Lieber Luther,
alles läuft so, wie es verheißen war. Die Schrift muss erfüllt werden. Die Schrift ist das Wort Gottes. Gott ist die Weisheit, der Allwissende. Er weiß schon vor dem Anfang das Ende. Es ist alles gewoben, hat aber noch kein IST. Manches IST ist schwer zu ertragen. Für Jesus wie für uns.
Wie muss er sich gefühlt haben als er in Jerusalem einzog (Mt 21, 1-10)? Es muss wie ein Film vor seinen Augen abgelaufen sein, als er in den Tunnel des Massenjubels eintauchte. Befremdlich für ihn die Masse der Menschen, die heute Hosianna rufen und morgen kreuzige ihn. Was hat er wohl gedacht, als sie Palmzweige vor ihm hinwarfen? Palmzweige, die Symbole des Friedens, an einem Ort, wo doch kein Friede war und wo sie ihn nach einer kleinen Weile foltern, lästern, verhöhnen, töten. Jesus wusste das. Wer ist "das Volk"? Es hat nicht ein Gesicht, es hat viele Gesichter.
Jesus sagt: Wehe dir Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind. Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel versammelt, und ihr habt nicht gewollt. Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN (Mt 23, 37)
Wer spricht dieses "Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN"? Wer hatte sich da zum Jubel versammelt? Das arme Volk, diejenigen, die am Rand der Gesellschaft standen, die nichts zu verlieren, nur zu gewinnen hatten, das einfache, ungebildete Volk, das vielleicht nicht Jesu Worte, aber zumindest seine Werke sah und die waren nicht von dieser Welt. Dieses arme, auch geistig arme Volk, sah Jesu Werke, hinterfragte nicht, sah, nahm mit einem gewissen Erschauern hin, was es sah, und lief ihm, dem Zimmermann, in Scharen zu. Ein einfacher Mann aus dem Volk für das Volk. Wie geschrieben steht: Ich will in dir - Jerusalem - ein armes, geringes Volk übriglassen; die werden auf des HERRN Namen trauen (Zeph 3, 12), die Fischer, Zöllner, Aussätzigen, Kranken, von der Gesellschaft ausgestoßenen Frauen. Sie trauen, vertrauen auf das, was sie sehen, selbst wenn es unglaublich ist und nicht zu erklären. Die Hoffnungslosen vertrauen auf den, der ihnen wieder Hoffnung gibt und damit Leben einhaucht. Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr (Mt 5, 3). Sie entledigen sich ihrer alten Kleider, legen sie unter die Füße Jesu (Lk 19,36), und ziehen die Festtagskleider des Glaubens und der Hoffnung an.
Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Es muss wie ein Befreiungsschrei aus ihren Kehlen und Herzen geklungen haben. Wie gut ist dieses Hosianna zu verstehen, aus der Sicht der Leidenden in und an der Gesellschaft hat dieser Schrei doppeltes Gewicht. Jesus löst sie aus ihrer hoffnungslosen Erstarrung und macht sie lebendig, bringt jubelnde Freude in ihr Herz. Sie haben nichts als diese Hoffnung auf den, der auf einem Esel daher reitet, der selbst nichts hat als die Kleider, die er am Leib trägt und den unerschütterlichen Glauben an seinen Vater, was immer ihm auch passiert. Das macht ihn authentisch. Er predigte nicht nur Glauben und Armut, er lebte Glauben und Armut.
Nein, Jesus war dieses Volk, das auf ihn hoffte, nicht befremdlich, er war mit ihm eins, eins im Glauben, er muss mit diesem Volk in dem Augenblick verschmolzen sein. Es muss ihn angerührt haben, dieses einfache, unverkopfte Vertrauen, diese Zuneigung der Menschen. Er muss Tränen der Dankbarkeit vergossen haben. Das Weizenkorn hat Frucht gebracht. Das Weizenkorn kann und muss jetzt vergehen, dass neue Frucht entstehen kann. Wie gut hat Gott alles gewirkt.
Die Menschen folgen ihm in den Tempel. Hosianna, gelobt sei, der da kommt, der uns Blinde und Lahme heilt. Der Tempel, der Ort, an dem das Wort zählen müsste und sonst nichts. Jesus hat es immer in den Tempel gezogen. Schon als 12jähriger hat er dort angefangen, mit den Schriftgelehrten zu diskutieren, versucht ihnen aufzuzeigen, wie Gottes Wort richtig auszulegen ist, er der ungebildete Zimmermannssohn. Der Tempel war eigentlich sein Zuhause. Jetzt "besah" er sich alles (Mk 11, 11), nahm voll Trauer Abschied von dem Ort, der ihm heilig war. Und er nimmt die Worfel in die Hand:
Es steht geschrieben "Mein Haus ist ein Bethaus, ihr aber habt's gemacht zur Mördergrube", ihr Schriftgelehrten und Hohepriester, ihr trachtet hier in diesem Haus, wie ihr mich umbringen könnt (Lk 19, 45-48), mit Hinterlist, heimlich, dass es das Volk, das an mich glaubt, nicht abwenden kann. Hier ist die Trennlinie, das macht Jesus unmissverständlich deutlich. Es gibt dieses und jenes Volk.
Lieber Luther, dieses Volk ist das Volk, aus dessen Herz das Hosianna gebrochen ist, jenes Volk ist das Volk, das "kreuzigt ihn" ruft. Auch jenes Volk hat Masse und auf seiner Seite ist die weltliche Macht, ich werde dir später dazu noch ein paar Zeilen schreiben. Jenes Volk wird sich durchsetzen. Jesus in seiner Klage über Jerusalem: Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis ihr alle ruft: Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN (Mt 21, 39).
Die Quintessenz aber ist, dass wir uns, lieber Luther, an den geistlich Armen orientieren. Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr (Mt 5, 3). Sie haben erkannt: Hosianna, gelobt sei, der da kommt. Es sind diejenigen, die mit der Seele und dem Herz sehen, mit Verstehen, aber nicht mit Intellekt und Wissenschaft. Diese Botschaft ist aktueller denn je. Der intellektuelle Mensch meint heute, die Macht der Erkenntnis liege bei ihm und spricht Jesus, die Macht, Dinge zu tun, die er bis heute nicht versteht, ab. Er setzt sich mit Pilatus in den Richterstuhl und wankt, welchem Gott er dienen soll.
Freuet euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freuet euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind. Zu der Stunde freute sich Jesus im Geist und sprach: Ich preise dich, Vater und HERR des Himmels und der Erde, dass du solches verborgen hast den Weisen und Klugen, und hast es offenbart den Unmündigen (Lk 10, 20-21). Beim Einzug in Jerusalem ist dieses Wort Wahrheit geworden. Es muss sehr in Jesus gejubelt haben. Jesus hat von seiner Stadt Besitz genommen.
Lieber Luther, es ist auch ein Befreiungsschrei unserer Herzen:
Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
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