Lieber Luther

Lieber Luther

Sonntag, 14. Juli 2013

Brot und Fisch

Lieber Luther,
der heutige Predigttext befasste sich mit der Speisung der 5000 (Luk 9, 10-17). Irgendwie bin ich dabei nicht ganz satt geworden. Deshalb habe ich das Bedürfnis, noch einen Happen nachzuschieben, ich verspüre immer noch Hunger.
Ich will versuchen, mich nicht zu wiederholen. Ich habe dir zum Thema "Ich bin das Brot"schon mehrmals geschrieben , auch im Hinblick auf das Abendmahl, das untrennbar auf das "Brot" verweist.
Brot und Fisch kommen bei Jesus immer an Schlüsselstellen vor. Als er seinen Jüngern nach der Auferstehung erscheint und sie ungläubig sind, isst er mit ihnen Brot und Fisch. Mit dem Brot haben wir es leichter als mit dem Fisch. Als "Brot" definiert er sich selbst, In der wichtigen "Brotrede": Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt. (Joh 6.51). Im Abendmahl essen wir dieses Brot des Lebens immer von neuem.
Viele Menschen hatten sich an Jesu Fersen geheftet, da sie von seinen Wundertaten gehört hatten. Sie hatten eine gewisse Erwartungshaltung. Jesus war dessen müde und wollte dem entkommen. Das Volk blieb aber hartnäckig und so tat er, was sie erwarteten, er lehrte das Wort Gottes und heilte. "Entlass die Volksmenge", meinten die Jünger abends, wie wenn Jesus sie festhalten würde. Vielleicht war das auch so. Er wollte davon nichts wissen. Wie könnte auch ein Vater seine Kinder hungrig wegschicken? So bewirkte er das Wunder der Speisung der 5000 mit 5 Broten und 2 Fischen. Aber was vermehrte er da?
Die Zahl 5 symbolisiert in der biblisch-hebräischen Zahlensymbolik die menschliche Bedürftigkeit und die Erlösung durch die Gnade Gottes. Genau das geschah bei der Speisung der 5000. Jesus nahm sich der Bedürftigkeit der hungrigen Menschen an, hielt sie vor Gott und durch Gottes Gnade wurden am Ende alle satt. Nicht nur ihre Mägen wurden satt, sie wurden alle satt im Glauben.
Ähnlich wie später bei den ungläubigen Jüngern und wie heute noch bei uns durch das Abendmahl wächst durch das Essen des Jesus-Brotes der Glaube. Jesu Leib für uns gegeben. Trotz aller Müdigkeit, die Jesus ob der an ihm zerrenden Menschen beschlichen haben mag, gibt er sich, seinen Leib, die Kraft seines Wortes vor Gott für die hungernden Menschen, für uns. Brot ist für Jesus nicht nur ein Nahrungsmittel, um den Hunger zu stillen und die Kraft der Menschen zu stärken, sondern immer auch ein Mittel um den Glauben zu stärken. Dafür gibt er sich ganz, setzt sich mit allem, was er hat ein, am bitteren Ende gibt er auch seinen Körper, sein Leben dafür.
Jesus teilt das Brot nicht selbst aus, er beauftragt seine Jünger. "Gebt ihr ihnen zu essen". Die Jünger sehen sich aus eigener Kraft nicht in der Lage, so hilft er und gibt genaue Anweisung. Lasst sie sich setzen in Schichten, je fünfzig und fünfzig. Im Markusevangelium heißt es dazu verständlicher: Und er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten, tischweise, auf das grüne Gras. Und sie setzten sich nach Schichten, je hundert und hundert, fünfzig und fünfzig (Mark 6, 39).
Er versammelte die Massen gruppenweise um Tische, sie bildeten eine Tischgemeinschaft um seinen Tisch. Materielle Tische werden sie kaum plötzlich in der Wüste aufgetrieben haben. Es wurden größere und kleinere Gruppen gebildet. Sie sitzen im Gras, was einigermaßen erstaunlich ist, da sie sich nahe der Wüste aufhalten: Fürwahr, das Volk ist Gras, das Gras verdorrt, aber das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit (Jes 40, 6ff). Das Volk bildet kleine Gemeinschaften. Sie werden von den Jüngern mit Fisch und Brot versorgt, wie später die neuen Gemeinden durch die Apostel, wie heute unsere Kirchengemeinden von ihren Pfarrern und Pfarrerinnen. Das Geschehen weist bis zu uns.
