Lieber Luther

Lieber Luther

Samstag, 30. März 2013

Wo ist Jesus am Karsamstag?


Lieber Luther,
Ich hatte dir ja schon geschrieben, dass die Karwoche eine Woche ist, die mich immer besonders schlaucht. Entschuldige bitte, wenn ich dich mit Briefen zudecke, wobei ich dir gar nicht so viele Briefe schreiben kann, wie ich eigentlich müsste, so viel spukt mir im Kopf herum.
Ich stelle dir heute eine Frage, über die du vielleicht auf den ersten Blick perplex bist. Was ist eigentlich am Karsamstag passiert? Wo war Jesus? Die Bibel gibt hierzu ohne weiteres Nachdenken keine offensichtliche Antwort. Predigten stehen ja am Karsamstag heutzutage nicht mehr auf dem Tagesplan, so kann man sich über die Frage hinwegschummeln und ich muss selbst eine Antwort finden.
Greifen wir das Matthäusevangelium auf. Die Antwort ergibt sich, indem wir uns in den Schmerz Jesu hineinfallen lassen, in die letzte Minute vor seinem körperlichen Tod.
Die Welt verfinsterte sich in dem Maße, indem sie sich in Jesus verfinsterte, das Erdenlicht sich aus ihm zurückzog. Sein körperliches Leben war zu Ende, gedemütigt, hilflos, zerschunden, nackt hing er am Kreuz, körperlich vollkommen ausgeliefert. Bevor sich der Mantel seines barmherzigen Vaters um ihn legte und ihn deckte, schrie er aus tiefster Seele: Eli,Eli, lama asabathani?
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Kein Erbarmen, keine Menschlichkeit unterm Kreuz? Mein Gott, mein Gott, graust es dir nicht vor deiner Schöpfung, deinem ungöttlichem Ebenbild, warum lieferst du mich so aus? Mein Gott, wieso? So hör mich doch, ich bin dein Sohn! Siehst du denn mein Leid nicht, hörst du nicht, wie meine Seele weint?
Der Schmerz über dieses Gericht und diesen göttlichen Ratschluss entriss seiner Seele das letzte Entsetzen über Gottes Schöpfung. Ein göttlicher Aufschrei, der die Welt und die Seelen derer, die noch nicht ganz abgestumpft waren, erbeben ließ. Ein Schrei, der die Welt in ihren Grundfesten erzittern ließ. Die Felsen zerrissen, die Gräber taten sich auf, "und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen." (Matth 27, 52). Nichts war mehr wie vorher.
Die bei Jesu Tod aus den Gräbern stiegen, waren diejenigen, die das Land der Verheißung nur aus der Ferne gesehen hatten, aber glaubten, dass sie nur Gäste und Fremdlinge auf der Erde sind. "Denn dieses solches sagen, geben zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen" (Hebr 11, 13).
Jesu Schrei hat sie aus den Gräbern geweckt, denn mit Jesus war es nun möglich in die ersehnte Stadt der Verheißung zu gelangen, Jesus hat mit seinem Schrei das Siegel aufgebrochen, das Tor stand nun offen. "Darum schämt sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott; denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet" (Hebr 11,16).
In diesen Worten liegt die ganze Tragik Gottes: Es gibt einen Teil seiner Schöpfung, der sein Wohlgefallen hat. Über den anderen Teil schämt er sich vor sich selber. Er schämt sich für seine eigene Schöpfung, er schämt sich wohl auch vor seinem Sohn. Seine aus dem Ruder gelaufene Schöpfung hat Jesu Leiden notwendig gemacht. Jesu scheitern und Ohnmacht war Gottes scheitern und Ohnmacht seiner tauben Schöpfung gegenüber.
Gott hat Jesu Schrei gehört. Er hat alles zusammenfallen lassen, was nicht in seine Stadt gehört. Er hat "mir ein Rohr gegeben, einem Stecken gleich" und sprach, stehe auf und miß den Tempel Gottes und den Altar und die darin anbeten" (Offenb 11,1). Das Maß war der Stecken des Kreuzes. Der Vorhang des Tempels zerteilte sich. Auf der einen Seite waren und sind diejenigen, die sich unter und hinter dem Stecken versammelten, auf der anderen Seite waren und sind diejenigen, die Gott nicht zu seinem Volk zählte und zählt.
Diejenigen aber, die auf der Nichtglaubensseite waren, und die auf hohle Felsen bauten, deren Fundamente zerrissen in tausend Teile. Um insbesondere diese zu retten, ist Jesus gekommen. Er ist zur Rettung der Schöpfung gesandt, nicht zu deren Vernichtung. Gott will seine gesamte Schöpfung retten, nicht nur einen Teil.
Und so sammelte Jesus die zerborstenen Teile in der Zeit zwischen seinem körperlichen Tod und seiner Auferstehung ein, nahm diese Sündenlast auf die Schulter, trug sie vor Gott und bat um Vergebung dieser Sündenlast. Der Heilland trug die zerborstene, die widerborstige Schöpfung nach Hause und machte sie damit heil.
Diejenigen Teile der Schöpfung, die er tragen musste, konnten selber nicht gehen. Sie waren blind, krank, Krüppel an Leib und Seele. Er versöhnte mit diesem Tun Gott wieder mit seiner eigenen Schöpfung. Jesus hat durch seinen Tod uns – all diejenigen, die jenseits des Glaubensvorhangs sind – die göttliche Vergebung erwirkt.
Erst nachdem er diese Last von den Menschen und vor Gott getragen hat, war die Welt versöhnt, konnte Gott verzeihen und uns wieder als Kinder annehmen. Jesus konnte erst auferstehen, als er sich von der menschlichen Sündenlast entlastet hatte. Mit diesem Sündenpaket auf der Schulter war eine Auferstehung nicht möglich.
Lieber Luther, das ist so etwas wie das Missing Link zwischen Tod und Auferstehung Jesu, aber ein für uns entscheidendes. An sich dachte ich, der Karsamstag sei ein furchtbarer, weil gottloser Tag, da Jesus tot und noch nicht auferstanden war. Aber ich muss jetzt feststellen, dass es ganz und gar nicht so ist, es ist das Gegenteil. Es ist der Tag, der uns entsündigt, an dem Jesus unsere Sünden für uns vor Gott trägt und sie dort endgültig für alle Zeit und Ewigkeit für uns ablädt.
Das ist der göttliche Sterbe-Akt Jesu hinter der Vergebung der Sünden. Damit dies möglich ist, ist Jesu Tod notwendig. Gott mag schon im Alten Testament keine Menschenopfer, schon gar nicht das seines Sohnes. Isaak musste auch nicht sterben. Jesus musste sterben, weil er nur sterbend unsere Sünden in einem einmaligen Akt vor Gott tragen und für sie einstehen konnte. Jesus musste sterben, damit unsere Sünden sterben können, um dies auch für uns zu ermöglichen. Jesus hat bei Gott einen Platz für unsere Sünden geschaffen.
Adam und Eva hat Gott wegen ihres Ungehorsams aus dem Paradies der Unschuld verwiesen. Mit Jesus hat er uns wieder das Tor geöffnet. Mit Jesus schließt sich der Kreis zur Schöpfungsgeschichte, Jesus entschuldet uns wieder und bringt uns wieder unschuldig zu Gott.
Heißt das, dass wir die Generalabsolution haben für alle Sünden, die wir getan haben und tun werden? Nein, das heißt es nicht. Solange wir auf der falschen Seite des Vorhangs stehen und nicht in einem willentlichen, bereuenden Akt im Leben oder im Sterben auf die richtige Seite wechseln, bleibt der Platz bei Gott für uns offen, aber unbesetzt.
Lieber Luther, da bleibt mir fast die Luft weg. Karsamstag, der bedrohliche Tag ohne Jesus, ist ein Tag voller Jesus. Salopp ausgedrückt erleichtert er sein Reisegepäck für die letzte Reise vor der Auferstehung, bevor er endgültig wieder ganz eins wird mit seinem Vater.
Gut, dass ich mich damit auseinandergesetzt habe. Dennoch, verwundert bin ich schon über das Resultat, allerdings auch nicht das erste Mal. Damit ist mir auch schon klar, über was ich an Ostern nachdenken muss.
Danke für dein offenes Ohr und
herzliche Grüße
Deborrah

