Böse am Ende über das Gute triumphiert und das Böse sich für das Gute ausgibt.
Du, mein Volk, hörst auf keinen Rat, zeigst keine Einsicht, wie trostlos du dir deine Welt auch bereitest, wie groß die Zeichen auch sind, die ich schicke. Ich kann nicht alles gut heißen, was du tust, deshalb tue ich Zeichen, die nur ich tun kann. Seht sie, hört sie, handelt danach.
Ihr habt immer die Wahl, ihnen zu folgen oder nicht. Jeden Tag könnt ihr euch von neuem für mich entscheiden. Wenn ihr meinem Wort und meinen Zeichen nicht folgt, ist es eure Entscheidung, ihr müsst dann aber auch mit den Konsequenzen leben, im Hier und Jetzt, im Leben und im Sterben. Ich kann euch tot lassen, aber auch zum Leben erwecken, ich kann zulassen, dass ihr euch gegenseitig zerschlagt, aber auch heilen. Ihr solltet erkennen und anerkennen, dass nur ich das kann, so wahr ich ewig lebe.
Wenn du weise wärest, mein Volk, würdest du bedenken, dass du mit all deinem Tun einmal konfrontiert wirst. Dann wirst du dein Böses und Gutes erkennen und mit mir gemeinsam ansehen. Das werde ich dir und mir nicht ersparen, aber es reinigt und versöhnt uns miteinander. Und dann, wenn ich sehe, dass ihr erschreckt vor dem Bösen, das Böse loslasst und euch ihm verschließt, werde ich Erbarmen mit euch haben und ihr werdet erkennen, dass ich euer Gott bin und kein anderer Gott neben mir ist.
Dann wirst du, mein Volk, jubeln, dann werde ich jubeln, dann werden wir gemeinsam jubeln.
So wahr ich euer Gott bin.

Sonntag, 8. September 2013

Glauben

Lieber Luther,
vor mir liegt ein Senfkorn. Ich habe es vom heutigen Sonntagsgottesdienst mitgebracht. Es ist klein, trotzdem habe ich es nicht verloren. Was hat es mit diesem Senfkorn auf sich?
"Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn und sagt zu diesem Maulbeerbaum: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer! so wird er euch gehorsam sein." (Luk 17, 5-6).
Die Predigt fand ich schön und zunächst eingängig und konsistent. Die Apostel hätten gar nicht den Glauben gemeint, Glaube könne man nicht stärken. Glaube sei eine Beziehung zu Gott, hieß es da. Gott, Jesus an sich sei Glaube.
Die Fragen sind erst hinterher gekommen. Kann man Glauben wirklich nicht stärken, mehren, vertiefen? Widerspruch hat sich in mir geregt, deshalb, lieber Luther, musst du wieder herhalten.
Glaube besteht sicher auch in einer "Beziehung" zu Gott. Aber gerade Beziehungen muss man pflegen, man kann sie stärken, man kann sie auch schwächen, man kann sie beenden, sich nicht entwickeln lassen oder ihnen auch den Todesstoß versetzen. Beziehungen sind fragil und immer in Gefahr, die Beziehung zwischen Menschen, aber auch zu Gott.
Für Jesus kam die Frage der Apostel nicht überraschend, er kannte das schon: Wieso ist euer Glaube so klein, kommt es postwendend zurück. Der Kleinglaube der Apostel war bei Jesus oft Gegenstand seiner Belehrungen. Sie, die "Glauben" in die Welt tragen sollten, zu stärken, gehörte zum Kern der Mission Jesu, seine Apostel, seine Nachfolger, zu lehren undauf seine Nachfolge vorzubereiten.
Zunächst: Was ist Glaube? Sich über etwas zu verständigen, das so abstrakt und individuell ist wie Glaube, ist schwierig. Wie äußert sich Glaube? Eine allgemeingültige Antwort gibt es hier nicht, es gibt wahrscheinlich so viele individuelle Ausprägungen, wie es gläubige Menschen gibt. Deshalb gibt es wohl "den" Glauben nicht, sondern nur Glaube.
Wenn man anfängt auszusortieren, scheint zumindest klar zu sein, dass es Menschen gibt, die glauben und Menschen die nicht glauben – egal um welche Religion es sich handelt. Glaube ist also etwas, das an das Individuum, an den Menschen, an den jeweiligen Menschen, an den Einzelnen, dich, mich gebunden ist oder auch nicht. Glauben tut man oder eben nicht. Insofern ist das nichts, das man selbst beeinflussen kann. Glauben, glauben können an sich, ist zunächst eine göttliche Gnade. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man niemand einen Vorwurf machen kann, wenn er nicht glaubt. Gott weiß, dass erst am Ende der Zeit alle glauben werden. Insofern sieht er das wahrscheinlich wesentlich unaufgeregter als die Gläubigen, die die Zahl der Ungläubigen bejammern.