Was aber mit den zwei Fischen? Jesus sammelt seine Jünger u.a. bei den Fischern: Ich werde euch zu Menschenfischern machen (Matth 4, 19). Das "Fischen" meint, um das zerstreute Volk Gottes zu sammeln, sind Fischer notwendig: Siehe, ich will zu vielen Fischern senden, spricht der Herr, die sollen sie fischen" (Jer 16,16). Dass Jesus die Jünger die Massen speisen lässt und es nicht selbst tut, verweist darauf. Er fordert von den Jüngern Aktion, heißt auch: Ich alleine kann es nicht richten, ich brauche euch, um dem vielen Volk die wahre Nahrung zu geben, die es braucht, um meine Netze zu füllen. Und siehe, ich bin bei euch, ob es hier in der Wüste ist, wo ihr das Volk allein nicht satt machen könnt, oder ob es in rauher See ist, wo ihr die Netze nur füllt, wenn ich bei euch bin. Vergesst nie, dass immer etwas übrig bleibt. Ihr könnt geben und trotzdem verbleibt ein gefüllter Korb. Die Jünger "legten vor", ob und wie viel jeder aß, lag bei jedem einzelnen, der um den Tisch versammelt war. So ist es auch noch heute.
Der Korb ist prall gefüllt mit Gottes Wort. Ob und wer isst, ob und wer zum Menschenfischer wird, ob und wer in das Netz des Glaubens schwimmt, wer satt wird und wer nicht: Jesus macht da keine Vorschriften. Er bietet den vollen Tisch an, ob man sich daran setzt und isst, liegt in der Entscheidung des Einzelnen.
Brot in Wort und Schrift gibt uns immer Nahrung, zwei Fische sind immer da: der eine Gott und sein Mittler, Jesus, der Vater und der Sohn.  Mahl halten mit dem Einen in beiden, können wir bei jedem Abendmahl. Bei ihnen und mit ihnen werden wir nie hungern. Wir sitzen mit am Tisch der 5000, wenn wir wollen.
Lieber Luther, schon die gewaltige Symbolik dieser "Speisung der 5000" macht uns satt, glaubenssatt. Jesus, der in Beth'lehem geboren wurde, im "Haus des Brotes", Jesus tut dieses Nähr-Wunder mit Brot und Fisch in Beth‘saida, was übersetzt heißt "Haus des Fischens". Er sättigt mit Brot und Fisch, macht glaubensstark mit seinem Wort, lässt uns wie ein Fisch in sein Netz schwimmen, gibt Anweisung und Hilfestellung, wenn uns das Nähren und Fischen nicht so gelingen mag. Unglaublich kraftgebend und sättigend ist diese Speise.
Guten Appetit wünscht Dir
Herzlich
Deborrah

Samstag, 6. Juli 2013

Grenzüberschreitungen

Lieber Luther,
mitten in meine Erstarrung und Lesehemmung hinein ist mir ein Büchlein zugeflogen, über "Grenz-Gängerinnen". Es handelt von vier Frauen, den vier Frauen aus dem Stammbaum Jesu. Das vermochte mich nun doch zu locken.
Wieso sind bei Matthäus (nicht bei Lukas) diese Frauen erwähnt? Wieso überhaupt Frauen, die Handelsware in damaliger Zeit? Es ist Tamar, Rahab, Ruth und Bathseba. Was soll uns das sagen? Welcher Gewinn sind sie mir heute noch?
Alle vier Frauen sind tief ins Leben verstrickt, so wie Leben spielt, auch heute noch: Verrat, Vergehen, Täuschung, Enttäuschung, Lüge, Unrecht, Verlassenwerden, Verlassenheit, Ehebruch, bis hin zu Mord. Beteiligt daran, Ursache, Verursacher, Versucher, Auslöser sind Männer. Es sind Gottes Männer, die tief menschlich sind und – wie alle Menschen – gute und böse Züge haben. Alle stehen trotz ihrer teilweise bösen Taten in der Ahnenreihe Jesu.