Freitag, 29. März 2013

Stabat Mater - Marias Schmerz


Lieber Luther,
obwohl Marienverehrung ja nicht gerade evangelisch ist, sollte das Stabat Mater auch in der evangelischen Kirche einen Platz haben. Vielleicht kennst du es ja auch als alter Mönch. Es ist so um 1200/1300 entstanden, bevor die Kirchen sich teilten. Es ist sozusagen eine gemeinsame Wurzel.
Es sei allen Müttern und Vätern zugedacht, die ein Kind verloren haben, auch dir. Sie kennen den Seelenschmerz, den das verursacht und können mit Maria mitfühlen und mitweinen und umgekehrt. Der Schmerz findet im „Stabat Mater“ eine Heimat. Maria ist in diesem Schmerz unsere Schwester und eine Mutter, zu der wir unseren Schmerz tragen können. Sie weiß, von was wir reden, und sie weiß, wie bedürftig wir in unserem Schmerz sind – auch nach langer Zeit.
Stabat mater dolorosa
Iuxta crucem lacrimosa,
Dum pendebat filius.
Cuius animam gementem,
Contristatam et dolentem
Pertransivit gladius.
O quam tristis et afflicta
Fuit illa benedicta
Mater unigeniti!
Quae maerebat et dolebat,
Pia Mater, dum videbat
Nati poenas inclyti.
Quis est homo qui non fleret,
Matrem Christi si videret
In tanto supplicio?
Quis non posset contristari,
Piam matrem contemplari
Dolentem cum Filio?
Pro peccatis suae gentis
Vidit Iesum in tormentis
Et flagellis subditum.
Vidit suum dulcem natum
Morientem desolatum,
Dum emisit spiritum.
Eia mater, fons amoris,
Me sentire vim doloris
Fac, ut tecum lugeam.
Fac, ut ardeat cor meum
In amando Christum Deum,
Ut sibi complaceam.
Sancta mater, istud agas,
Crucifixi fige plagas
Cordi meo valide.
Tui nati vulnerati
Tam dignati pro me pati,
Poenas mecum divide!
Fac me vere tecum flere,
Crucifixo condolere,
Donec ego vixero.
Iuxta crucem tecum stare
Ac me tibi sociare
In planctu desidero.
Virgo virginum praeclara,
Mihi iam non sis amara:
Fac me tecum plangere.
Fac ut portem Christi mortem,
Passionis fac consortem,
Et plagas recolere.
Fac me plagis vulnerari,
Cruce hac inebriari
Et cruore Filii,
Flammis urar ne succensus,
Per te Virgo, sim defensus
In die iudicii.
Fac me cruce custodiri,
Morte Christi praemuniri,
Confoveri gratia.
Quando corpus morietur,
Fac ut animae donetur
Paradisi gloria.
Lieber Luther, ich glaube, auch der Schmerz über all das Geschehene, für das es keine Worte gibt, muss einen Ort haben, auch ihn muss man durchleben, ihn nicht abprallen, sondern durch einen durchfließen lassen. Das Wasser der Tränen dieses Schmerzes hat heilende Wirkung auf unsere Wunden, wenn auch Meere durchfließen müssen, bis die stärksten Schmerzen nachlassen.
Ohne dem Schmerz und dem Leid seine Zeit und seinen Raum zu geben, gleich zum Halleluja überzugehen, geht nicht. Jesus ist erst am 3.Tag auferstanden. Schmerz und Leid ist notwendig, um zum Ostermorgen zu gelangen. So halten wir diesen Schmerz aus in der Hoffnung, dass irgendwann der Ostermorgen kommt. Dass dieser kommt, sei ein Osterwunsch für all diejenigen, die es betrifft.
Hier geht es zum deutschen Text.
Gergorianisch in Latein:

Donnerstag, 28. März 2013

Wo ist hier Gott? Predigt zu Karfreitag


Lieber Luther,
ich schicke dir unten die Karfreitagspredigt, die ich letztes Jahr gehört habe. Es ist eine Predigt, von einem der weiß, was Karfreitag heißt. Ich werde sie mit Sicherheit mein ganzes Leben nicht vergessen, so eingebrannt hat sie sich in mir.
Was Karfreitag heißt, dem muss man sich erst einmal stellen und den Mut haben, dies auch noch zu äußern. Die Predigt so an Karfreitag zu halten, hat Mut und Kraft gekostet. Ich bin bis heute dankbar, dass ich sie hören durfte, obwohl sie mich fast zerlegt hat und ich sie bis heute kaum ertragen kann. Aber genau das ist Karfreitag: Man kann das Geschehen bis heute kaum ertragen.
Es ist eine Karfreitagspredigt, die dort hingeht, wo es schmerzt, ans Kreuz. Sie soll deshalb nicht vergessen sein.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Wo ist hier Gott? - seit Jahrtausenden hallt diese Frage über unsere Erde - gesprochen von schreienden und klagenden Lippen aus verzweifelten und verstummten Herzen.
Wo ist hier Gott? - diese Frage lässt die kostbaren Vorhänge unseres Glaubens zerreißen, wenn wir uns mit den Abgründen menschlichen Handelns und Verhaltens konfrontiert sehen, oder wenn wir fassungslos in eine menschliche Tragödie hineingeworfen sind.
Wo ist hier Gott? - Das ist auch die Karfreitagsfrage schlechthin.
In seinem Buch "Die Nacht zu begraben" hat der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel, selbst ein Überlebender des Holocaust, dieser Frage ein Gesicht gegeben - ein Kindergesicht.
Er berichtet darin von einer Exekution. Er schreibt:
"Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich.
Ein Kind vor Tausenden von Zuschauern zu hängen, war keine Kleinigkeit.
Der Lagerchef verlas das Urteil gegen zwei Männer und ein Kind.
Alle Augen waren auf das Kind gerichtet.
Es war aschfahl, aber fast ruhig und biss sich auf die Lippen. Der Schatten des Galgens bedeckte es ganz.
Drei SS-Männer dienten als Henker.
Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schlingen eingeführt.
„Es lebe die Freiheit!" riefen die beiden Erwachsenen.
Das Kind schwieg.
"Wo ist Gott, wo ist er?" fragte jemand hinter mir.
Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um.
Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager.
Am Horizont ging die Sonne unter.
„Mützen ab!" brüllte der Lagerchef.
Seine Stimme klang heiser.
Wir weinten.
„Mützen auf!"
Dann begann der Vorbeimarsch. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr. Ihre geschwollenen Zungen hingen bläulich heraus.
Aber der dritte Strick hing nicht reglos: der leichte Knabe lebte noch ...
Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf.
Und wir mussten ihm ins Gesicht sehen.
Er lebte noch, als ich an ihm vorüberschritt, seine Zunge war rot, seine Augen noch nicht erloschen.
Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen: „wo ist Gott?"
Und ich hörte eine Stimme in mir antworten:
„Wo ist er? Dort – dort hängt er am Galgen ..."
Dort hängt er - am Galgen.
Ja, das ist die Antwort des Karfreitags auf die Frage nach der Anwesenheit Gottes unter uns Menschen.
Es ist die abgründigste Antwort, die es auf die Frage, "Wo ist hier Gott?" überhaupt geben kann.
Ohne diese Antwort als abgründiger Hintergrund wird jeder Tabernakel zum goldenen Kalb.
Es ist wunderschön und ergreifend, Gott loben und danken zu dürfen und zu können, wenn wir voller Glück sind.
Es ist erhebend, ihn zu erfahren inmitten seiner Natur, beim Spiel der Wolken, im Konzert der Vögel und in der Sinfonie der Schöpfung.
Es ist anerkennenswert, ihm durch die regelmäßige Erfüllung der religiösen Pflichten die Ehre zu erweisen.
Es ist einfach, sich diese Frage gar nicht zu stellen und das Leben als von selbst verständlich zu nehmen, ohne dabei Gedanken an einen göttlichen Schöpfer zu bekommen.
Wo ist hier Gott?! - diese Frage halte ich für das große Vermächtnis des jüdischen Volkes an die Menschheit.
In keinem anderen Volk wurde diese Frage so leidenschaftlich gestellt.
In keinem anderen Volk wurden so unterschiedliche und oft auch widersprüchliche Antworten auf sie gefunden.
Die Gottesknechtslieder bei Jesaja, die bereits ein paar Jahrhunderte vor Jesus geschrieben wurden, zeigen Antwortahnungen.
Im vierten Lied vom Gottesknecht, das wir gerade als erste Lesung gehört haben, leuchtet die Erkenntnis durch, auf welcher menschlichen Seite Gott wirklich steht.
In seinem Brief an das jüdische Volk sieht der Verfasser des Hebräerbriefes die leidenschaftliche Solidarität Gottes mit den Menschen im Lebens- und Leidensweg Jesu auf den Punkt gebracht und verdichtet.
In Jesus hält Gott sich weder vom menschlichen Zweifel, noch von seinen Versuchungen, noch von den menschlichen Schwächen und Schmerzen und Hoffnungslosigkeiten fern.
Gott hält sich die menschliche Not nicht vom Leib.
Gott hält sich auch unsere Schmerzen nicht vom Leib.
Gott hält sich auch unsere Ohnmacht nicht vom Leib.
In Jesus hält Gott all das aus.
In Jesus ist er nicht nur solidarisch mit unserer Not.
Er stellt sich nicht nur auf die Seite der Notleidenden und Verzweifelten.
Er wird selber zum Notleidenden und Verzweifelten.
Hier ist er zu finden. Genau hier.
Im fassungslosen Abgrund der menschlichen Ohnmacht.
Im zugeschnürten Herzen angesichts der unmenschlichen Möglichkeiten und Taten so vieler Einflussreicher und Mächtiger quer durch alle Generationen und Kulturen.
Wo ist hier Gott? -
Mitten drin.
Mitten im Leid. Mitten im Schmerz.
Aber auch: Mitten in Deinem Leid. Mitten in Deinem Schmerz.
Mitten in meinem Leid. Mitten in meinem Schmerz.
Nicht als strafender Richter.
Nicht als willfähriger Henker.
Nicht als Zuschauer.
Nicht mal als Besucher.
Sondern er ist da als Schrei eines jeden Menschen,
als Tränen, als Gebet, als Bitte.
Gott ist da als mein Schrei, als meine Tränen, als mein Gebet, als meine Bitte.
In Jesus hat Gott durch Leiden hindurch Gehorsam gelernt! heißt es im Hebräerbrief.
Das ist der Grund des ewigen Heils.
Es ist seine Ohnmacht, die uns heilt, nicht seine Allmacht.
Gott weiß nicht nur um das Leid, er hat nicht nur Mitleid mit den Leidenden,
er leidet es selbst mit.
Das ist die ungeheuerliche Botschaft des Karfreitags, liebe Schwestern, liebe Brüder.
Hier, mitten drin, mitten drin im Leid, also auch mitten drin in unserem eigenen Leid leuchtet uns das Angesicht Gottes auf - und dadurch werden wir nicht nur, sondern sind wir heil.
Dies glauben zu lernen - durch allen Zweifel und alle Verzweiflung hindurch - ist das Vermächtnis, das weiterzutragen und in die Welt zu leben uns Christen aufgegeben ist.
Mitten drin im Leid unserer großen und auch unserer kleinen Welt leidet und hofft und bangt Gott selber mit.
Er lässt sich den Schmerz unter die eigne Haut gehen.
Als Jesus beim Tod seines Freundes Lazarus die verzweifelten Angehörigen sah fuhr es ihm, wie es wörtlich übersetzt heißt, in die Eingeweide.
Er kann wirklich mitfühlen bei unserem Protestschrei gegen den Tod.
Ja, er betet und bittet selber mit lautem Schreien und unter Tränen.
Cool bleiben ist seine Sache nicht.
Sich den Schmerz fern halten auch nicht.
Auch wenn uns die eben als Evangelium gehörte Leidensgeschichte nach Johannes Jesus als den zeigt, der aufrecht, entschlossen und würdevoll, ja schon göttlich entrückt den Weg des Kreuzes zu Ende ging. 
Hier bei Johannes erkennen wir Jesus als den göttlich Wissenden.
Da scheint das Menschliche an Jesus etwas übergeblendet zu sein.
Aber wir dürfen gewiss sein, dass ihm nichts Menschliches fremd ist - auch nicht das Allzumenschliche.
Und auch, dass er sich selbst das Unmenschliche antun lässt.
Das ist seine Antwort auf die Frage: Wo ist hier Gott?
Mitten drin, mitten drin im Leid,
auch mitten drin in unserem eigenen Leid leuchtet uns in Jesus das Angesicht Gottes auf - und dadurch sind wir heil.
Möge dies zu unserer Gewissheit werden -
und unser Leben prägen.
Amen.
(P. Jonathan Düring OSB, Predigt zu Karfreitag 2012)

