Lieber Luther,
ich habe dich etwas vernachlässigt. Eigentlich wollte ich dir über den Kirchentag schreiben, dieses Massenfest mit Masse(n)abfertigung. Ich konnte mich nicht richtig damit anfreunden. Aber heute ist Himmelfahrt und das beschäftigt mich mehr als der Kirchentag, der keine bleibenden Spuren bei mir hinterlassen hat.
An Himmelfahrt ist der Himmel offen, hieß es heute in der Predigt. Dies trifft sicher insofern zu, als es in katholischer Lesart ein Hochfest ist, ich würde sagen, ein Tag mit besonderer Kraft. Das war heute draußen auch zu spüren, am Licht und an der Atmosphäre, obwohl oder gerade weil es immer wieder geregnet hat.
Was heißt, der Himmel ist offen? Es heißt, dass die Ausstrahlung Gottes direkt auf uns einwirkt. Es sind die Tage, in denen wir einen unmittelbaren direkten Draht zu Gott haben, ihm alles hinschieben, was uns bedrängt und belastet und er in uns heilt. Wir merken sein Wirken, ohne zu wissen, was er wirkt. Das wird sich erst zeigen. Es gibt wenige solcher himmeloffener Tage: Jesu Taufe, Himmelfahrt und Pfingsten. Alles relativ eng beieinander in unserem kirchlichen Jahreskalender.
Himmelfahrt zeugt auch von einem Abschied. Jesus in Menschengestalt verlässt uns endgültig und kehrt wieder zu seinem göttlichen Ursprung zurück, für uns bittend, uns entlastend, notwendig, um zu Pfingsten zu kommen. Die Jünger konnten sich nun nicht mehr an seiner Menschengestalt festhalten, sie hatten nur noch den Glauben und ab Pfingsten den Heiligen Geist, entkörperlichte Ergebung.
Immer an den Stellen, an denen wir uns mit etwas auseinandersetzen müssen, das jenseits unseres Verstandes und unseres Begreifens ist, tun wir uns schwer. Jesus wurde in den Himmel aufgenommen und hat sich zur Rechten Gottes gesetzt. Wie muss man sich das vorstellen?
Zunächst: Jesus war schon 40 Tage tot. Dass er sich trotzdem seinen Jüngern gezeigt hat – und nur ihnen – hat mit ihrem Auftrag und mit ihrer besonderen Nähe zu Jesus zu tun. Sie sollten das Wort von nun an unter den Menschen in ihrer Sprache weitertragen. Er hat sie ausgewählt, ausgebildet, gestärkt, gesegnet, sie mit allen Mitteln gerüstet, die notwendig waren, um ihren Auftrag zu erfüllen. Sie waren nach seinen Tod zögerlich und verängstigt. Sie mussten Zutrauen zu ihrer neuen Selbstverantwortung fassen. Deshalb hat er sie noch eine Weile in besondere Nähe begleitet, gecoacht würde man heute sagen. Und er war erfolgreich, sonst würden wir heute – nach über 2000 Jahren – nicht davon reden.
An Karsamstag entschuldet uns Jesus vor Gott, an Himmelfahrt wird der Mensch durch ihn wieder eins mit Gott. Er kehrt entschuldet wieder in seinen Ursprung zurück und wird mit ihm eins. Jesus bittet in seinem hohepriesterlichen Gebet vor seiner Verhaftung auch für diejenigen, die durch das Wort, das seine Jünger verbreiten, an ihn glauben "auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien" (Joh 17, 20-21). Das geschieht an Himmelfahrt durch ihn stellvertretend für uns.
Gott und sein Wirken ist außerhalb menschlicher Vorstellungen und Phantasie. Wenn wir uns eins fühlen mit einem Menschen, ist das auch im Prinzip nicht zu beschreiben. Das Einssein mit Gott ist ungleich größer. Wenn wir schon für das menschliche Einssein keinen Begriff haben, wie sollen wir ihn vom göttlichen Einssein haben? Kein lebender Mensch hat es je erlebt, keiner hat es gesehen. Es ist aber, für die, die glauben, durch Jesus schon für uns erwirkt. Also wieso nicht glauben? Was verlieren wir? Wir verlieren nur, wenn wir nicht glauben. Auch davon zeugt die Schrift in reichem Maße.
An Himmelfahrt ist Jesus zu seinem Vater, zu seinem Ursprung, zurückgekehrt. Himmelfahrt ist sozusagen sein Vatertag. Dass heute "Vatertag" genau an Himmelfahrt ist, hat etwas. Ich kann mir Gott hier mit einem Augenzwinkern vorstellen: Seht, ich wirke, auch wenn ihr das gar nicht merkt. Großzügig betrachtet ist Vatertag in der jetzigen Form ein geselliges Fest, in dem gemeinsam gegessen, getrunken und gefeiert wird. Ich gebe zu, das ist gewagt, aber Gott wirkt in der Regel unerwartet und er kümmert sich vornehmlich um die Verlorenen und Heiden. Nicht auszuschließen, dass er da mitfeiert und mit an den Grills und Bollerwagen steht. Lieber Luther, das möchte ich gerne so denken, den Gedanken finde ich schön.
An Himmelfahrt sind die Himmel offen. Es ist ein offenes Fest, jeder kann sich öffnen für das Einssein mit Gott durch Jesus Christus. "Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast" (Joh 17, 22). Es ist ein Hochfest im wahrsten Sinne des Wortes. Auch für uns. Deshalb ist es ein Tag mit besonderer Qualität. Diese zu erfahren, sollten wir jede Sekunde dieses Tages offen sein und uns – eigentlich – nicht vom oberflächlichen Feiern ablenken lassen. Da würden wir etwas verpassen. Eigentlich.
In diesem Sinne, schönen Vatertag, denn ein Fest ist es allemal, wie immer man es gestaltet.
Herzliche Grüße
Deborrah
Deborrah
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