David ist der Hervorstechendste unter ihnen. Seine Frau, ist eigentlich "die des Urija". Er lässt Urija in einem Auftragsmord beseitigen, um zu verbergen, dass Batscheba schwanger von ihm ist. David, der Psalmschreiber, der Schöngeist. Er erliegt den weiblichen Verlockungen, dem Allzumenschlichen. Er kann dem Versucher nicht widerstehen und übertritt die Gesetze, die er gut kennt. Das erste Kind, während des Ehebruchs gezeugt, stirbt. Batscheba weiß es von vornherein, David erdrückt fast der Schmerz um das Kind. Da kommt Nathan, der weise Prophet und öffnet David die Augen für sein Unrecht. Jetzt erst erkennt es David. Er betet, bereut ehrlich und Gott verzeiht. Erst jetzt findet er zurück ins Leben. (2. Samuel 11-12)
Weiter zurück, Rut. Sie heiratet einen Einwanderer. Als alle Männer der Familie sterben, ist das Unglück groß bei den drei verwitweten Frauen. Als Witwe hatte man nichts mehr vom Leben zu erwarten. Die Schwiegermutter, Noemi, die Liebliche, gibt nicht auf, sondern handelt. Sie entschließt sich, in ihre Heimat zurückzukehren, in der Hoffnung, ein Überleben bei der Verwandtschaft zu finden. Rut geht mir ihr, aus ihrer Heimat in die Fremde, wie zuvor ihre Schwiegermutter. Sie sagt "dein Gott ist mein Gott". Eine unendlich lange Reise in damaliger Zeit, noch dazu zwei Frauen ohne männlichen Schutz. Sie haben Mut, die zwei Frauen, unendlich viel Gottvertrauen und sie haben Glück. Bòas, ein angesehener Verwandter, stellt sie unter seinen Schutz, verliebt sich in Rut und nimmt sie schließlich zur Frau. Eine wunderschöne, poetische Geschichte mit Happy End nach viel Leid, Entbehrung, Strapazen, Angst. Die beiden Frauen vertrauen in Demut auf Gott und Gott nimmt sie bei der Hand und führt sie einen weiten Weg nach Hause. (Ruth 1-4)
Die Geschichte der Rachab, einer Tempeldirne, beginnt mit Verrat. Sie verrät ihr Volk, die Bewohner von Jericho, und trägt damit zum Fall Jerichos bei. Die Israeliten stehen vor den Toren, Kundschafter haben sich eingeschlichen und werden gesucht. Rachab versteckt sie, belügt die eigenen Leute und lässt sie nachts über die Stadtmauer entkommen. Wieso tut sie das? "Ich weiß, dass der Ewige euch dies Land gegeben hat." Sie beruft sich auf Gott. Ihm allein fühlt sie sich verantwortlich und handelt entsprechend. Auch sie ist äußerst mutig. Zum Dank wird sie beim Fall Jerichos verschont. Sie wird die Frau von Jehoschùa und damit eine Ahnin von Jesus. (Josua 2)
Schließlich Tamar, die Frau, die den Söhnen des Juda den Tod brachte und deshalb von Juda aus der Familie verstoßen wurde, zurückgeschickt zu ihrer Familie. Eine Katastrophe für Tamar in damaliger Zeit. Recht- und schutzlos war sie dadurch geworden. Doch Tamar weiß sich zu wehren. Sie verdingt sich als Zonàh, als Hure, und als Juda des Weges kommt, setzt sie sich in Positur. Juda kommt nicht an ihr vorbei. Sie verlangt ein Pfand von ihm: Siegelring, Richterschnur und Hirtenstab, die ganzen Insignien seiner Macht. Und, kaum zu glauben: Er gibt sie ihr, liefert sich aus. Tamar, die sich nicht zu erkennen gab, wird schwanger. Ein weiteres "geht gar nicht" in ihrem Leben. Juda hört, dass seine Schwiegertochter schwanger ist und will sie zur Rechenschaft ziehen. Tamar zieht ihren Trumpf aus der Tasche: Siegelring, Richterschnur und Hirtenstab. Juda sieht sein hässliches Gesicht im Spiegel. Er lenkt ein: "Lasst sie. Wahrlich , sie ist eine Gerechte! Sie ist im Recht gegen mich." Sie ist schön, so nimmt er sie zur Frau und hilft ihr aus der Not, in die er sich gleich doppelt gebracht hat (1. Mose 38)