Mittwoch, 27. März 2013

Von der Einsamkeit Jesu


Lieber Luther,
fast würde ich sagen: bald ist es soweit. Die Bedrohung, die Jesus verspürt hat, als er wusste, dass seine Zeit nun da ist, ist bis heute zu spüren. Sie bedroht uns noch heute, ist – wie alles was einmal war – heute noch in Raum und Zeit.
Ich weiß schon lange, was mich heute bedrängt und deshalb schreibe ich dir, um mir meine Bedrängung von der Seele zu schreiben. Es geht um die unendliche Einsamkeit Jesu in den Tagen als ihn seine engsten Begleiter verließen und seine Häscher näher kamen.
Wie unendlich allein muss er sich gefühlt haben?
Wie sehr muss ihn das, was auf ihn zukommt, bedrängt haben?
Wie sehr muss er sich einen Menschen gewünscht haben, der seine Angst mitträgt?
Wo waren seine Jünger und Jüngerinnen?
Wo war seine Mutter?
Wo waren sie alle?
Sie waren alle da und doch nicht da, haben geschlafen, haben weder gesehen noch gehört. Alle waren mit sich selbst mehr beschäftigt, als mit ihrem Nächsten. Er aß mit ihnen das Osterlamm und sie begriffen nicht, was sie aßen. Wachet und betet, betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt, aber sie hörten ihn nicht und verstanden ihn noch weniger.
In seiner Not suchte er die Einsamkeit, um mit dem zu reden, der ihn allein in seiner großen Not hörte. Seine Angst war aber so groß, dass er fast irre daran wurde, "Und es kam, dass er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde" (Luk 22,44).
Er hat angesichts der menschlichen Bösheit Blut und Wasser geschwitzt. Das sollten wir in der Klarheit, wie es da steht, auch aushalten. Auch dass Mensch Mensch völlig allein gelassen hat. Sie hingen an seinen Lippen, aber seine Bedürfnisse als Mensch erkannten sie nicht. Das geht auch uns heute noch an.
Jesus rang "mit dem Tod" und betete gegen ihn an. Sein Blut drängt hier schon die Erde. Bevor er physisch sein Blut vergießt, vergießt er es seelisch. Und Gott schickte einen Engel, der ihn stärkte. Er löste das eiserne Band der Angst, das seine Brust so einschnürte, dass er dachte zu ersticken. Der seelische Schmerz, den er verspürte, war mindestens so stark wie der physische später. Seelenschmerz kam vor körperlichem Schmerz. Jetzt war er bereit, den letzten Weg zu gehen. Gott gab ihm Stärke und Kraft. Seine Seele war vorbereitet.
Ab jetzt lief alles zwangsläufig und wie in einem Tunnel für ihn ab. Das Drehbuch hatte er schon im Kopf, nichts war überraschend.
Was kann uns trösten, uns helfen den Schmerz über das menschliche Alleinlassen Jesu, über das menschliche Versagen in der Anfechtung, angesichts der weltlichen Macht, angesichts der Not und des Elends des einzelnen, zu ertragen? Dieser Schmerz ist heute noch in der Welt, denn der Mensch hat sich in der Beziehung nicht gebessert.
Gott hat Jesus bereits seine Corona aufgesetzt, bevor er zur Schlachtbank ging, hat ihm zum König der Welt gemacht, bevor es auf sein Kreuz geschrieben wurde. Dies gab ihm die Kraft und die Würde, das was kam, wie ein König zu tragen. Die ihm so verliehene göttlichen Aura schützte ihn, so dass er die Welt, seine Jünger, seinen Verräter, seine Schergen, seine Richter, seine Verspötter, seine Mörder schon in der Halbdistanz zu seinem Vater wahrnahm.
Deshalb konnte er alles tragen wie ein Lamm, war stumm wie ein Lamm. Sein Vater war sein Hirte und hatte ihn auf die Schulter genommen. So konnte er sich verlassen, dass er nicht verlassen war, so konnte er das Leben loslassen und uns auf seine Schultern nehmen.
Oder mit dem Johannesevangelium (Joh 17,4): Gott hat ihn verklärt. Das heißt nichts anderes. Jesus war sich seines Vaters sicher. Das hat er in der äußersten Bedrängnis in Klarheit erkannt. Das hat in ihm die innere Bedrängnis geklärt. Das hat ihm – trotz dessen, was auf ihn zukam – den Blick von sich weg, wieder auf seine Jünger, auf uns, gewendet. Deshalb konnte er jetzt für uns anstatt für sich beten.
Die Einsamkeit war von ihm genommen und er war bereit seine Verantwortung als Gottessohn zu tragen, uns als Lamm auf seine Schultern zu nehmen. Jesus wird zu unserem hellwachen Hirten, während wir schlafen. Indem er seine Angst vor und sein Vertrauen in seinen Vater legt, wird er uns zum Vater.
Was schlaft ihr, wacht auf, betet, dass ihr nicht in Anfechtung verfallt. Eigentlich müsste dieses "betet" bei uns in den Ohren klingeln, jedoch, wir sind bis heute taub, schlafen bis heute unseren Schlaf und lassen ihn bis heute allein.
Wir müssen eigentlich nur tun, was er uns gesagt hat, in sein Gebet einschwingen, damit wir zu seiner Klarheit aufschwingen. Das meint er, wenn er sagt er verklärt seine Jünger und damit in ihrer Nachfolge uns. Wir müssen aber geistig wach genug sein, damit wir bereit sind.
Mit körperlicher Wachheit hat das nichts zu tun. Einmaliges eine Nacht durchzuwachen hilft da rein gar nichts, ist frömmeln, wenn man geistig schläft und nicht den Rest des Jahres wach ist. Die Anfechtungen sind eine tägliche Bedrohung und Herausforderung. Wollen wir Jesus nicht wieder allein lassen, müssen wir immer wach sein.
Das hat übrigens Jesus schon im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen zu vermitteln versucht (Matth 25,1-13): Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird.
Indem mir dieses Geschehens klar wird, schwingt mein Inneres um, von einem tiefen Schmerz und Mitleid mit Jesus und den überforderten Menschen, in tiefe Dankbarkeit.
Lieber Luther, es hat mir gut getan, das mit dir zu durchdenken. Lass uns doch anstimmen:
Wenn wir an andern schuldig werden und
Keiner unser Freund mehr ist,
wenn alles uns verklagt auf Erden,
dann sprich für uns,
Herr Jesu Christ
(aus: Seht hin er ist allein im Garten, ev. Gesangbuch, Nr.95, von Friedrich Walz)
Herzliche Grüße
Deborrah

Montag, 25. März 2013

Fromm und Frömmeln


Lieber Luther,

wir sind in der Karwoche. Es gibt Zeiten, da spürt man den, der uns trägt, mehr als in anderen Zeiten. Ich nenne sie "heilige Zeiten". Alles in mir ist aufgeregt, ohne einen äußeren Grund zu haben. Es liegt etwas in der Luft, das ich verstandesmäßig nicht fassen kann und trotzdem ist es etwas Anfassbares.

Heute, und eigentlich schon länger, beschäftigt mich das Wort "fromm". Ganze Bücher sind darüber geschrieben, "wild und fromm". Ich kann nichts mit "fromm" anfangen, es klingt nichts in mir auf, absolut nichts. Das hat mich schon mal betroffen gemacht. Habe ich da etwas nicht begriffen, fehlt mir da etwas? Was ist "fromm"? Kann man an "fromm", obwohl es häufig in kirchlicher Sprache auftaucht, einfach vorbeigehen und "fromm" nicht beachten.

Jetzt ist es mir im Sinne von "frömmeln" begegnet. Das bewegt mich nun doch. "Frömmele" ich und weiß es gar nicht? Der negative Touch ist mir klar, deshalb will ich da schon mal hinschauen. 

Gute Frage, gibt folgende Antwort: 
Seit Luther: fromm: fügsam, artig, religiös. [Da hast du den Salat, da wirst du wieder in eine unkundige Schublade gesteckt] 
Frömmeln: fromm tun, Frömmigkeit zur Schau stellen
Fromm soll gottesgläubig, praktizierend, religiös "observant", d.h. beobachtend, befolgend, achtsam, aufmerksam sein.

