Lieber Luther

Lieber Luther

Sonntag, 5. Juli 2015

Fischzug

Lieber Luther,
der heutige Predigttext, Lk 5, 1-11, ist wohlbekannt und doch wiederum nicht. Fahrt hinaus in die Höhe und in die Tiefe, damit ihr einen Zug tut und einen Fang macht, ich will euch zu Menschenfischern machen, folgt mir nach. Das ist die zentrale Botschaft Jesu in der Geschichte (vgl auch Mk 1, 17; Mt 4, 19). Etwas genauer steht es bei Johannes (Joh 21, 6): Werft das Netz zur Rechten des Schiffs, so werdet ihr finden.
Wie üblich, wenn Jesus im Dialog mit seinen Anhängern ist, gibt es viel Miss- oder Unverständnis. Jesus spricht von etwas ganz anderem als das, was die Nachfolger verstehen. Sie bewegen sich auf völlig unterschiedlichen Ebenen. Jesus benutzt Bildsprache, um seine Botschaft zu vermitteln, damit jeder, auch der Ungebildetste, verstehen könnte, wenn er will, was er sagt. Die Versammelten sehen jedoch nur das Bild, aber erkennen nicht die Botschaft dahinter. Sehen, dass keine Fische im Fischernetz sind, dann wiederum doch, dass die Boote mit den vielen Fischen überladen sind und sinken, was wiederum jeder versteht, und dass dann Jesus verhindert, dass die überladenen Boote sinken. Glaube es wer da wolle, die Boote mit den Flüchtlingen an Bord sinken auch. Wo ist da Jesus?
Die Geschichte an sich ist, wie in vielen anderen Geschichten auch, über die eigentliche Geschichte hinaus, auf einer Metaebene, eine Lerngeschichte über richtiges Hinhören, über das Wahrnehmen der Botschaft, über die Bereitschaft, sich auf Verantwortung im Sinne Jesu einzulassen, eine Parabel in der Parabel. Man sieht das volle Netz – prima, werfen wir unser Netz auch aus - sieht die vielen Fische bildlich vor Augen, aber überliest und überhört die Voraussetzungen, um das Netz zu füllen und das Boot über Wasser zu halten, mit den Fischen an Bord.
Die Fischer hatten die ganze Nacht nichts gefangen. Was muss sich ändern, damit sie etwas fangen? Das ist die zentrale Frage, die die Geschichte aufwirft und die heute genauso aktuell ist wie vor 2000 Jahren, denn die Netze bleiben zunehmend leer und die Fische, die im Netz sind, fallen wieder durch die Löcher im Netz, da das Netz verwahrlost ist. Das Boot droht, wie das von Simon Petrus, zu sinken, solange die Fischer nur die Fische und den persönlichen Erlös von den gefangenen Fischen, oder die Kosten, sie an Land zu bringen, vor Augen haben. Die Fische an Bord zu haben, reicht nicht aus, ist die Botschaft, das Boot sinkt, trotz oder wegen des großen Fangs, wenn nicht noch etwas dazukommt. Wessen bedarf es noch, um ein erfolgreicher Menschenfischer zu sein, einer wie Jesus? Sagt Jesus nicht: Kommt, und folgt mir nach?
Jesus lehrt das Volk, er predigt. Anschließend sagt er zu Simon Petrus, dem Fischer, auf dessen Boot er war: Fahre auf die Höhe und werft eure Netze aus, dass ihr einen Zug tut. So übersetzt du, lieber Luther. In der Elberfelder steht: Fahre hinaus auf die Tiefe, und lasst eure Netze zu einem Fang hinab (Lk 5, 4). Beide Übersetzungen sind richtig und nur gemeinsam führen sie auf die richtige Spur. Was will Jesus damit sagen?
Er will damit sagen: Ihr müsst euch bewegen, ihr müsst euch in die Höhe bewegen, in die Höhe des Heiligen Geistes, in die Höhe von Gottes Willen, ihr müsst euch selbst von euren materiell bewegten Niederungen erhöhen, damit eure Netze vor Gott nicht leer bleiben. Gott wohnt in der Höhe, dort allein findest du ihn, schau nicht auf den körperlichen Fisch, schau nicht auf die Dollars, die diese Fische bringen oder kosten, schau auf das, was diesen Fischzug ausmacht und ermöglicht, welche Chancen in ihm liegen, wie unterschiedlich das Ergebnis ist, je nachdem, wie du ihn persönlich angehst.
Luther sieht in seiner Übersetzung die Botschaft hinter der Fisch-Tonnage. Dieser Fischzug kann nur gelingen, wenn man seinen Geist sich mit dem Geist aus der Höhe verbinden lässt, wenn die Motivation für den Fischzug eine ist, die aus dem höheren göttlichen Willen geboren ist. Wenn dein Fischzug ein Fischzug ist, der nicht in deinem Willen, sondern im Willen Gottes begründet ist. Deshalb: Fahre auf die Höhe und werfe erst dann, wenn du dort bist, deine Netze aus, sonst wird dein Werk dir nicht gelingen.