Wäre noch die Frage, ob man den Glauben durch fromme Übungen, durch Gebete, durch Bibellesen herbeibeten kann. Sicher nicht, das bewirkt eher das Gegenteil und endet im schlechten Fall in Psychosen. Man kann sich auf die Suche nach Gott machen, im Idealfall in und mit guter Begleitung, und er wird sich sicher finden lassen, aber auf seine Weise und nicht wie wir uns das idealisiert ausmalen.
Wie man aber glaubt, wenn man glaubt, in welcher Sicherheit, in welcher Tiefe, in welcher Unangefochtenheit, in welcher Stärke, mit welcher Berge versetzender Kraft, darin besteht ein Unterschied. Der Weg im Glauben ist lang, steinig und schmerzhaft. Man sollte sich das nicht so vorstellen, dass man eine Erleuchtung hat, wie Paulus, und dann ist man Apostel. So ist das sicher nicht. Glaube ist auch Arbeit, um Glaube muss man ringen, im Glauben ist man Anfechtungen ausgesetzt, Glaube muss man pflegen und gießen, sonst wächst das Senfkorn nicht. Glauben muss man erfahren, erleben, jeden Tag. Es ist auch notwendig, seinen Glauben immer wieder zu hinterfragen, damit man nicht für Glauben hält, was am Ende Aberglauben ist. Aber genau das stärkt den Glauben und lässt einem im Glauben wachsen. Es ist die Anfechtung, nicht selbstgerechte Gewissheit. Selbst Jesus ist in seinem Glauben in der Wüste angefochten worden. In dem Fall hat die Seele Fastenzeit. 
Wenn die Jünger ihren Glauben klein fanden und gerne darin bestärkt werden wollten, ist das etwas, was für Menschen normal ist. Sie – und wir - sind nicht wie Jesus, sie sind nicht Gott, sie sind schwach und können nur versuchen, stärker zu werden. Sie bitten den um Hilfe, der allein helfen kann. Es zeugt von gesundem Realismus, dass sie sich ihrer Schwäche – auch im Glauben – bewusst sind, mit Jesus als Gallionsfigur jeden Tag vor Augen sowieso.
Im Glauben hat man eine Beziehung zu Gott, man vertraut sich Gott an, bekennt sich zu Gott, wirft sich ihm in die Arme, redet mit ihm, sitzt mit ihm zu Tisch. Dass die Jünger einen solchen Glauben, eine solche Glaubensbeziehung, hatten, steht außer Frage. Das ist, was Mensch aus sich heraus vermag: Sein Vertrauen in Gott setzen, an Jesus glauben und ihm nachfolgen. Das ist, was Jesus in seiner Brotrede gemeint hat. Das ist sozusagen der Glaubensalltag.
Das ist aber nicht das, was Jesus wirklich in Frage stellte mit diesem Senfkorn-Vergleich. Jesus meint hier einen ungleich größeren Glauben, einen Glauben, der Berge versetzen kann oder eben Maulbeerbäume.
Deutlicher wird dies bei der Heilung des Fallsüchtigen: Die Jünger versuchen nach dem Vorbild Jesu zu heilen, schaffen es aber nicht. Jesus herrscht sie an: "Ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen? Die Jünger fragen, wieso ihnen nicht gelungen sei, zu heilen. Die Antwort ist eindeutig: Wegen eures Kleinglaubens, "denn wahrlich ich sage euch, wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Hebe dich weg von hier dorthin! Und er wird sich hinwegheben und nichts wird euch unmöglich sein." (Matth 17, 17 ff). Jesus ist fast am Ende seines Weges und seine Jünger haben immer noch nicht den Glauben, der heilen lässt, sie sind kleingläubig. Das Beispiel, als Petrus über das Meer gehen will und versinkt, sagt nichts anderes (Matth 14, 30-31).
Es geht also um einen Glauben, der Dinge vermag, die außerhalb der menschlichen Möglichkeiten liegen, Berge oder Bäume versetzen allein, aus Glaube. Übers Meer gehen. Nichts wird euch bei diesem Glaube unmöglich sein, so sagt Jesus. Da stehen wir ganz klein vor unserer Angst. Das trauen wir uns dann doch nicht zu. Das Vertrauen in dieses Wort ist nicht groß genug, dass wir genug Vertrauen zu uns hätten, dem zu glauben.