Wenn ich das für mich übersetze, heißt "fromm" dann nicht "gläubig" sein? Wieso braucht man das Wort dann? Es stiftet nur Verwirrung, keep it simple, mit "glauben" hat man schon genug zu tun. Oder ist es das "zur Schau stellen" was "fromm" ausmacht? Das würde mit dem negativen Duktus von "frömmeln" einhergehen. Dann ist aber "fromm" nicht besser als "frömmeln".

Fromm den Glauben zur Schau stellen? In das Schaufenster stellen, damit es jeder sieht? Warum? Was ist die Motivation dahinter? Im Schaufenster sieht oft etwas ganz toll aus, im Alltag bewährt es sich aber nicht. Schaufensterdekorationen sollen verführen, zum Kaufen anregen.

Kirche heute, genauer gesagt die kirchlichen Rollenträger, egal ob evangelisch oder katholisch, benehmen sich oft so, Kirchengemeinde legt ihr Augenmerk darauf, Kirche so zur Schau zu stellen, ins Schaufenster zu stellen, dass wieder mehr Leute in die Kirche gehen, wieder eintreten anstatt auszutreten. Ob die so motivierten Menschen damit den Pastoren, Priestern, Wortverkündern mehr abkaufen, was sie sagen? Sind derartige "buy in" Versuche nicht mehr ein Glaubensausverkauf?

Man versucht neue Wege, sich zu präsentieren. "Go specials" werden initiiert, vermeintlich moderne Gottesdienstformen. Ein Beispiel: In den Gottesdiensten werden

"Fragen des Glaubens kreativ und lebensnah aufgenommen. Unsere Kirche ist fast jeden Sonntag gut gefüllt mit Menschen. Sie haben den Eindruck, als ob Sie einmal quer durch den Stadtteil gehen würden. Nicht nur Kirchenmitglieder, sondern auch konfessionslose Menschen und Mitglieder anderer Konfessionen kommen zu uns. In den Gottesdiensten ist das Klima einladend, unkompliziert und einbeziehend. Wir wählen Themen und Worte, die für alle Menschen verständlich sind und sie in ihrem Lebensalltag interessieren. Die Gottesdienste geben Impulse und keine fertigen Antworten." 

Klingt wie eine Werbebroschüre. Ist das Jesu Nachfolge oder ist das Kirchenfüllen, um noch eine Daseinsberechtigung als organisierte Kirche in der jetzigen Form zu haben? Oder bin ich eine ewig Gestrige, ein Nestbeschmutzer, wenn ich wage, dieses redliche Bemühen in Frage und in den Raum zu stellen

 Ist das nicht "frömmeln" in moderner Form was da betrieben wird? Ist Jesus den Leuten etwa  nachgelaufen, hat er es seinen Zuhörern leichtgemacht, hat er ihnen nach dem Mund geredet oder sind sie nicht vielmehr ihm nachgelaufen und haben sein Wort so genommen wie es war, auch wenn es nicht sehr freundlich im Menschenverstand dahergekommen ist? Das ist eine spannende Frage, auch in ihrer Konsequenz, dazu schreibe ich dir nochmals später, dazu fällt mir jede Menge ein.

Gott begegnet man in der Stille, nicht im Radau. Liturgie ist kein veraltetes Ritual. In der Liturgie wird der Kern des Glaubens in Erinnerung gebracht, in das Gedächtnis zurückgerufen, damit das innere Gedächtnis sich erinnert. Sie soll gerade von der Oberflächlichkeit und den vordergründigen Problemen und  Problemchen des Alltags wegführen. Das Vaterunser ist der älteste Teil der Liturgie.

Wie hat inneres Gedächtnis eine Chance, wenn Gottesdienste "abwechselnd" sind und damit auch in gewissem Maße beliebig. Sie lenken vom inneren Gedächtnis ab, anstatt sie hinzuführen. Gottesdienst braucht Stille und Einkehr, damit Gott in uns zu Wort kommen kann und wir ihn nicht in ablenkender "Abwechslung" überhören, wir nichts anderes im Gottesdienst tun als sonst auch: Uns auf unsere Alltagsprobleme zentrieren.

Liturgie hat für mich ihre eigene Macht, sie bewirkt Sammlung auf Gottes Gegenwart hin. Aber – ich ertappe mich manchmal selbst dabei – auch Liturgie birgt die Gefahr, dass man sie vor sich und in sich dahinplätschern lässt, ohne das notwendige Maß an Gesammeltheit, der Konzentration auf das, was in der Liturgie als Botschaft, als Wort, als Kern des Glaubens transportiert wird. Das ist nichts anderes als Meditation des gesprochenen Worts. Wer schafft es gesammelt und auf Gott zentriert ohne innere und äußere Ablenkung durch eine Liturgie zu kommen? Wir - ich denke die allermeisten Gottesdienstbesucher - haben da noch viel zu üben und es ist jedes Mal von neuem spannend, inwieweit mir das gelingt oder eben nicht.

Lieber Luther, Fragen über Fragen. Schade dass du so stumm bist. Man kann in all diesen Fragen schier ertrinken. Oder ist es gerade das, was uns in der Fastenzeit bewegen soll, fragend  um Antwort bitten und sie auch  bekommen?

Noch ein Blick in die Bibel, das ist eigentlich das Nächstliegende. Und siehe da, wo lande ich, bei Jesu Weherufen gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten, mit denen ich mich schon auseinandergesetzt habe. Zufall? Jesus nimmt kein Blatt vor den Mund, ob es gefällt oder nicht.

In der Version in Matth 8,27f heißt es:

Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totengebeine und alles Unflats! Also auch ihr: von außen scheint ihr den Menschen fromm, aber inwendig seid ihr voller Heuchelei und Untugend. 

Äußerer Schein, innere Heuchelei und Untugend. Ergo: das Gegenteil ist fromm. Aber wer ist dann fromm?

Karwöchlich bewegt grüßt dich herzlich
Deborrah

Mittwoch, 20. März 2013

Es walte Gott - Vom Dienen II



Lieber Luther,
am Sonntag habe ich noch einen flammenden Appell über das Dienen an dich geschickt. Heute bin ich einen Schritt weiter. Wovon ich letzten Sonntag geschrieben habe, war nur eine Seite der Medaille, es gibt auch eine andere.
Dietrich Bonhoeffer hat die Medaille umgedreht (in: Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung):
"Ich glaube,
dass Gott aus allem,
auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein
Ich glaube,
dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum [d.h. zeitloser Wille]  ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet."
Gott wartet auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten. Er steht  uns bei und lässt aus dem, was du tust, nach seinem Willen Gutes entstehen.
In der Sicht bedient sich Gott des Menschen und das funktioniert nur, wenn sich der Mensch von ihm bedienen lässt. Das entspricht meiner Überzeugung, so kann ich mitgehen. Aber, Grundthema bei Dietrich Bonhoeffer ist: der verantwortlich handelnde Mensch, der der nicht nur zuschaut, sondern aktiv handelt, im Vertrauen und ruhend in Gott. Das sind die beiden Seiten der Medaille.
Auch das will gesagt sein: Ich habe in meinem letzten Brief  zu kurz gedacht. Ich will mich entschuldigen bei dem, den ich im Blick hatte.
Lieber Luther, wir sollten uns öfter an Menschen wie Bonhoeffer erinnern. Seine Gedanken können ohne weiteres in die Gegenwart transformiert werden. Wir  sollten bei ihm lernen.
Herzliche Grüße
Deborrah