Alle vier Geschichten sind Geschichten der Bewegung, der Umkehr von Unrecht in Recht: Juda und David sehen ihr Unrecht an den Frauen ein, sie bereuen und kehren um zu den Frauen und damit zu Gott. Noemi, Rut und Rachab brechen auf im Vertrauen auf Gott. Für alle ist ein Weg zu Ende und fängt ein neuer an. Der Weg ist steinig, Unglück, Not, Angst und Bedrängnis säumen die Wegränder. Es kommen aber alle an. Keine der Frauen gibt auf. Gott ist ihnen Stecken und Stab, der einzige, auf den sie sich wirklich verlassen können.
Das Verwunderliche ist, dass aus so viel Not, Elend, Vergehen und Sünde Menschen hervorgegangen sind, die zu Jesus hinführen. Zu demjenigen, der allein ohne Sünde ist. Das ist eine starke Botschaft, die uns heute auch noch betrifft, eine Botschaft, die klärt.
Genau deshalb stehen die Frauen bei Matthäus in Jesu Stammbaum. Jesus ist körperlich aus einer Frau hervorgegangen. Frauen haben ihren Platz bei Gott und er sorgt für sie, in allem Unglück. Die Zahl vier meint in der biblischen Zahlensymbolik die Vollständigkeit der Schöpfung. Nur mit Männern und Frauen ist die Schöpfung vollkommen, wenn auch nicht vollkommen nach Gottes Recht. Vollkommene unvollkommene Schöpfung, eine ewige Dialektik. Genau das zeigen uns die vier Geschichten.
Wie unvollkommen wir auch sind, sofern wir ehrlich unsere Vergehen vor Gott bekennen, solange wir umkehren, solange wir uns wieder dem anderen zukehren können, bei allem Unrecht, das zwischen Mann und Frau geschehen kann, wie die Geschichten zeigen, solange verzeiht Gott und nimmt uns bei der Hand. Die Geschichten dieser Frauen zeigen, menschliches Leben hat oft mit Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen zu tun, ist oft grenzwertig. Opfer sind wir alle, unserer selbst und des anderen. Und das Wunderbare daran ist: Es kommt trotz allem immer neues Leben hervor. Das Leben siegt. Gerade deshalb stehen hierfür auch diese Frauen in Jesu Stammbaum.
Lieber Luther, das tröstet ungemein. Wenn ich all diese Prüfungen sehe, die diese Frauen – und in ihrem Gefolge auch die mit ihnen verbundenen Männer - über sich ergehen lassen mussten, wenn ich sehe, wie sie immer wieder die Kraft gefunden haben, aufzustehen und weiterzugehen, dann färbt etwas von ihrer Kraft auch auf mich ab. Über Jahre sind sie weitergegangen, auch wenn es geschmerzt hat, auch wenn sie zwischendurch gefallen sind, im festen Vertrauen auf Gott. Gott ist mit den Sündern. Gott gibt den Sündern Kraft, Einsicht und Wegweisung. Manchmal ist dazu auch – oder gerade – eine Grenzüberschreitung notwendig. Aufmachen und umkehren müssen immer alle Beteiligten, auch das zeigen diese Geschichten.
Passt irgendwie zur Losung heute. Muss in der Luft liegen.