In der Elberfelder Übersetzung bitten die Apostel Jesus auch , MEHRE uns den Glauben, das heißt: Gib zu dem Glauben, den wir schon haben, noch das Stück Glaube hinzu, das uns heilen, das uns andere heilen, das Berge versetzen, übers Meer gehen lässt. Es ist hier von einer Glaubensgröße die Rede, die uns – mich jedenfalls – erschauern lässt. Trauen wir uns das zu? Oder muss sich unser Glaube nicht doch noch mehren, stärken? Glauben wir Jesus und gehen los, gegen jeglichen Verstand, gegen jegliches Naturgesetz? Es gibt Menschen, die das können, es ist nicht unmöglich.
Was sagt uns die Symbolik des Senfkorns? Es gibt annähernd 400 Gattungen von Senf. Senf ist also nicht gleich Senf. Senf ist ein Kreuzblütler, das ist schon eine Symbolik an sich. Es gibt Arten, die als Wildpflanzen und auf Schutt wachsen, wild, unkultiviert, nicht domestiziert. Es gibt aber auch Arten, die als Nutzpflanzen, als Gemüse-, Würz-, Arznei- oder Futterpflanzen dienen. Auch hier, wie kürzlich schon vergleichbar bei dem Baumverweis, wird auf die Vielartigkeit in Gottes Reich, in dem Fall im Bild des Senfs, des Senfkorns, hingewiesen.
Das Senfkorn muss gesät werden, gehegt und gepflegt. Es kann unter Dornen fallen, auf Fels oder auf unfruchtbaren Boden, wie im Gleichnis vom Sämann beschrieben. Nur wenn das Senfkorn auf fruchtbaren Boden fällt, wächst und gedeiht es, so wie es bei Markus beschrieben ist, als die Jünger fragen, wie das Reich Gottes zu beschreiben ist und Jesus antwortet:
Es ist wie ein Senfkorn, das, wenn es auf die Erde gesät wird, kleiner ist als alle Arten von Samen, die auf der Erde sind. Wenn es aber ausgesät ist, geht es auf und wird größer als alle Kräuter und es treibt große Zweige, so dass unter seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können (Mar, 4, 30 ff).
So wird aus etwas, was zu Beginn das Kleinste ist, am Ende das Größte. Das Senfkorn ist der Glaube. Aber: Das Senfkorn braucht Zeit, sich zu entwickeln, zu wachsen, und es braucht die entsprechende Umwelt, damit es überhaupt wachsen kann. So ist es mit den Jüngern: Ihr Glaube ist zwar schon aus dem Senfkorn gewachsen, treibt und wächst, aber er hat noch nicht die Größe, dass er den Vögeln des Himmels eine Wohnung geben könnte. Er ist noch nicht so groß, dass er für andere eine heilsame Kraft sein kann, dass er Maulbeerbäumen gebieten könnte und sie gehorchen würden.
Der Maulbeerbaum steht hier als Symbol für den Menschen. Das Charisma der Jünger ist noch nicht so groß, dass sie die Menschen bewegen könnten, gar heilen. Der Maulbeerbaum galt als Symbol der Klugheit, als der Weiseste der Bäume. Wenn Jesus sagt: Wenn ihr nur so viel Glauben habt wie der kleinste aller Samen, das Senfkorn, dann vermögt ihr die Weisesten der Menschen aus ihrer Verhaftung zu lösen und sie würden "gehorchen", d.h. sie würden Jesu Wort nachfolgen. Seine Apostel und Prediger würden mehr können, als sie nur aus sich heraus vermögen. Jesus formuliert hier die Glaubensvoraussetzungen, die es – noch nicht zu diesem Zeitpunkt, aber später – den Aposteln doch noch möglich machte, größer als sie selbst zu sein, zu heilen, ohne zu wissen wie, das Wort in die Welt hinauszutragen, ohne in ihrer Mission zu scheitern.
Wie viel Zeit, wie viel Lernen notwendig ist, um zu so einem Glauben zu gelangen, hat Jesus in dem Weg gezeigt, den er mit den Aposteln gegangen ist. Es war ein hartes Stück Arbeit für ihn, in ihnen ihren Glauben so wachsen zu lassen, so zu mehren, so zu stärken, dass sie die Glaubensstärke hatten, die notwendig war, um die Botschaft in die Welt hinaus zu tragen und die Leiden, die ihnen dabei auferlegt waren, mit Demut zu tragen. Das konnten sie nur durch eine innere Stärke, zu der sie erst gelangen mussten. Ihr Senfkorn musste erst zu einem Heilkraut mit großen Ästen wachsen, in denen andere Geschöpfe sich bergen konnten.