Montag, 18. März 2013

Vom Dienen


Lieber Luther,
gestern hieß es als Schlusswort in der Predigt, man müsse sich nur gefallen lassen, dass Gott uns bediene, dann würden die Dinge gut. Wie in der Gastwirtschaft. Ich bestelle und Gott tut mir Gutes. Ist Glaube Konsum göttlicher Wohltaten? Ist Glaube ein bloßes Lassen, ein pures sich Gott überlassen? Oder ist da etwas mehr von Gottes Volk gefordert?
Da scheinen unterschiedliche Geisteshaltungen aufeinanderzutreffen. Welcher ich zuneige, ist dir, lieber Luther, bekannt. Ich mache keinen Hehl daraus. Da bin ich ganz calvinistisch-protestantisch. Jedoch mag ich es mir nicht so leicht machen und doch nochmals in die Bibel schauen, was ich da begreife. Oft sind die Dinge ja nicht einfach schwarz und weiß.
Für das Alte Testament lässt sich die Frage leicht beantworten. Alle Propheten und hervorgehobenen Gottesmänner und -frauen haben sich als Knechte und Diener Gottes gesehen. Alle haben einen göttlichen Auftrag vernommen, den sie unter allerlei Widrigkeiten versucht haben umzusetzen. Alle haben gehadert und gelitten, bis hin zur Verzweiflung, zur Erschöpfung, zur Lebensmüdigkeit. Gott hat sie aber nicht aus ihrem Auftrag entlassen, bis er erfüllt war. Sie waren Knechte, die folgsam ihren Dienst im Auftrag Gottes erfüllt haben. Bequem hatte es keiner, jeder ist gestrauchelt. Alle waren bis zum Ende Diener Gottes, im Dienste Gottes, wie fehlbar sie auch waren, wie viel Selbstzweifel sie auch plagten, wie müde und überfordert sie sich auch fühlten. Das können wir von ihnen lernen.
Das Leben dieser Gottesdiener und –dienerinnen war alles andere als nur „zulassen, dass Gott wirkt.“ Was heißt das jeden Tag, wenn das Volk Hunger hat, ein Gemetzel bevorsteht, die Loyalität wankt? Sie mussten Entscheidungen treffen – manchmal auch falsche, sie mussten handeln, sie mussten sich der jeweiligen Lebenswirklichkeit stellen. Glaube war und ist nicht abgekoppelt von den Fährnissen des alltäglichen Lebens. Der Mensch ist gefordert, es kommt seltenst ein Deus ex Machina, der die Situation per Fernlösung rettet. Glaube ist keine Schönwetterveranstaltung, in der sich immer alle lieb haben. Auch bei Gottes Heiligen nicht. Auch das können wir von ihnen lernen.
Mensch ist nicht Gottes Marionette. Auch wenn Gott mit einem ist, ist es der Mensch, der die Verantwortung trägt, der für sein Tun verantwortlich ist, der hört und übertönt, der handelt und unterlässt, der liebt und verletzt. Je weniger er Gottes Wort hört und je weniger er versteht, was Gott will, desto mehr irrt er, geht er am Willen Gottes vorbei.
Diese Eigenverantwortlichkeit des Menschen hat auch Jesus nicht von den Menschen genommen. Im Gegenteil, er ist gestorben, weil Mensch in dem, was er selbstverantwortlich tut, irrt und vom rechten Weg abweicht. Weil Mensch eben Mensch ist und nicht Christus.
Aber Jesus hat auch den Dienst eingefordert: „Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“ (Joh 12,26). Auch die Hierarchie hat er klargestellt: „Ihr heißt mich Meister und Herr und saget recht daran, denn ich bin es auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen. …Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer denn sein Herr, noch der Apostel größer denn der ihn gesandt hat“ (Joh 13,13ff). Das ist eindeutig, weder Gott noch Christus ist unser Diener, das sollten wir uns hinter die Ohren schreiben.
Und immer wieder die Botschaft: Haltet meine Gebote und erfüllt euren Auftrag: „Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt“ (Joh 17, 18). Und er hat vorhergesagt, dass seine Diener schwer an und in der Welt leiden werden, auch die Männer und Frauen des Neuen Testaments, nicht nur diejenigen des alten. Auch das sollten wir hören.
Jesus hat den Jüngern die Füße gewaschen, weil er ihnen ein Beispiel vom Dienen und von Demut geben wollte. Seht her, ich bin mir dafür nicht zu schade. Er hat ihnen das ins Stammbuch geschrieben als Beispiel für den Dienst am Nächsten, den er von ihnen erwartete. Das sollten wir beherzigen.
Jesus war, wie die Propheten des Alten Testaments, im Dienste Gottes unterwegs, aber sicher nicht, um die Menschen zu bedienen, sondern sie zu lehren, Gottes Wort und Gebot zu halten. Es lag ihm absolut fern, menschliche Bequemlichkeiten zu bedienen, er hat es den Menschen in seiner Umgebung zu keiner Zeit leicht gemacht. Er war streng und nahm es mit dem Wort genau. Jesus war ein Diener Gottes und des Wortes, aber keiner, der sich von Menschen in Dienst stellen und instrumentalisieren ließ. Das sollten wir nicht verwechseln.
Lieber Luther, Altes und Neues Testament sind in dieser Botschaft vom Dienst und der Dienerschaft des Gottesmenschen meines Erachtens deckungsgleich. Gott liebt mich, aber er bedient mich nicht, er ist der HERR und ich sein Knecht. Ich denke, lieber Luther, davon kannst auch du ein Lied singen.
Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 16. März 2013