Jedoch, Gott ist nicht nur in der Höhe, er ist auch in der Tiefe des Lebens. Jesus selbst steht dafür. Er hat das vorgemacht. Er hat sich selbst aus der Höhe seines göttlichen Vaters in die Tiefe des körperlichen Menschseins begeben. Er weiß, von was er spricht. Die Geschichte sagt: Du, der du aus der Höhe kommst, stelle dich in den Dienst von Jesu Wort, fahre hinaus auf sein Wort, AUF die Tiefe. Versinke nicht in der Tiefe, sondern halte dich oberhalb der Tiefe. Lass die Netze zu einem Fang hinab, setze dich ÜBER die Tiefe und fische in der Tiefe, da wo Trübnis ist, im dunklen Wasser. Vertraue auf Jesu Wort, vertraue auf den Heiligen Geist, der in dir wirkt, so wirst du Menschen finden, die sich aus der Dunkelheit ans Licht ziehen lassen.
Sicher, nicht alles wird gelingen, manchmal reißt das Netz, weil es schlecht gepflegt, verwahrlost ist, und der ein oder andere rutscht durch das Netz und entschwindet wieder in der Dunkelheit, wo er schon fast im Licht, in Gottes Land war. Manche werden willentlich die Dunkelheit vorziehen, weiter im trüben Wasser schwimmen wollen, aber viele kannst du erreichen und deinen Beitrag leisten, dass sie ans sichere Land kommen. Nimm diejenigen, die in deinem Netz sind, als Geschenk. Investiere deine Energie in die, die verbleiben.
Aber gib Acht, dass du nicht übermütig wirst. Solange du nur auf dein Boot vertraust, wird dein Boot sinken, es vermag allein die Last der Fische nicht zu tragen. Menschenlast auf Menschschulter ist zu schwer, Mensch, auf sich alleine gestellt, geht unter mit seiner Last. Allein vermagst du es nicht. Du brauchst andere Menschen, die mit dir am gleichen Strang ziehen, du brauchst Menschen, die sich mit dir auf die Höhe und auf die Tiefe einlassen, Gleichgesinnte, die mit dir auf Gottes Schiff arbeiten. Nicht einmal loszufahren, heißt keinen Fang tun, heißt den Mitmenschen keine Speise bringen, heißt, keiner zu sein, der seinen Teil tut, um in Gottes Erntenetz zu sammeln, heißt, Höhe ohne Tiefe oder Tiefe ohne Höhe. Brotlose Kunst beides gleichermaßen.
Fürchte dich nicht, sagt Jesus. Ich WILL euch zu Menschenfischern machen. So steht es bei Markus und Matthäus. Ich WILL, aber ihr müsst auch wollen, damit es zu dem "WERDE" wird, das bei Lukas steht. Und auch das Wollen reicht nicht aus, es muss auch noch die Tat folgen. Nur schöne Reden schwingen, von der Kanzel oder sonstwo, reicht nicht aus. Man muss auch losgehen, muss handeln, muss sich verändern, muss sich von den Niederungen, den Tiefen, den niedrigen, billigen, vordergründigen, oberflächlichen, ego-getriebenen Wahrnehmungen und Handlungen in eine höhere Wahrnehmungs- und Handlungsebene bewegen wollen und es tun. Sonst bleiben, wie die Geschichte zeigt, die Netze leer.
Ihr versucht, sagt Jesus, in der Dunkelheit zu fischen, einen guten Fang zu machen. Die Anzahl und der Zustand der Fische zwischen heute Nacht und dem heutigen Tag sind unverändert. Und doch ist das Ergebnis völlig unterschiedlich. Ja, ihr ward fleißig, ihr habt die ganze Nacht gearbeitet, aber vergebens, eure Netze bleiben leer. Weil ihr in eurer Dunkelheit und Nacht eure Netze nicht zur rechten, sondern zur falschen Seite auswerft. Ohne mich fangt ihr in eurer Dunkelheit nichts. Erhebt euch aus eurer Nacht. Mit mir im Licht werft ihr eure Netze zur rechten Seite aus, tut ihr einen überreichen Fang und euer Boot geht unter der Last nicht unter.
Aus uns selbst heraus, lieber Luther, vermögen wir nichts. Das sagt die Geschichte. Da verhungern wir entweder, weil wir nichts fangen, das uns nähren könnte, oder die Last ist uns zu schwer, so dass wir mit ihr untergehen. In beiden Fällen scheitern wir, bringen keinerlei Nutzen auf Gottes Acker. Die Geschichte sagt es eindringlich: Erhebt euch zu Gott, auf Jesu Wort hin, dann gelingt euer Werk. Es ist eine Entscheidung zwischen Leben und Sterben, die ihr zu treffen hat. Oder, wie es bei Johannes steht: Werft das Netz zur rechten Seite eures Lebensschiffes, so werdet ihr finden. Zur Rechten sitze ich, sagt Jesus, da werdet ihr im Überfluss leben. Die sinkenden Flüchtlingsschiffe sprechen Bände, auf welcher Seite wir unser Netz auswerfen. Amen.
Herzliche Grüße
Deborrah

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