Jesu redet in diesem Senfkornbild von der Zukunft: Wenn ihr so viel Glauben habt …. Ja, lieber Luther, bis wir so viel Glauben haben, dass im Vertrauen auf diesen Glauben auch das scheinbar Unmögliche möglich wird, dass wir über uns hinauswachsen können, wir unsere (Selbst-)Beschränkungen, unser uns Nichtzutrauen, hinter uns lassen können, wir Berge versetzen könnten im Glauben, das wird sicher noch dauern. Jedenfalls bei mir. Ich werde das Senfkorn aufheben, als Ansporn. Ob wir, lieber Luther, jemals Berge versetzen können?
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 1. September 2013

Himmelsleiter

Lieber Luther,
manchmal steigen wir die Lebensleiter hoch, hin und wieder bricht eine Sprosse und ab geht es nach unten, wenn man Pech hat ungebremst. Auf wundersame Weise erkennen wir dann aber, dass wir gar nicht fallen, sondern nur die Leitern gewechselt haben.
Die Geschichte von Jakob und Esau ist ein Beispiel hierfür (1.Mose 25-28). Jakob und Esau waren Zwillingsbrüder, schon gegeneinander kämpfend im Mutterleib. Esau war der wilde, der Instinkt Geleitete, der Naturmensch. Er kam rötlich behaart zur Welt und behaart blieb er. Jakob war der Folgsame, der Ziel-Gerichtete, ein „glatter“ Mann, dabei war er durchaus auch skrupellos.
Jakob versuchte – mit Erfolg – Esau sein Erstgeburtsrecht abzukaufen, was ihm auch gelang, mit einem einfachen Gericht aus roten Linsen. Esau kam von der Jagd, hatte Hunger und wollte von „dem Roten“, das Jakob gekocht hatte, essen. Jakob hat aber nicht brüderlich geteilt, sondern zur Bedingung gemacht, dass Esau ihm sein Erstgeburtsrecht dafür überlasse. Bei Esau war der Magen näher als der Verstand und so willigte er leichthin ein. Zunächst war das nur ein Handel unter den beiden, der Segen Isaaks, des Vaters, fehlte dazu noch.
Rebekka, deren Lieblingssohn Jakob war, hatte einen Plan, Jakobs Erstgeburtsrecht widerrechtlich zu legalisieren. Jakob zog Esaus Kleider und Fellhandschuhe an, so dass sich seine Hand wie Esaus behaarte rauhe Hand anfühlte. Rebekka kochte Isaaks Lieblingsessen, was diesen einschläfern und die Sache befördern sollte.
Isaaks Lieblingssohn war aber Esau. Er fühlte, dass er bald sterben würde und wollte Esau als seinen Erstgeborenen mit all seinen damit verbundenen Rechten segnen. Er schickte ihn deshalb, ein Wild zu schießen und ihm ein Mahl zuzubereiten, „dass ich esse, damit meine Seele dich segnet“.
Das war das Szenario, als Jakob vor Isaak erscheint. Isaak war blind, aber nicht dumm. Er wundert sich, dass Esau schon wieder so schnell von der Jagd zurück ist. Jakob lügt frech beim Namen Gottes: „Weil der Herr , dein Gott es (das Wild) mir (so schnell) begegnen ließ“. Isaak bleibt misstrauisch und will seinen Sohn betasten. Er erkennt: Deine Stimme ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus Hände. Er traute nicht der Stimme, er traute den Händen und so segnete er ihn und wurde von Jakob getäuscht.
Jakobs und Esaus Schmerz war groß, als sie den Betrug bemerkten, aber der Segen war ausgesprochen und nicht mehr rückgängig zu machen. Jakob war über Esau gesetzt. Es ist nicht verwunderlich, dass Esau Rachegedanken gegen Jakob hegte und dieser fliehen musste.
Ist das deine Gerechtigkeit, o Gott? Du belohnst einen Betrug? Nun ja, Jakob musste in der Folge 20 Jahre seinem Onkel dienen, bevor er sich wieder in die Heimat aufmachen konnte. Gottes Wege sind für uns nicht nachvollziehbar und wir können sie nicht nach unseren (wechselhaften) Moralvorstellungen bewerten, beurteilen oder gar verurteilen. Da würden wir uns über Gott setzen.