Schuld


Lieber Luther,
je näher wir Ostern und dem Verrat an Jesus kommen, desto mehr sind Absetzbewegungen zu spüren: Ja nichts mit Jesu Tod zu tun haben, ja nicht schuldig sein, das sind immer die anderen. Es gibt ein paar Kandidaten, die sich anbieten.
Zum Beispiel Kaiphas: "Ihr wisset nichts; bedenket auch nichts; es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn dass das ganze Volk verderbe" (Joh 11, 49f). Da lässt sich der Schuldige leicht finden.
Oder waren es Judas oder Pilatus?
Oder doch die Wunder, die Jesus vollbrachte?
Oder das gespannte Verhältnis von Jesus zu Pharisäern und Schriftgelehrten?
Oder haben die Entscheidungsträger nur verantwortlich gehandelt, weil sonst die Römer für Ruhe und Ordnung nach ihren Vorstellungen gesorgt hätten?
Oder wurden die Römer nur vorgeschoben, um eigene Motive zu verdecken?
Viele "Oder", viele Möglichkeiten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Es ist bequem Erklärungsmuster im historischen Kontext zu suchen. Aber ist das auch so gemeint?
Kaiphas sagte, was er sagte, in seiner Funktion als Hoherpriester, weissagte, denn "Jesus sollte sterben für das Volk". Diese Verheißung zieht sich genauso durch das Alte Testament wie die Ankündigung von Jesu Geburt. Nur können wir mit dem Tod schlechter umgehen. Das sehen wir nicht als Grund zur Freude an, feiern tun wir lieber bei Jesu Geburt.
Jesu Tod hat was mit Schuld zu tun, auch mit unserer Schuld. Darüber sollten wir uns Gedanken machen, weniger um die historischen Begebenheiten. Jesus wusste, dass er durch Menschenhand und Menschenschuld sterben wird. Er ist deshalb geboren und gestorben, um unserer Schuld willen, die wir auf uns laden.
Am Tod Jesu hatte im Prinzip niemand "Schuld". Es war von Gott so vorherbestimmt. Das war auch denjenigen, die eine Rolle dabei spielten, vorherbestimmt. Die Schrift, das Wort, musste erfüllt werden. Der Menschenanteil hierbei wird überschätzt.
Unterschätzt wird dagegen die jeweilige persönliche Schuld eines jeden aus Gottes Volk. "Er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volkes geplagt war" heißt es bei Jesaja. Er ist geboren und gestorben, um unsere Sünden vor Gott zu tragen und um unsere Verzeihung zu erlangen. Jeder, der sich zum Volk Gottes rechnet, darf sich da angesprochen fühlen und ist da angesprochen. Auch diejenigen, die zerstreut sind, die Gott aus dem Blick verloren haben, die er aber trotzdem fest im Blick hat.
Lieber Luther, wir glauben gern, dass Jesus uns von Gott geschenkt ist, wir glauben auch gern, dass er gestorben ist, um uns zu erlösen, unseren Anteil daran, ignorieren wir gern. Das ist eine Botschaft, die nicht gern gehört wird, treibt vielleicht die Menschen aus der Kirche. Das kann man sich bei den schon lichten Reihen kaum erlauben. Deshalb lieber positive Botschaften senden, Gott und Jesus die Arbeitspakete zuschieben und uns selber auf das Bitten um Vergebung der Sünden beschränken. Reicht das aus? Nein.
Gott verlangt eine Umkehr, er verlangt einen willentlichen Akt der Reue, keine oberflächlichen Lippenbekenntnisse, sondern ein inneres Schuldeingeständnis, vor sich selbst und vor ihm:
Auch mein Schuldpaket hat Jesus gen Golgatha geschleppt,
auch ich habe einen Nagel durch seine Handfläche getrieben,
auch ich habe ihn und sein Wort mehr als einmal verraten.
Lieber Luther, es fange jeder bei sich selbst an nach seiner Schuld zu suchen. Du bist nicht müde geworden, darüber zu predigen und das den Menschen verständlich zu machen. Heute regiert überwiegend der Wellness-Gott. Auch deine Kirche ist davon nicht verschont. Jesus hat eine Dornenkrone getragen, er hat gelitten.
Wie weit sind wir heute bereit, für und unter seinem Wort zu leiden, damit wir nach seinem Wort leben, um die ewige Verzeihung zu erlangen?
Sehr betroffen grüßt Dich
Deborrah

Sonntag, 10. März 2013

Passionszeit


Lieber Luther,
nur ein kurzer Zwischenruf. Mir fällt auf, dass es für mich nicht verständlich ist, wieso wir in der Zeit vor Ostern fasten. Das ist nicht eingängig.
Wenn ich auf Jesu Wirken in der Vorosterzeit bis zu seinem letzten Atemzug blicke, dann ist das beileibe keine karge Zeit, ganz im Gegenteil.
Sie ist voll des Wortes, der Botschaft und der Zeichen, eine pralle Zeit. Jesus hat versucht, alles, was er von seinem Vater verstanden hat, weiterzuvermitteln, seine Jüngerschar auf eine Zeit nach seinem Erdendasein vorzubereiten.
Diese Fülle strahlt bis zum heutigen Tag aus. Deshalb sind wir in der Vorosterzeit so bewegt, fühlen uns so angesprochen, so aufgewühlt, so betroffen. Das ist keine Zeit des Verzichts oder gar Fastens oder Leidens, wie das Wort „Passionszeit“ vorgibt. „Passion“ erinnert mehr an die Leidenschaft, mit der Jesus versucht hat, das Wort zu vermitteln und den Glauben an den Gottessohn wachsen und sich festigen zu lassen. Es ist eine Zeit des Aufnehmens, des gierigen Essens und Trinkens im gestern diskutierten Sinne, des Auseinandersetzens, des üppigen Wort- und Geist Einfließen-Lassens, der Klärung. Die Speisung der 5000 Menschen betrifft uns, spricht uns an, ist eine Aufforderung an uns mit Jesus das Lebensbrot zu essen, eben nicht zu fasten. Gerade jetzt, in der Vorosterzeit.
Fastenzeit ist von Jesu Tod bis zu seiner Auferstehung oder auch von seiner Auferstehung bis Himmelfahrt. Oder vor Weihnachten. Das sind karge Zeiten, Zeiten des Wartens, der Leere und des Vakuums. Aber nicht die Vorosterzeit. Das geht an dem vorbei, was Jesus in dieser Zeit tat und im Sinn hatte.
Lieber Luther, du magst mir jetzt vielleicht widersprechen wollen. Aber ich halte es mit dir und nehme einfach die Bibel als Referenz, nicht kirchliche Setzungen. Ist das eigentlich noch niemand aufgefallen, dass wir hier wieder einmal völlig schief liegen? Eigentlich müssten wir nicht an Weihnachten feiern, sondern in der Vorosterzeit, wir müssten die Wortgeschenke feiern, die Jesus uns in der Zeit schenkt.
Die Passionszeit bekommt in der Betrachtungsweise eine ganz andere Botschaft, nicht Leidenszeit, sondern leidenschaftliche Zeit, leidenschaftliche Glaubenszeit. Das hallt, klingt und singt in mir.
Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 9. März 2013