In diesem Sinne,
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Das Buch, das mir den Impuls gab: Elsbeth Weymann: Grenz-Gängerinnen. Die Frauen im Stammbaum Jesu. Urachhaus. 2007

Montag, 1. Juli 2013

Hassen - Perspektivwechsel

Lieber Luther,
heute ist der 5.Sonntag nach Trinitatis. Nichts besonderes. Gottesdienstalltag in der Kirche, möchte man meinen. Und doch war es heute nicht so, der Predigttext eine Herausforderung: Lukas 14, 25-33. Man muss jedoch den ganzen Abschnitt lesen, da er zusammengehört und eine eindeutige Botschaft enthält. Ich kann ihn nicht ganz hier wiedergeben, du kannst ihn selbst nachlesen. (Luk 14, 25-35)
Die Pastorin hat ihn in 3 Teile geteilt und keinen Zusammenhang gefunden. Sie hat sich sehr schwer getan mit dem Teil: "So jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein" (Luk 14, 26). Wie soll man das auch auffassen, als Mutter, Familienmensch? Guter Gott, was mutest du uns da wieder zu? Das kann doch nicht dein Ernst sein?
Doch, es ist sein Ernst. Es heißt in diversen Bibelübersetzungen (Luther, Elberfelder, Schlachter, Herder) tatsächlich "hassen". Nur in der "Guten Nachricht" in meiner schon sehr alten Fassung heißt es "an die zweite Stelle setzen". Daran klammerte sich dann auch der Predigttext. Wie soll man dieses Wort sonst auch jemanden vermitteln? Das klingt nicht nach froher Botschaft und Liebe.
Die Aufforderung Jesu, unsere Familie, unser soziales Umfeld zu hassen, ist auf den ersten Blick starker Tobak, aber nur auf den ersten Blick. Was ist damit gemeint?
Hassen hat etwas damit zu tun, dass man jemanden oder etwas nicht leiden kann. Man mag "nicht leiden" mit demjenigen, um den es geht. Man wendet sich nicht dem anderen zu, auch wenn es schmerzt, sondern von ihm weg. Hassen bedeutet, sich von jemandem abwenden, hassen heißt: verlassen. Innerlich oder äußerlich oder beides. Solange man seinen Nächsten hasst, d.h. nicht lieber selbst leidet als ihn nicht leiden kann, ist man nicht in der Liebe Gottes seinem Nächsten gegenüber. Solange man hasst, regieren die Emotionen, nicht die Nächstenliebe, die Gott von uns fordert. Lieber den anderen "nicht leiden" können, als sich selbst verleugnen.
Deshalb heißt der nächste Vers auch: Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein" (Luk 14, 27). Sein Kreuz tragen heißt in diesem Zusammenhang: Wer sich in den Vordergrund stellt vor dem anderen, vor sich selbst und vor Gott, liebt nicht den Nächsten wie sich selbst. Das ist nicht Jesu Weg. Jesus sieht nur uns, nicht sich. Für uns geht er ans Kreuz. Das verlangt er auch von uns: Jeder trage des anderen Last, auch wenn du dafür ans Kreuz musst.
In den Überschriften diverser Bibeln heißt es "Bedingungen" der Nachfolge. Es ist genau umgekehrt. Was hier beschrieben ist, ist bedingungslose Nachfolge. Aber nicht in dem Sinn, dass wir unsere Familie, unsere Heimat, die die wir lieben, verlassen sollen, uns der Verantwortung und der Aufgabe entziehen, uns davonmachen. Man soll nicht die verlassen, die man liebt, sondern sich selbst lassen und sich dem anderen zuwenden, auch wenn es schmerzt. Hassen in dem Sinn zielt auf die eigene Selbstzentriertheit. Sie hassen heißt, alles tun, um sie zu verlassen. Hassen in diesem Sinne ist ein bewusster Akt der Selbst- und der Nächstenliebe, den Jesus hier einfordert. Es muss etwas passieren, du musst dich bewegen. Weg von deinen eigenen Interessen, hin zu Gott, den du zu allererst in dem findest, der dir am nächsten ist.