Vor diesem Hintergrund bettete sich Jakob auf der Flucht vor Esau im Staub von Haran unter freiem Himmel zur Ruhe, mit einem Felsstück als Kopfkissen, als sich ihm der Himmel auftat.
Eine Himmelsleiter erschien ihm in Traum, Engel die auf der Leiter herunter und hinaufstiegen, Himmel und Erde verbanden. Gott erschien ihm persönlich, um ihm eine Botschaft zu verkünden, die Gottes Programm für alle Zeiten ist (1.Mose 28, 13-15):
Dir und deiner Nachkommenschaft,
werde ich das Land, auf dem du liegst, geben
ihr sollt wie der Staub der Erde werden und
euch in alle Himmelsrichtungen ausbreiten,
In euch sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden.
Und siehe, ich bin mit dir, und
ich will dich behüten,
überall, wohin du gehst,
und dich in dieses Land zurückbringen,
denn ich werde dich nicht lassen,
bis ich getan, was ich zu dir geredet habe.
Das ist Gottes Botschaft an uns, stellvertretend, vor 4000 Jahren über Jakob an die Menschheit ergangen und immer noch gültig, tief im kollektiven Gedächtnis der Menschheit vergraben, in unserer Seele eingestaubt. Sie ist gültig für alle Geschlechter, selbst wenn man sie wegwischt wie Staub, als Staub wird sie wieder zu Erde und fruchtbar.
Gott verspricht Jakob: Mein heiliges Land werde ich euch geben, meine heilige Stadt, mein Haus. Menschen so zahllos wie die Staubkörner werden mir nachfolgen, das heißt, am Ende alle Menschen, egal von welchem Volk oder welcher Himmelsrichtung sie kommen. Durch den Segen, den ich auf dich lege, sind auch sie gesegnet. Auch wenn du in unbekanntes Land ziehen musst, dich unterwerfen, dienen, nicht alles nach Plan läuft, ich bin bei dir und werde dich behüten, wohin du auch gehst. Ich werde dich immer in mein Haus zurückbringen. Ich werde dich nicht lassen. Auch, wenn du Böses getan hast und noch Böses tun wirst. Ich bleibe bei dir, bis du in mein Haus zurückgekehrt bist.
Gott hat sich höchst selten in der Bibel direkt einem Menschen gezeigt, in solch unvergleichlicher Klarheit und Direktheit nur Jakob. Deshalb ist das eine der zentralsten Bibelstellen überhaupt. Gott hat seine Botschaft selbst verkündet, in einer weltumspannenden Gewissheit, die nur Gott haben kann.
Der äußere Rahmen zeugt davon und ist der Feierlichkeit des Augenblicks angemessen: die Himmelsleiter, die Himmel und Erde verbindet, die Engel, die auf- und niedersteigen, in stetem Dienste im Auftrag Gottes an den Menschen. Sie ist Teil der Botschaft Gottes:
Siehe, Himmel und Erde ist verbunden, durch viele Sprossen, die man rauf und runter gehen kann. Die Engel kennen diese Leiter und sie nutzen sie, wenn ich sie zu euch schicke. Ihr seid nicht allein, ich oder einer der Meinen ist mit euch, wir sind beständig im Einsatz für euch.
Jakob erkennt das: Hier ist heiliges Land, hier ist Gottes Haus, hier ist die Pforte zum Himmel.
Lieber Luther, ehrfürchtig und andächtig wie Jakob sollten auch wir werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, was dort eigentlich geschehen ist und vor allem, welche Botschaft uns Gott dort vermittelt: Ich lasse dich nicht. Auch wenn du fehlst. Jakob selbst ist hierfür ein beredtes Beispiel oder davor schon sein Großvater Abraham. Gott lässt uns nicht fallen, er behütet uns, auch wenn wir in die Irre ziehen.
Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du auch hingehst. Ich habe dieses göttliche Zusage seit ein paar Jahren auf meinem Armaturenbrett im Auto kleben. Wenn ich deprimiert, entmutigt, ratlos bin und mein Blick auf dieses Gotteswort fällt, bin ich augenblicklich getröstet. Es geht eine große Kraft von ihm aus. Wir sollten es uns an die Stirn kleben und in jeden Winkel unseres Herzens, damit wir die Lebensleiter besser hochkommen. Einen Klebestift lege ich bei.
Herzliche Grüße
Deborrah