Ich bin das Brot


Lieber Luther,
Ostern kommt näher und wir werden mehr und mehr erfasst, betroffen gemacht vom vorösterlichen Geschehen. Es zieht uns hinein in das Leiden Jesu, lässt uns mit ihm in den Abgrund schauen.
Johannes 6 ist Jesu Testament, der verzweifelte Versuch, den nicht verstehenden Jüngern, seinem Volk endlich begreiflich zu machen, um was es geht. Er weiß, er hat nicht mehr viel Zeit. So greift er zu einem Bild, das jeder kennt: Brot.
Ich bin das Brot, so seine Botschaft. Und damit es offensichtlich wird, sättigt er mit 5 Broten und 2 Fischen fünftausend Menschen: Es ist nicht das zu Brot gebackene Korn, das sättigt, sondern ich bin es, so seine Botschaft. Diese große Geste müsste eigentlich zum Beweis genügen, so hofft er.
Jesus erkennt: Ihr sucht mich nicht deshalb, weil ich euch zum Zeichen gespeist habe, sondern weil eure Mägen von dem Brot satt geworden sind. Wie können wir uns solche sättigende Speise verschaffen, fragen sie und denken an ihre hungrigen Mägen von morgen. Ganz einfach, antwortet Jesus, indem ihr an den glaubt, den Gott euch zum Zeichen geschickt hat, an mich. Ich bin das Brot, das der Welt Leben gibt.
Wenn das so ist, meinen sie, dann gib uns von dem Brot. Jesus bleibt hartnäckig: Ich bin das Brot des Lebens. Wer mir nachfolgt, den wird nicht hungern, wer an mich glaubt, den wird nie mehr dürsten.
Die Antwort ist also: Mensch, du musst mir nachfolgen, du musst an mich glauben, dann wird dein Hunger auf ewig gesättigt und dein Durst auf ewig gestillt. Leider glaubt ihr aber nicht, trotz aller Zeichen, die ich für euch bewirkt habe, ihr denkt, ein Sohn von Menschen kann so etwas nicht.
Beschwörend redet Jesus deshalb auf die Zweifler ein: Ich bin es nicht, ich bin nur der Vermittler. Es ist nicht mein Wille, der etwas bewirkt, es ist Gottes Wille. Gottes Wille bewirkt, dass ich nichts verliere von allem, was mir gegeben ist. Gottes Wille ist es, dass, wer mich sieht und an mich glaubt, das ewige Leben hat. Wen Gott mir gegeben hat und wer an mich glaubt, den werde ich auferwecken aus seinem Schlaf. Denn: Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass "ihn ziehe der Vater". Niemand vermag es aus eigener Kraft, auch ich nicht, Jesus, der Gottessohn. Indem ihr an mich glaubt, erfüllt ihr Gottes Willen.
Der Glaube an mich, den von Gott Gesandten, ist deshalb das lebendige Brot, das ihr essen sollt, das Wort, die Botschaft, die ich euch bringe. Nur durch mich werdet ihr das ewige Leben haben. "Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt". Das finden die Menschen bis heute anstößig, seltsam, gruselig. Aber Jesus setzt noch eins drauf: "Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch." Nur, wenn ihr mein Fleisch esst und mein Blut trinkt, bleibt ihr in mir und ich in euch.
Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken? Manch einer wendet sich – damals wie heute - mit Grausen ab und denkt, was ist das denn? Ich bin doch kein Kannibale. Jedoch: Mensch denkt rein physisch, wird aber von Jesus belehrt: "Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben".
Wollt auch ihr weggehen, angesichts dieser Botschaft, fragt uns Jesus? "Es sind etliche unter euch, die glauben nicht", deshalb "habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben."
Jesu Fleisch und Blut, für uns gegeben, sein Abendmahl mit uns. Ob wir es mit ihm feiern wollen oder nicht, ob wir ihm nachfolgen oder nicht, ob wir glauben oder nicht: "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.". Immer wieder Abendmahl. Es führt kein Weg vorbei. Es ist das Vermächtnis Jesu. Jedes Mal ein Vergegenwärtigung Jesu, jedes Mal eine Erinnerung: Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin deshalb gestorben. Nehmt es doch an.
Lieber Luther, ich glaube, darin sind wir uns im Prinzip einig. Der Herr gebe uns, dass wir dieses Erbe, wenn es uns gegeben wird, immer mit Demut, Dankbarkeit und in dem Bewusstsein der Gegenwart Christi, des Erlösers, in gerade diesem Augenblick leben.
Herzliche Grüße
Deborrah

Sonntag, 3. März 2013

Pharisäer und Schriftgelehrte


Lieber Luther,
Ich befürchte, mit meinem Brief heute setze ich mich bei Dir in die Nesseln. Aber Du kennst das ja von mir, was raus muss, muss raus.
Die Tageslosung von heute heißt:
Zu einem Volk, das meinen Namen nicht anrief, sagte ich: Hier bin ich, hier bin ich! (Jesaja 65,1)
Jesus geht zu den Heiden. Er ist bei denjenigen, bei denen es nicht offensichtlich ist, dass sie glauben, bei denen es man auf den ersten Blick nicht erwartet. Sein Verhältnis zum Kirchenestablishment, zu denen, von denen man per se annimmt, dass sie diejenigen sind, die Gottes Wort am ehesten verstehen und autorisiert sind, es auszulegen und zu verbreiten, war mehr als gespalten.
Im sechsfachen Weheruf gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Luk 11, 37-54) schleudert er ihnen entgegen:

Ihr Pharisäer haltet die Becher und Schüsseln auswendig reinlich, aber euer Inwendiges ist voll Raubes und Bosheit. Ihr Narren, meint ihr, dass es inwendig rein sei, wenn's auswendig rein ist? Doch gebt Almosen von dem, was da ist, siehe, so ist's euch alles rein.
Weh euch Pharisäern, dass ihr verzehnfacht die Minze und Raute und allerlei Kohl, und geht vorbei an dem Gericht und an der Liebe Gottes! Dies sollte man tun und jenes nicht lassen.
Weh euch Pharisäern, dass ihr gerne obenan sitzt in den Schulen und wollt gegrüßt sein auf dem Markt.
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr seid wie die verdeckten Totengräber, darüber die Leute laufen, und kennen sie nicht!
Weh euch Schriftgelehrten! denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten, und ihr rührt sie nicht mit einem Finger an.
Weh euch! denn ihr baut der Propheten Gräber; eure Väter aber haben sie getötet. So bezeugt ihr und willigt in eurer Väter Werke; denn sie töteten sie, so baut ihr ihre Gräber.
Weh euch
 Schriftgelehrten! denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen. Ihr kommt nicht hinein und wehret denen, die hinein wollen. 
Als er das zu ihnen sagte, fingen die Schriftgelehrten und Pharisäer an, ihn hart zu bedrängen und ihm mit mancherlei Fragen zuzusetzen, und lauerten ihm auf und suchten, ob sie etwas aus seinem Munde erjagen könnten, das sie gegen ihn verwenden konnten.
Ja, das ist Jesus, der so spricht. Welch ein Abrechnung mit der herrschenden Klasse der Kirchenmänner. Das konnten sie nicht auf sich sitzen lassen. Das war das wahre Todesurteil für Jesus. Die anderen Beteiligten waren Randfiguren in dem Spiel, das gespielt wurde.
Zusammengefasst:
Wehe, die ihr Dienst tut in meinem Namen
ohne wahre Nächstenliebe,
von persönlicher Bequemlichkeit, Eitelkeit und Sucht nach Anerkennung getrieben und
die Unbequemen ausgrenzt und in der Versenkung verschwinden lasst,
die ihr Totengräber der wahren Kirche und des Glaubens seid.
Lieber Luther, ich glaube, das kommt Dir bekannt vor, auch wenn Du einer von Ihnen bist, die hier gemeint sind. Mir kommt das auch bekannt vor. Das macht die Testamente aus: Sie sind immer aktuell.
Jesus hat sich scharf von der theologischen Kaste abgegrenzt und Menschen außerhalb des theologisch-kirchlichen Establishments gefischt, "Heiden". Er hat seine Kirche außerhalb jeglicher Organisation und jenseits von Gesetz und herrschender Ordnung gelebt. Er war ein unbequemer Querdenker, der die theologischen Rollenträger herausforderte und provozierte.
Ist er uns darin ein Vorbild mit vielerlei Konsequenzen, wenn man es ernst nimmt?  Was heißt das für das, was man im kirchlichen Sprachgebrauch Sakramente nennt? Braucht es dazu organisierte Kirche, theologische Rollenträger? Was unterscheidet sie im Glauben vor Gott von mir? Vor Gott sind wir doch alle gleich nackt.
Das ist nicht einfach zu beantworten. Darüber, lieber Luther, und die Konsequenzen, muss ich – wahrscheinlich noch lange - nachdenken.
Herzliche Grüße
Deborrah