Der Weg dorthin ist dornenreich. Er führt – wie bei Jesus – so auch bei uns über das Kreuz. Das Kreuz bedeutet Läuterung, bedeutet Schmerz, bedeutet Anfechtung im Glauben. Wer nicht dieses Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein. Deshalb prüfe jeder genau, ob er bereit ist, diesen Weg zu gehen. Will oder kann ich den Preis dafür zahlen? Fühle ich mich stark genug, um gegen das Heer der inneren und äußeren Widerstände anzukämpfen und zu bestehen. Wer helfen kann, ist nur Gott. Er allein kann den Frieden und die Unterstützung geben, die wir brauchen, um in allen Anfechtungen bestehen zu können .
Nein, leicht ist diese Nachfolge nicht, da macht Jesus keinen Hehl daraus. Wer etwas anderes denkt, ist auf dem Irrweg. Erst wenn man sich von sich selbst gelöst hat, ist man in seiner wahren Nachfolge, sein Jünger. Ist das überhaupt jemals möglich? Man muss alle irdenen Bindungen lösen, um bedingungslos zu lieben, so wie Jesus uns das gelehrt hat. Um bedingungslos für den anderen leiden zu können, ihn "nicht leiden" sehen zu können. Um das zu können, muss man bereit sein, selbst bedingungslos und selbstlos zu leiden, sich nicht an "zweiter Stelle" zu sehen, wie in der "Guten Nachricht" steht, sondern sich gar nicht zu sehen. Das hat eine ganz andere Qualität und ist eine ganz andere Dimension. Das eine ist menschlich gedacht, das andere göttlich.
Hassen hat auch etwas mit "hässlich" zu tun. Unsere eigenen Mängel erkennen und anerkennen wir nicht gern, viel leichter diejenigen der anderen. Jedoch, indem wir die Mängel der anderen erkennen, schauen wir in Wahrheit in den eigenen Spiegel und sehen die eigene Hässlichkeit. Das "Hassen" wird so zur Voraussetzung, um die eigene Hässlichkeit zu überwinden. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein. Schonungslos.
Hass hat auch mit Verfolgung zu tun. Mit Passion. Man verfolgt andere und wird selbst verfolgt. Ein Kreislauf des Leides und des Leidens. Viele Jünger Jesu haben Verfolgung erlitten, Hass, Martyrium und Tod. Nachfolge in der Verfolgung, trotz Verfolgung. Mir fällt Bonhoeffer ein. Prüfe genau: Bist du bereit, den Preis zu zahlen? Jesus ist ganz transparent, er verschweigt nichts.
Was hat das alles mit uns zu tun? Wir leben in Sicherheit. Verfolgungen des (christlichen) Glaubens wegen gibt es in unseren Regionen derzeit nicht. Märtyrer sind bei uns gerade nicht gefragt. Ein paar Nummern kleiner tut es auch. Kommt jemand auf die Idee, seine Familie zu verlassen, um Jesus nachzufolgen? Nein?
Jesus nachzufolgen, heißt ihm bedingungslos nachzufolgen, ohne Wenn und Aber. Ein bisschen Nachfolge, solange es nicht weh tut und ich nicht anfange zu leiden, geht nicht. Was tun wir, wenn Gott uns in die Wüste führt? Wenn du vor dem Kreuzweg stehst? Gehen wir mit aller Konsequenz oder schaudern wir lieber zurück, zögern, zaudern, schieben hinaus? Heraus aus der Komfortzone hinein ins Unbekannte? Sehend, vertrauend, nicht zurückzuckend? Widerstehen wir der Versuchung, uns aufs Sofa zurückzuziehen und uns in unserer Schein-heil(ig)en Welt hinter dem schönen Schein zu verstecken?
Lieber Luther, nein, bequem ist Jesu Nachfolge sicher nicht. Auch – oder gerade – bei uns, in unserer übersättigten Wohlstandgesellschaft nicht. Man steht da ziemlich schnell am Pranger. Bedingungslos folgen, bedingungslos den Nächsten lieben ist ein Kreuzweg, egal an welchem Ort und zu welcher Zeit wir in der Menschheitsgeschichte stehen. Gern gehört wird das nicht. Aber Jesus lässt keinen Zweifel: Wenn das Salz dumm wird, womit wird's man würzen?
Herzliche Grüße
Deborrah